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Himmelfahrt an Halloween: Astronaut Maurer fliegt zur ISS

Als erster Deutscher reist Matthias Maurer mit einer privaten Raumkapsel ins All. Er hat lange hart trainiert und für den Notfall auch gelernt, wie man Zähne zieht.

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ESA-Astronaut Matthias Maurer aus Deutschland startet am Sonntag zur Internationalen Raumstation (ISS).
ESA-Astronaut Matthias Maurer aus Deutschland startet am Sonntag zur Internationalen Raumstation (ISS). © Robert Markowitz/Nasa/Jsc Imag/dpa

Houston. Nächster Halt: Raumstation. Erstmals seit drei Jahren fliegt wieder ein Deutscher ins All - und Matthias Maurer kann den Start am Sonntag (31.10.) kaum erwarten. "Da draußen ist so viel, was wir noch nicht erforscht haben und noch nicht verstehen. Und dieses unglaubliche Abenteuer, den Weltraum und alles, was darin vorkommt, zu entdecken, ist einfach faszinierend", sagt Maurer voller Vorfreude auf seine Entdeckermission auf der Raumstation ISS.

Rund ein halbes Jahr lang wird der Astronaut der europäischen Raumfahrtagentur Esa auf dem Außenposten der Menschheit leben. Er will dabei auch ein guter Botschafter für die Menschen auf der 400 Kilometer entfernten Erde sein. "Wer Interesse am Thema Raumfahrt hat, darf sich auf neue Fotos, Videos und mehr aus dem All freuen", erzählt der gebürtige Saarländer.

"Ich bin sehr aufgeregt, dass ich vor meinem ersten Flug ins All stehe", sagte Maurer bei einer kurzen Pressekonferenz nach der Ankunft am Weltraumbahnhof Cape Canaveral.
"Ich bin sehr aufgeregt, dass ich vor meinem ersten Flug ins All stehe", sagte Maurer bei einer kurzen Pressekonferenz nach der Ankunft am Weltraumbahnhof Cape Canaveral. © Rolf Vennenbernd/dpa

Nach seinem Start an Halloween wird Maurer der zwölfte Deutsche im All sein. Nur die Raumfahrtgroßmächte Russland und USA haben mehr Menschen in den Kosmos geschickt. Als erster Deutscher wird er vom US-Weltraumbahnhof Cape Canaveral zusammen mit drei US-Kollegen - zwei Männer und eine Frau - mit einer "Crew Dragon"-Kapsel fliegen.

Das ist auch ein Zeichen für den Paradigmenwechsel im All: Maurers Vorgänger sind etwa mit russischen "Sojus"-Kapseln oder dem Space Shuttle zum Koloss im Kosmos gereist. Maurers Raumschiff hingegen stammt von einer Privatfirma: von SpaceX des Tesla-Chefs Elon Musk.

Auf den ersten Blick haben "Sojus" und "Crew Dragon" vieles gemeinsam. Im "Dragon" fühle man die auf den Körper wirkenden Kräfte beim Start aber deutlich stärker, sagt US-Astronautin Shannon Walker, die in beiden Kapseln geflogen ist. "Man fühlt sich, als ob das Gesicht nach hinten gedrückt wird." Dafür biete "Crew Dragon" mehr Platz.

Dieses Bild der Internationalen Raumstation in der Umlaufbahn wurde vom Space Shuttle Endeavour vor dem Andocken aufgenommen. Die meisten Komponenten der Station sind auf diesem Foto deutlich zu erkennen.
Dieses Bild der Internationalen Raumstation in der Umlaufbahn wurde vom Space Shuttle Endeavour vor dem Andocken aufgenommen. Die meisten Komponenten der Station sind auf diesem Foto deutlich zu erkennen. © Nasa/dpa

Jedes Raumschiff habe darüber hinaus ganz spezielle Systeme, weswegen die Astronauten für jedes Raumschiff eigens geschult werden müssten, sagt eine Sprecherin der US-Raumfahrtbehörde Nasa.

Mit 51 Jahren ist Maurer der älteste deutsche Raumfahrer bei einem Erstflug. Der Mann mit einem Doktortitel in Materialwissenschaft ließ nach seiner Esa-Bewerbung mehr als 8.000 Kandidaten hinter sich und trainierte jahrelang für die Reise in die Schwerelosigkeit. "Im Fall der Fälle müssen wir unseren Kolleginnen und Kollegen helfen können", sagt Maurer. "Sehr umfassend" sei die Ausbildung. "Im Extremfall können wir auch eine Zahnfüllung reparieren oder einen Zahn ziehen."

Maurer ist der vierte Deutsche auf der ISS, die mit rund 28.000 Stundenkilometern in etwa 90 Minuten einmal um den Erdball rast. Raumfahrer schwärmen vom Blick auf unseren Planeten. Nachts funkeln Städte als Leuchtfeuer der Zivilisation, tagsüber glitzern Ozeane. Gut ein Dutzend Nationen - neben den USA und Russland vor allem Europäer sowie Japan und Kanada - beteiligen sich an der ISS. Sie ist seit 2000 dauerhaft bewohnt und gilt als technische Großtat - trotz Mängeln. Als bisher letzter Deutscher flog Alexander Gerst 2018 hin.

Astronautin Samantha Cristoferetti (l) und Astronaut Matthias Maurer (M) winken während eines Parabelflugs.
Astronautin Samantha Cristoferetti (l) und Astronaut Matthias Maurer (M) winken während eines Parabelflugs. © Anneke Le Floc'h/ESA/dpa

Während seiner Mission namens "Cosmic Kiss" wird Maurer mehr als 100 Experimente durchführen, davon 36 mit deutscher Beteiligung. Eins davon ist ein Fitnessanzug mit eingebauten Elektroden, der mit leichten elektrischen Impulsen den Muskelaufbau unterstützen soll.

Die Experimente seien auch eine Leistungsschau für Deutschland, sagt Volker Schmid, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für die Mission zuständig. "Das trifft vor allem für innovative Neuheiten und Technologien zu." Das deutsche Engagement auf der ISS koste jeden Bundesbürger pro Jahr umgerechnet zwei Euro - gut angelegtes Geld, wie Schmid meint. "Jeder investierte Euro erzielt eine Rendite von etwa einem Euro." Ihm zufolge lassen sich die Experimente auf der ISS in keinem Labor der Erde durchführen.

Maurer ist während des Trainings im Neutralen Auftriebslabor (NBL) der NASA halb im Wasser eingetaucht.
Maurer ist während des Trainings im Neutralen Auftriebslabor (NBL) der NASA halb im Wasser eingetaucht. © Stephane Corvaja/ESA/dpa

Wie aufwendig eine solche Mission ist, verdeutlicht diese Zahl: Etwa 1.500 Menschen seien "alles in allem" in Europa involviert, sagt Schmid. Sie kommen aus der Industrie, von Instituten und Hochschulen.

Bisher waren aus Deutschland nur Männer im All - wann fliegt die erste Frau? "Tatsache ist, dass sich deutlich weniger Frauen als Männer für die Position bewerben", sagt Europas ehemaliger Raumfahrtchef Jan Wörner dazu. Das sei bei der Bewerbungsrunde 2008 und auch jetzt wieder der Fall gewesen. Er hoffe aber, dass im laufenden Prozess mehrere Frauen in die Auswahl kämen, betont Wörner, der von Juli 2015 bis Februar 2021 die Esa leitete. "In besonderer Weise können gerade Astronautinnen ein Vorbild für Frauen sein."

Und wie wird Maurers Tag auf der ISS aussehen? "Wie in der Schule", sagt Deutschlands nächster Mann im All. "Wir schauen morgens auf den Stundenplan und sehen, was als Erstes ansteht - normalerweise eine Besprechung. Dann funken wir runter nach Texas, USA, Köln, Russland und Japan, dann wird der Plan besprochen." Die ISS-Besatzung habe eine 5,5-Tage-Woche, da sie auch samstagvormittags arbeite.

Matthias Maurer in seiner Extravehicular Mobility Unit (EMU).
Matthias Maurer in seiner Extravehicular Mobility Unit (EMU). © Robert Markowitz/ESA/NASA/dpa

"Samstagmittag wird die Station gereinigt, sonntags haben wir Freizeit. Die verbringen wir mit Fotografieren, Videoaufnahmen und mit Telefonaten mit Freunden und der Familie am Boden", sagt Maurer. Unlängst veröffentlichte er eine Liste mit 113 Liedern, die er im All hören möchte, etwa "Sternenhimmel" von Hubert Kah oder "The Final Countdown" von Europe. "Ich denke, sie ist ziemlich gut geworden."

Privatkleidung nimmt Maurer nicht mit. "Es gibt Standardkleidung. Zum Beispiel haben Astronautinnen so viel Unterwäsche, dass sie diese alle zwei Tage wechseln können, Astronauten wechseln alle drei Tage."

Er habe pro Woche ein T-Shirt, das er dann in der Folgewoche zum Sport trage. "Für meine sechsmonatige Mission habe ich sechs Hosen dabei - eine pro Monat. Da muss man schon aufpassen, dass man sich nicht schmutzig macht", sagt er schmunzelnd. Auf der ISS gebe es keine Waschmaschine. Schmutzwäsche und Ähnliches packt die Besatzung in einen ausgedienten Transporter, der abgedockt wird und verglüht. (dpa)