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Sachsens Wirtschaftswachstum kommt nächsten Sommer zurück

Der Dresdner Konjunkturforscher Joachim Ragnitz erwartet eine „milde“ Rezession für diesen Winter. Schon in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres soll Sachsens Wirtschaft wieder wachsen.

Von Georg Moeritz
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Sachsens Wirtschaft trotzt den Turbulenzen, schreibt das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Im Foto Wacker-Chemie in Nünchritz bei Riesa.
Sachsens Wirtschaft trotzt den Turbulenzen, schreibt das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Im Foto Wacker-Chemie in Nünchritz bei Riesa. © Archivfoto: SZ/Eric Weser

Dresden. Sachsens Wirtschaft scheint glimpflich und schnell aus der Krise herauszukommen: Der Dresdner Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut erwartet nur eine "Delle" im Wirtschaftswachstum. Nach einer "milden" Rezession in diesem Winter werde die Wirtschaft in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres wieder auf einen Wachstumspfad einschwenken.

Ragnitz sagte am Mittwoch in Dresden, die Auswirkungen von Energiekrise und unterbrochenen Lieferketten seien nicht so schlimm, wie er im Sommer noch erwartet hatte. Das zeigten die Früh-Indikatoren, zu denen die Ifo-Umfragen in Betrieben gehören. Die Erwartungen der Unternehmer hätten sich zum Jahresende gebessert. Die Hilfsprogramme der Bundesregierung gäben ihnen wieder Zutrauen. Außerdem dürften die Nachschublieferungen im nächsten Jahr wieder besser funktionieren.

Die Konjunkturforscher beziffern Sachsens Wirtschaftswachstum für dieses Jahr auf 1,7 Prozent, für nächstes Jahr steht eine Null in ihrer Tabelle - also Stagnation. Für das Jahr 2024 sagt Ifo wieder 1,6 Prozent Wachstum für ganz Deutschland voraus, für Sachsen werden noch keine Zahlen genannt.

Ostsee-Urlauber tragen zum Wirtschaftswachstum bei

Allerdings unterscheidet sich das Wirtschaftswachstum in Sachsen nur noch geringfügig vom gesamtdeutschen. Sachsens Wirtschaft ist kleinteiliger und hat weniger Industrie als Deutschland insgesamt. Im Vergleich mit den anderen neuen Ländern sei Sachsen aber langfristig "besser aufgestellt", sagte Ragnitz. Neuansiedlungen wie die Großforschungszentren in der Lausitz und die erhoffte Erweiterung der Infineon-Mikrochipfabrik in Dresden würden erst in einigen Jahren zum Wachstum beitragen.

Die Engpässe bei Vorprodukten und Energie haben Sachsens Wirtschaft stärker getroffen als die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt. Autofabriken mussten im Frühjahr vorübergehend die Produktion drosseln. Ragnitz stellte einen leichten Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden fest. Zugleich profitierten Ostseeküste und Berlin stärker als Sachsen davon, dass Verbraucher nach der Corona-Krise wieder Geld für Urlaub und Konsum ausgeben wollten. Daher ist das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr in Ostdeutschland etwas höher als in Sachsen: 2,1 Prozent. Für nächstes Jahr rechnet Ragnitz mit einem Rückgang um 0,2 Prozent für Ostdeutschland.

Die Zahlungsbereitschaft für Freizeitaktivitäten habe nach dem Verzicht zugenommen, sagte Ragnitz. Manche Anbieter hätten daraufhin ihre Preise und Gewinne erhöht, die Inflation sei nicht nur wegen erhöhter Kosten gestiegen. Nächstes Jahr wird die Inflation nach Ifo-Berechnungen etwas geringer ausfallen. Doch das Preisniveau bleibe hoch und reduziere die verfügbaren Einkommen, sagte Ragnitz.

In Sachsen etwa 2.000 Menschen mehr in Arbeit

Die vorübergehende Rezession wird den Arbeitsmarkt laut Ragnitz kaum verschlechtern. Dieses Jahr ist nach seiner Rechnung die Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen um etwa 2.000 gewachsen, nächstes Jahr werden es etwa 2.000 weniger. Die Betriebe würden mehr Menschen einstellen, fänden aber nicht immer die passenden Bewerber. In Brandenburg baue die Tesla-Autofabrik Beschäftigung auf, Kohlekraftwerke liefen weiter, aber für den Arbeitsmarkt insgesamt mache das nicht viel aus. Das Land Sachsen stelle mehr Lehrer und Polizisten ein, zudem würden Fachleute zur Umsetzung der Energiewende gebraucht.

Im Baugewerbe ist laut Ragnitz ein "nie dagewesener Boom" zu Ende gegangen. Niedrige Zinsen und der Zuzug in Großstädte trieben den Bau an. Nun seien Preise und Zinsen sehr stark gestiegen, sodass Bauherren ihre Vorhaben verschoben oder stornierten. In einer Ifo-Umfrage nannte zuletzt etwa die Hälfte der Bauunternehmer ihre Lage gut, die andere Hälfte nicht. Während Sachsens Industrie und die öffentlichen Dienstleister im nächsten Jahr wachsen werden, steht laut Ifo-Prognose ein Minus bei Baugewerbe, Handel, Gastgewerbe und Verkehr bevor.

Der öffentliche Dienst trägt laut Ragnitz zur Stabilisierung der Wirtschaft bei. Der Staat nehme wegen der gestiegenen Preise mehr Steuern ein, müsse sich aber auch auf steigende Ausgaben einstellen. Ragnitz äußerte die Sorge, Sachsen könne "in eine ähnliche Falle wie Sachsen-Anhalt" laufen, wenn das Land Rücklagen aufbrauche und steigende Kosten nicht ausreichend einplane. Ragnitz nannte die staatlichen Hilfsprogramme für Energieverbraucher verständlich. Allerdings beflügele das zusätzliche Geld wieder die Nachfrage, das dämpfe nicht die Inflation.