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Der Schub der zwei Kerzen: Trabinauten landen im Elbsandstein

In Dresden hat sich ein neuer Anbieter für Ausfahrten mit dem Trabant gegründet. Bei Hohnstein gab es neulich eine Proberunde.

Von Jörg Stock
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Gelandet: die Trabinauten am Aussichtspunkt Ziegenrücken bei Hohnstein. Der neue Anbieter von Trabant-Touren aus Dresden  unternimmt auch Ausflüge in die Sächsische Schweiz.
Gelandet: die Trabinauten am Aussichtspunkt Ziegenrücken bei Hohnstein. Der neue Anbieter von Trabant-Touren aus Dresden unternimmt auch Ausflüge in die Sächsische Schweiz. © Steffen Unger

Es ist ein Zusammentreffen, wie es unwahrscheinlicher kaum sein könnte: Ein Schwede aus Stockholm, der in Burkina Faso in Westafrika lebt, zum ersten Mal in der Sächsischen Schweiz ist und kein Auto hat, schwingt sich bei Gisella auf den Fahrersitz. Gisella ist ein senfgelber Trabant 601. Mit dem jetzt durch die Sandsteine düsen? Der Gedanke begeistert den Schweden Crister Sahlén. "Das wäre bestimmt ziemlich lustig."

Sahlén, 54, arbeitet bei der schwedischen Botschaft in Burkina Fasos Kapitale Ouagadougou. Es sind viereinhalb Tausend Kilometer Luftlinie bis zum Ziegenrücken bei Hohnstein, wo er einen Zwischenstopp macht, um das Panorama, Lilienstein bis Rauenstein, zu fotografieren. Doch nun sind die Trabinauten gelandet und Crister, der Trabis schon oft gesehen hat, aber noch nie von innen, wird, zusammen mit Gisella, selbst zum Fotomotiv.

Sieht erstmals einen Trabi von innen: Crister Sahlén, Tourist aus Stockholm, hat probeweise in einem Fahrzeug der Trabinauten Platz genommen.
Sieht erstmals einen Trabi von innen: Crister Sahlén, Tourist aus Stockholm, hat probeweise in einem Fahrzeug der Trabinauten Platz genommen. © Steffen Unger

Trabinauten. So nennt sich eine neue Firma aus Dresden, die mit dem Schub der zwei Kerzen in den Tourismus-Orbit aufsteigen will. Und das lässt sich gut an, sagt Steve Meißner, einer der beiden Chefs. Crister aus Schweden ist der Beweis dafür, dass der Trabant den Menschen sympathisch ist, auch 32 Jahre nach dem Ende der Produktion. "Mit so einem Auto bist du immer willkommen."

Keinen Bock auf Safari-Look

Steve Meißner ist 39 Jahre alt und von Beruf Grafiker. In Dresden führt er eine Agentur für Team- und Führungskräftetrainings, die unter anderem in der Sächsischen Schweiz stattfinden. Sein Kompagnon Tony Jendrischok vermarktet Stadtführungen unter dem Label "Erlebe Dresden". Mit den Trabinauten wollen beide ihr Knowhow im Gruppengeschäft bündeln. 2022 gab es bereits einige Ausfahrten. Dieses Jahr soll die erste richtige Saison sein.

Bereit zur Spritztour: ein Teil des Trabinauten-Pulks auf dem Startplatz an der Elbe in Pirna-Copitz. Von hinten leuchtet der Sonnenstein.
Bereit zur Spritztour: ein Teil des Trabinauten-Pulks auf dem Startplatz an der Elbe in Pirna-Copitz. Von hinten leuchtet der Sonnenstein. © Steffen Unger

Trabinauten - klingt nach Vergangenheit und Zukunft zugleich. Das soll es auch. Man will keinesfalls ins Ostalgie-Schubfach gesteckt werden, wo die DDR weiterlebt, sagt Steve Meißner, nach der Methode "Bumbum, Bier trinken, und alle haben Sachsenring gern". Nein, die Trabinauten wollen die Sache modern angehen. "Wir wollen das Kultige von damals ins Jetzt bringen."

Behörde meldet Trabi-Renaissance

Das könnte ein Trend sein. Die Zulassungsbehörde in der Pirnaer Landkreisverwaltung meldet einen stabilen Zuwachs an Trabanten auf den Straßen des Landkreises. 2020 waren 743 Exemplare zugelassen. 2021 stieg der Bestand auf 787 und 2022 auf 819. Auch dieses Jahr scheint ein Plus sicher. Ende Juni sind 831 Trabant-Wagen registriert. Die meisten, je 88 Exemplare, fahren in Pirna und Freital herum. Dahinter liegt Dippoldiswalde mit 47 Stück.

Damit's läuft: An der Zapfsäule in Pirna-Copitz wird Öl in den Tank gegossen, Verhältnis 1:50. Gemisch aus der Pistole gibt es praktisch nirgends mehr.
Damit's läuft: An der Zapfsäule in Pirna-Copitz wird Öl in den Tank gegossen, Verhältnis 1:50. Gemisch aus der Pistole gibt es praktisch nirgends mehr. © Steffen Unger

Steve Meißner hat seine Autos bei Liebhabern im ganzen Land zusammengekauft. Ihm ist wichtig, sagt er, dass es Liebhaberstücke mit eigener Geschichte sind, die sich weitgehend im Originalzustand befinden. Das Thema Trabi soll authentisch erzählt werden, nicht im "Plakatmodus", mit schreienden Farben oder Tierfell-Lackierung. Der Trabi soll aussehen und riechen, sagt Meißner, wie der von seinem Opa.

Die Touren finden im Pulk statt, maximal mit fünf Fahrzeugen. Das haben die Grünphasen an den Großstadtampeln nahegelegt. Vorrangig Gruppen sollen die Ausfahrten buchen. Beim Stadtrundfahrt-Standard "August der Starke", immer samstags um zehn ab Simmel-Center in der Dresdner Neustadt, können auch Individual-Teilnehmer mit einsteigen. Preis pro Nase: knappe 90 Euro.

Unverzichtbar fürs authentische Trabi-Fahrgefühl: der Wackeldackel und die Klopapierrolle unterm gehäkelten Hütchen.
Unverzichtbar fürs authentische Trabi-Fahrgefühl: der Wackeldackel und die Klopapierrolle unterm gehäkelten Hütchen. © Steffen Unger

Grundsätzlich bestimmen die Gäste mit, was auf der Tour passiert, ob es unterwegs Kaffeeklatsch mit Eierschecke gibt, Picknick mit Soljanka oder eine Verkehrskontrolle mit dem ABV. Angeführt wird die Kolonne meist von Ronny Frank. Der Pirnaer ist gelernter Landmaschinen-Mechaniker und gewissermaßen der Werkstattmeister der Trabinauten. Seinen himmelblauen Trabant bekam er mit 17. Jetzt ist er 44, und hat ihn immer noch. "Das ist gelebte Nachhaltigkeit!"

Erste Fahrversuche im Militär-Trabi

Bei den Ausflügen bisher hat Frank festgestellt: Stadtführungen sind vielen Leuten gar nicht so wichtig. Hauptsache fahren. Deshalb gibt es bereits eine Überland-Variante Richtung Moritzburg. Heute nun werden mögliche Routen in Franks Heimat, der Sächsischen Schweiz, erkundet. Das freut den Trabifan, auch für die Autos. Das ewige Tuckern im Stadtverkehr bekommt ihnen nicht. "Da versotten die Motoren."

"Das Auto mal ordentlich treten." Ronny Frank kümmert sich bei den Trabinauten um die Technik, die mehr aushält, als viele denken.
"Das Auto mal ordentlich treten." Ronny Frank kümmert sich bei den Trabinauten um die Technik, die mehr aushält, als viele denken. © Steffen Unger

Für die Proberunde hat Steve Meißner Freunde und Bekannte eingeladen und so ein halbes Dutzend Fahrzeuge besetzt. Meißner selbst machte schon als Fünfjähriger erste Fahrversuche im Trabi-Kübel der GST. Für manch anderen ist der Trabant Neuland, jedenfalls vom Fahrersitz aus gesehen.

Luxus: Kassettenradio und Mäusekino

So geht es zum Beispiel Frank Hermsdorf, Diplom-Ingenieur für Kfz-Technik. Als Kind saß er auf der Rückbank im Trabi seiner Eltern. Zu viert, die Fahrräder auf dem Dach, fuhr man nach Rügen. Eine echte Bindung zum Auto ist damals nicht entstanden bei ihm, sagt er. Jetzt kommt das automatisch. Das Fahrgefühl in dem kleinen, kurzen Gefährt ist sehr direkt, findet er. Man sitzt nahe an der Vorderachse, die Lenkung reagiert sensibel.

SZ-Reporter Jörg Stock mit Trabinauten-Abzeichen. Es wird an Teilnehmer der Trabi-Rallye verliehen, die das Unternehmen im Angebot hat.
SZ-Reporter Jörg Stock mit Trabinauten-Abzeichen. Es wird an Teilnehmer der Trabi-Rallye verliehen, die das Unternehmen im Angebot hat. © Steffen Unger

Die Lenkradschaltung - ein paar Mal suchte er den Knüppel noch rechts neben dem Sitz - hat er so weit verstanden. Obwohl er den ersten Gang gefühlsmäßig vorne oben vermutet hätte. Stattdessen ist er hinten unten. Und Rückwärtsgang? Soll's auch irgendwo geben. Er feixt. "Aber den hab' ich noch nicht gebraucht." Erstaunt hat ihn die spartanische Ausstattung. Nicht mal eine Tankanzeige gibt es. "Ist wirklich wenig drin in dem Auto."

Besser hat es da René Grüner getroffen. In seinem Trabi gibt es zwar auch keine Benzinuhr, dafür eine Momentan-Verbrauchs-Anzeige, landläufig Mäusekino genannt. Und sogar ein Radio mit Kassettendeck. "Hätte ich das gewusst, hätte ich mir ein Tape mitgebracht." Grüner findet die Tour grandios. Mit breitem Grinsen ist er eingestiegen, sagt er, und bis jetzt hat das Grinsen nicht aufgehört.

Dauergrinsen bei René Grüner. Der Dresdner düst im Trabi die alte Rennstrecke bei Hohnstein hinauf. "Die Einfachheit fasziniert mich."
Dauergrinsen bei René Grüner. Der Dresdner düst im Trabi die alte Rennstrecke bei Hohnstein hinauf. "Die Einfachheit fasziniert mich." © SZ/Jörg Stock

Es wird noch breiter auf den Serpentinen vor Hohnstein. Wie vom Chefmechaniker gefordert, tritt Grüner feste aufs Gas. Wie simpel dieses Auto funktioniert, fasziniert ihn, "ohne diesen ganzen Technik-Schnickschnack". Freilich, er würde im Trabi nicht unbedingt nach Kroatien fahren. Obwohl das sicher auch ein Erlebnis wäre, sinniert er. Udo Struutz lässt grüßen. "Wie bei Go Trabi Go!"