Gewäsch, Softi-Gehabe, nichts für echte Kerle: Es gab Zeiten, in denen es verpönt war, sensibel auf die Befindlichkeiten anderer einzugehen, ehrlich wissen zu wollen, wie sie sich fühlen und was sie brauchen, damit es ihnen gut geht. Zum Glück sind die vorbei, sagt Sabine Hübner. Für sie ist Empathie sogar ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Die gebürtige Österreicherin berät seit vielen Jahren Firmen zur Verbesserung ihres Services, schreibt Bücher, unterrichtet an Hochschulen und wurde als „Speaker of the Year“ ausgezeichnet. Am 23. Februar spricht sie in Dresden.
Frau Hübner, was ist Empathie für Sie?
Sie ist die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen nachvollziehen oder sogar fiktiv miterleben zu können, um sein Gegenüber zu verstehen. Sie bedeutet auch, dass man handelt, entweder indem man einfühlsame Worte oder die richtigen Taten findet. Sonst hätte sie keine große Wirkung.
Gibt es einen Unterschied zum Mitleid?
Ja. Empathie ist Mitgefühl und versucht, die Situation zu verbessern. Mitleid ist statisch, handelt nicht. Es entmündigt ein bisschen. Denn es impliziert, dass das Gegenüber arm dran und möglicherweise nicht in der Lage ist, die Situation zu lösen.
Warum halten Sie Empathie-Vorträge? Sind wir gefühlskalt geworden?
Per se kommen wir alle mit einer Art Empathie-Gen zur Welt. Die Fähigkeit ist uns mitgegeben, bis auf wenige Ausnahmen. Dass wir gefühlskalt geworden sind, würde ich nicht sagen. Aber wir leben anders als früher. Das zeigt sich schon an den Familienverbänden.
Früher sind Kinder in Großfamilien aufgewachsen, heute sind sie oft Einzelkinder. Sie haben weniger Gelegenheit, Menschen zu beobachten und später ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Studien zeigen, dass Empathie definitiv zurückgegangen ist. Das Bedürfnis danach ist groß. Quoten von Depression und psychischen Problemen steigen enorm. Auch das sind Auswirkungen mangelnder Zuwendung und Einsamkeit.
Reden würde schon helfen?
Ja, wenn es ein echter Dialog ist. Menschen, die oft mit anderen Menschen im Gespräch sind, haben eine bessere Fähigkeit zur Wahrnehmung und zur Empathie, als Menschen, die weniger mit anderen sprechen. Der Dialog offenbart die Perspektive des anderen und gibt ein Feedback.
In unserer Smartphonewelt mit Sprachnachrichten und Messengers kommt er zu kurz. Wir gehen nicht mehr so ins Gespräch oder in die Debatte. Es wird viel gesprochen, aber leider nicht miteinander. Das ist einer der Gründe, warum Empathie nachlässt.
Welche anderen Gründe sehen Sie?
Die Neugier auf andere Menschen und das Leben hat nachgelassen, auch Wahrnehmung und Konzentration. Ein richtiger Empathiekiller ist Dauerstress. Wer permanent im Stress ist, schaltet in einen Notfallmodus, verringert seine Wahrnehmung und hat den Fokus nur auf den Aufgaben, die er schaffen muss. Alles, was links und rechts davon steht, fällt weg.
Auch Gedankenlosigkeit oder Langeweile machen unempathisch. Deswegen ist es im beruflichen Kontext ganz wichtig, dass Menschen Abwechslung haben und ihre Arbeit gestalten können. Und schließlich behindern auch ungeprüfte Vorannahmen Empathie. Menschen, die viel Erfahrung haben, ziehen oft sehr schnell ihre Schlüsse und hinterfragen nicht mehr.
Sie meinen die Schubladen im Kopf?
Ganz genau. Wer von Klischees ausgeht, nimmt sein Gegenüber nicht mehr wahr und lässt sich nicht auf ihn ein.
An all dem kann man arbeiten.
Ich kann Empathie mein Leben lang steigern. Die Wahrnehmungsfähigkeit kann ich durch den Dialog üben, zum Beispiel, indem ich mir nach einem Gespräch die Prüfungsfrage stelle: „Was habe ich über mein Gegenüber erfahren?“ Ich steigere sie auch durch meinen persönlichen Lebensstil.
Menschen, die neugierig sind und sich für viele verschiedene Dinge interessieren, die lesen, reisen, unterschiedliche Sachen ausprobieren, die haben eine deutlich bessere Wahrnehmungsfähigkeit als Menschen, die immer den gleichen Stiefel machen und wenig kennen. Je mehr ich selbst schon erlebt habe, desto einfacher fällt es mir, diese Situationen bei anderen nachvollziehen zu können. Die Wahrnehmungsfähigkeit kann jeder trainieren.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
In der richtig guten Hotellerie werden an jedem Tag zu Beginn einer Schicht konstruktiv und positiv zehn Minuten mit allen Mitarbeitern Momente und Begegnungen mit dem Gast besprochen. Durch diese kontinuierliche Beschäftigung verändert sich der Blickwinkel des Einzelnen – und wir werden empathischer.
Das geht im Privatleben genauso. Wenn ich beim Abendessen mit meinen Kindern sitze, kann ich den Tag reflektieren: Was waren schöne Momente, was unerfreuliche? Aber wir müssen uns nicht nur eine Gefühls-, sondern auch eine Handlungsebene erarbeiten.
Wie geht das?
Dafür brauche ich zunächst Kreativität, denn es braucht gute Ideen, wie ich mit der Situation umgehen kann. Was mache ich mit meiner Wahrnehmung? Das betrifft Mitarbeiter im Krankenhaus genauso wie in der Familie. Die Kreativität lässt sich fördern, indem ich zum Beispiel meinen Kindern Freiraum gebe, sie sich ausprobieren lasse. Und wir brauchen Mut.
Warum denn Mut?
Mir fällt oft auf, dass Menschen einfühlsam sind, etwas wahrnehmen, auch gute Gedanken haben, aber sich oft nicht trauen, sie umzusetzen. Zum Beispiel, wenn es in der Fußgängerzone jemandem offensichtlich nicht gut geht oder er vielleicht Hilfe braucht.
Sie nehmen wahr, haben eine Idee, was sie sagen könnten, aber tun es nicht und gehen einfach vorbei. Oder, wenn ein Bekannter eine schwere Krankheit hat. Dann ziehen sich viele lieber zurück, weil sie nicht mutig genug sind, das Thema anzusprechen, anstatt auf den Menschen zuzugehen.
Wie lässt sich Mut denn aber lernen?
Einfach ausprobieren. Ich frage mich in solchen Situationen: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Meist ist das überhaupt nicht schlimm. Viele halten sich zurück, weil sie nichts falsch machen wollen. Aber man kann ja nicht leben, ohne Fehler zu machen.
Die muss man sich selbst, seinen Kindern oder Mitarbeitern zugestehen. Von daher ist Mut eine Frage von Erziehung und Führung. Wenn ein Kind etwas falsch gemacht hat, kann man es ermutigen und sagen: „Schön, dass du es ausprobiert und dich getraut hast.“
Was hat man selbst von einem empathischen Verhalten?
Man macht sich das Leben ein Stück weit leichter. Wenn ich spüre, was eine Kollegin bewegt, kann ich Konflikte vermeiden oder auflösen. Das ist ein ganz wichtiger Nutzen. Ich habe weniger Reibung, spare Zeit, erreiche mehr Qualität im Zusammenleben. Wenn uns ein empathischer Umgang miteinander gelingt, ist das Leben reicher, bewusster und glücklicher.
Warum hat sich die Wahrnehmung der Empathie eigentlich so gewandelt? Früher galt sie als unmännlich, weibisch.
Weil sich die Arbeitswelt stark geändert hat. Einerseits ist sie digital geworden. Da kommt dann schnell die Frage auf, welche Fähigkeit uns als Menschen von digitalen Systemen, vom Roboter unterscheidet. Das ist aus meiner Sicht nur die Empathie. Ein Roboter kann Daten analysieren, aber keinen Kontext schaffen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir sie bei unseren Kindern weiterentwickeln, und bei uns selbst natürlich auch.
Außerdem arbeiten wir viel mehr in Teams und Projektgruppen zusammen. Wir sind nur erfolgreich, wenn uns das gut gelingt. Aber das wiederum hängt sehr von den menschlichen Faktoren ab. Wenn wir keinen guten Teamgeist und Verständnis füreinander haben, kommt nicht viel dabei heraus.
Also müssen Unternehmen ein Interesse an der Empathiefähigkeit haben?
In jedem Fall. Ich brauche Empathie für die Kunden, muss sie verstehen, um für sie das richtige Angebot zu finden. Ich brauche sie für meine Kollegen, auch aus anderen Abteilungen, weil wir heute viel übergreifender miteinander arbeiten. Früher konnte man in einem Unternehmen noch alleine erfolgreich sein. Das ist heute nicht mehr so leicht.
Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Ein Mitarbeiter bleibt nur in einem Unternehmen, wenn ihm seine Aufgabe gefällt und er sich wohlfühlt. Das Gehalt muss stimmen, aber ich glaube, die Zufriedenheit hängt stark davon ab, ob ich als Mensch gesehen werde. Die Erwartungen und der Wunsch nach Kommunikation und Wertschätzung sind anders als früher. Wenn man dem nicht Sorge trägt, wird man junge Menschen nicht halten können
- Sabine Hübner spricht am Mittwoch, den 23.2. in der Reihe „Erfolgsmacher“ um 19.30 Uhr im Ostra-Dome in Dresden zur „Macht der Empathie“.
- Präsenzkarten kosten 49 Euro, die Onlineteilnahme 39 Euro. Tickets gibt es unter 02561 9792888 oder [email protected]