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Der Lausitz fehlen bald bis zu 90.000 Arbeitskräfte

Auch Zuwanderung war ein Thema beim zweiten Lausitzforum in Schwarzheide. Auch über europäische Fördermillionen und eine mögliche Modell-Region Lausitz wurde gesprochen.

Von Irmela Hennig
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Viel Geld wird in die Lausitz investiert - doch es fehlt eine andere Ressource: Arbeitskräfte.
Viel Geld wird in die Lausitz investiert - doch es fehlt eine andere Ressource: Arbeitskräfte. © Wolfgang Wittchen

Schwarzheide. Der letzte Bäcker habe zugemacht im Stadtviertel. Denn er verdiene beim neuen Bahnwerk in Cottbus mehr als mit Brötchenbacken. Um welchen Bäcker im brandenburgischen Cottbus und um welches Stadtgebiet es geht, sagte Christine Keilholz nicht. Doch die Journalistin, die am Dienstag das zweite „Lausitzforum 2038“ moderierte, wollte mit der Geschichte vor allem eines illustrieren – der Lausitz fehlen die Fach- und zunehmend die Arbeitskräfte. Das, so wurde auf dem Forum in Schwarzheide mehrmals deutlich, merke man auch beim neuen Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn in Cottbus. Es ist eines der Großprojekte im Rahmen des Strukturwandels.

1.200 neue Jobs sollen geschaffen werden. 1,2 Milliarden Euro aus den Fördertöpfen für den Kohleausstieg fließen. Im Januar 2024 soll es zunächst mit 400 Mitarbeitern losgehen. Doch die zu finden, sei sehr schwierig, hieß es wiederholt. Denn das Energieunternehmen Leag, das künftig Geld ohne Braunkohle verdienen muss, brauche seine Arbeitskräfte – auf die man fürs Bahnwerk gesetzt hatte - selbst. Zum Teil, um zwischenzeitlich schon abgeschaltete Kraftwerksblöcke wieder zu bewirtschaften. Die wurden auf Anweisung der Bundesregierung reaktiviert, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern, die durch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine gefährdet schien. Außerdem stellt sich die Leag neu auf, will bleiben. Baut Wind- und Solarparks, plant Wasserstoffkraftwerke und mehr.

Fachkräftesicherung also war wieder ein zentrales Thema des Lausitzforums mit 240 Teilnehmenden. Veranstaltet wird das Treffen von den Unternehmerverbänden Sachsen und Brandenburg-Berlin mit insgesamt rund tausend Mitgliedsbetrieben.

Lausitz als erste "Net Zero Region"

Für Burkhardt Greiff, Präsident des Unternehmerverbandes Brandenburg-Berlin, ist neben dem Fachkräftemangel die Sorge um gesicherte und bezahlbare Energieversorgung drängend. Er kritisierte in dem Zusammenhang die diskutierten Ermäßigungen für große Betriebe mit hohem Verbrauch. Greiff sagte: „Wir wollen keinen Industriestrompreis für die energieintensiven Unternehmen. Wir wollen einen Mittelstandsstrompreis.“ Der Mittelstand sei sehr unter Druck.

Christian Ehler, Mitglied im Europäischen Parlament, brachte für die Lausitz ein Modell ins Gespräch, dass derzeit in der EU geplant wird. Es gehe darum, sogenannte „Net Zero Valleys“ auszuweisen. Also Regionen mit netto null Kohlendioxid-Emissionen in Industrieprozessen. Angedacht sei, dass da zuerst eine gesamte Region Planungs- und Gemehmigungsverfahren durchläuft. Die Unternehmen, die sich dann dort ansiedeln, müssen diese Verfahren nicht mehr einzeln angehen. Zudem sollen dort bevorzugt öffentliche Förderungen und Investitionen hinfließen.

Die Lausitz könne erste „Net Zero Region“ in Deutschland werden. Voraussetzung dafür sei die Bereitschaft, sich zu internationalisieren. Es gehe darum, Menschen anzulocken. Aber auch darum, in den entscheidenden Konsortien drin zu sein, die in Europa gerade entstehen. In denen werde entschieden, wo die Zukunftsthemen von Künstlicher Intelligenz bis Wasserstoff stattfinden, wo investiert werde, so Ehler.

70 Prozent für regionale Unternehmen

Dass die Transformation der Lausitz ohne qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland nicht gehen wird, machte Volkswirtschaftler Professor Stefan Zundel von der Hochschule in Cottbus deutlich. Er untersucht den Strukturwandelprozess. Bis 2038 werden der Lausitz 70.000 bis 90.000 Arbeitskräfte fehlen. Selbst wenn man Potenziale wie Erwerbslose und Pendler in den Blick nimmt, reiche das nicht, um das Minus auszugleichen. An ein großes Verschwinden von Jobs glaubt er mit Blick auf den Kohleausstieg nicht. Alle Arbeitsplätze, die vor dem Hintergrund des Kohleausstiegs verloren gehen, seien kompensiert. Auch wichtig für den erfolgreichen Wandel sei es, ausreichend Gewerbeflächen und erneuerbare Energien anzubieten.

Thema in Schwarzheide war auch der Just Transition Fund (JTF). Das ist ein Förderprogramm der Europäischen Union. Damit können auch Unternehmen unterstützt werden. Das geht bei den „Kohlemillionen“ des Bundes nicht. Sachsen bekommt 644,9 Millionen Euro aus dem JTF. Weil das Land das teilweise aufstockt, sind über eine Milliarde Euro im Topf. „Rund 70 Prozent der Mittel sind für die direkte Unterstützung der regionalen Unternehmen vorgesehen“, machte eine Sprecherin des sächsischen Wirtschaftsministeriums deutlich. Seit Anfang September können sich Interessenten um Geld bemühen.

Nach knapp zwei Monaten lagen laut Ministerium 98 Anträge mit einem Volumen von insgesamt rund 110 Millionen Euro vor. Bewilligt habe man bislang rund 300.000 Euro. Das Teilprogramm „Regionales Wachstum“ ist mit bislang 74 Anträgen vorn dran. In Sachsen haben fünf Ministerien insgesamt elf Programme zum JTF aufgelegt. Im Freistaat gibt es, laut Unternehmerverbänden, bis zu 75 Prozent Zuschuss zu einem Vorhaben. In Brandenburg seien es in der Regel 45 Prozent, für Start-ups bis zu 70 Prozent. Bislang seien dort 60 Anträge eingegangen und sieben Millionen Euro beantragt worden. Brandenburg kann 786 Millionen Euro aus dem JTF verteilen. 676 Millionen fließen in die Niederlausitz, der Rest ins Öl-abhängige Schwedt.