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Handwerkskammer Dresden: "Politik muss Baubetrieben unter die Arme greifen"

Das ostsächsische Handwerk beklagt die Wirtschaftslage. Besonders schlecht ist die Stimmung im Baugewerbe. Die Handwerkskammer hat Vorschläge zur Verbesserung.

Von Nora Miethke & Michael Rothe
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Maurer- und Betonbaumeister Roman Kittel ist seit 2004 selbstständig und derzeit bei der Sanierung der „Glücksschmiede“ in Dippoldiswalde zugange. Das älteste Haus im Ortsteil Hennersdorf soll Begegnungsstätte für das 400-Seelen-Dorf werden.
Maurer- und Betonbaumeister Roman Kittel ist seit 2004 selbstständig und derzeit bei der Sanierung der „Glücksschmiede“ in Dippoldiswalde zugange. Das älteste Haus im Ortsteil Hennersdorf soll Begegnungsstätte für das 400-Seelen-Dorf werden. © Jürgen Lösel

Roman Kittel macht sich Sorgen. Große Sorgen. Damit ist der Maurer- und Betonbaumeister nicht allein am Bau. Doch der 48-Jährige ist nicht ob seiner Zukunft beunruhigt. „Ich bin Einzelkämpfer, habe genug Aufträge und mein Auskommen“, sagt er. Als Obermeister der Bauinnung Dresden bangt er eher um die nur noch 21 Mitglieder des Zusammenschlusses. Im vergangenen Jahr seien dort altersbedingt wieder zwei Betriebe ausgeschieden.

In der Branche geht’s nach vielen goldenen Jahren ans Eingemachte. Wegen hoher Baupreise und gestiegener Zinsen gibt es kaum Aufträge. Das hat Folgen: „Noch in dieser Woche lassen wir uns von einem Anwalt informieren, wie wir unsere Leute entlassen können“, sagt Kittel, der vor allem in der Sandstein- und Haussanierung unterwegs ist und auch an Hofkirche und Zwinger in Dresden seine Spuren hinterlassen hat.

„Doch was passiert, wenn es wieder aufwärts geht?“, gibt der Handwerker zu bedenken. „Wer weg ist, kommt nicht wieder“, befürchtet er die gleiche Katastrophe wie im Gastgewerbe, wo jetzt nach dem Jobabbau in der Pandemie akute Personalnot herrsche. Auch am Bau fehle Nachwuchs. „2023 sind im gesamten Kammerbezirk 27 Gesellenbriefe an ausgelernte Maurer übergeben worden“, sagt der Obermeister. 1992/93, als er gelernt habe, seien es noch 200 gewesen – allein in der Stadt Dresden.

Jeder vierte Betrieb beklagt schlechte Lage

Ähnlich wie Kittel sehen es die meisten Chefs im Bauhandwerk in Ostsachsen. Jeder vierte Betrieb im Kammerbezirk Dresden klagt über eine schlechte Geschäftslage und erwartet, dass sich diese in den nächsten Monaten weiter verschlechtern wird. Fast jeder zweite Betrieb bilanziert sinkende Umsätze und fehlende Aufträge. Das sind die Ergebnisse der aktuellen Umfrage zur Frühjahrskonjunktur. Sie wurden am Mittwoch von Handwerkskammerpräsident Jörg Dittrich und Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski vorgestellt.

Mit 97 Punkten im Geschäftsklimaindex ist die Stimmung im Bauhandwerk am düstersten. Insgesamt steht der Index bei 104 Punkten, acht Punkte niedriger als vor einem Jahr. Von den großen Bauvorhaben der Chipindustrie im Dresdner Norden, wo Infineon gerade seine zweite Fabrik hochzieht, profitieren laut der Kammer bislang nur einige wenige Handwerksfirmen von Aufträgen. Ob sich das mit voranschreitendem Bauarbeiten ändert, werde sich zeigen. Brzezinski geht davon aus, dass Aufträge den größeren Betrieben vorbehalten sein werden.

"Die Politik muss der Bauwirtschaft stärker unter die Arme greifen"

„Wenn der Bau nicht aus der Krise kommt, kommt Deutschland nicht aus der Rezession“, unterstreicht Dittrich die Bedeutung. 60 Prozent der Mitgliedsbetriebe hätten direkt oder indirekt mit Bau zu tun. Die Branche leidet unter hohen Baupreisen, steigenden Zinsen, Fachkräftemangel und dem „alarmierenden“ Auftragseinbruch im Wohnungsbau. Die Zahl der Baugenehmigungen hat sich im Vergleich zu vor zwei Jahren nahezu halbiert.

„Die Politik muss der Bauwirtschaft stärker unter die Arme greifen“, fordert Brzezinski. Notwendig seien zinsverbilligte Darlehen für den Erwerb von Wohneinkommen. Die Einkommensgrenzen für Förderung sollten angehoben und das Baukindergeld wieder eingeführt werden. Auch die energetischen Vorschriften und Standards für Neubau dürften nicht weiter verschärft werden.

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Wo das Geld für die Umsetzung der Vorschläge herkommen soll, wollte Dittrich nicht beantworten. „Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen, wo gespart werden soll, bei Sozialleistungen oder anderen Ausgabenposten. Wir müssen darauf hinweisen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Bauwirtschaft anzukurbeln“, betonte der Kammerpräsident. Er ist auch Präsident des Deutschen Handwerkstages.

Duale Ausbildung und Studium gleichwertig

Ähnliches gilt bei der Fachkräftegewinnung. Die Handwerkskammer hatte bereits in der vergangenen Woche zum ersten Jahrestag des Pakts zur Gewinnung ausländischer Fach- und Arbeitskräfte in Sachsen kritisiert, dass die Bilanz nach einem Jahr „sehr bescheiden“ sei. Derweil werde die Arbeitskräftelücke weiterwachsen. Der Personalmangel sei schon heute eine Wachstumsbremse. „Wie kann man die Wertschätzung für die berufliche Bildung erhöhen“, hinterfragt deshalb die Interessenvertretung von rund 21.000 Betrieben in Ostsachsen. Sie fordert, die Gleichwertigkeit von dualer und akademischer Bildung gesetzlich zu verankern. Es sei wesentlich leichter, die Modernisierung eines Audimax in einer Hochschule zu finanzieren als die Sanierung eines Berufsbildungszentrums für das Handwerk, kritisiert Dittrich.

Geregelt ist die Gleichwertigkeit im sogenannten „Qualifikationsrahmen“. In Österreich sei er als verbindlich erklärt, in der Schweiz sogar in der Verfassung verankert. Diesen Gesetzesrang fordert die Kammer nun auch für Deutschland. Dann könnte es auch nicht länger möglich sein, ein Semesterticket für Studierende zu finanzieren, aber kein Azubiticket etwa für Lehrlinge im Handwerk.

Derweil saniert Obermeister Roman Kittel in Dippoldiswalde das älteste Haus im Ortsteil Hennersdorf. Das Baudenkmal, einst eine Schmiede, war nach Jahrzehnten des Verfalls zum Schandfleck des Dorfes geworden. Es soll nun ein schickes Begegnungszentrum werden. Sein hoffnungsvoller Name: „Glücksschmiede“.