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Kreischa: Biberfamilie verwandelt unscheinbaren Bach in eine Seenplatte

Die Nager haben sich in einem Seitental des Lockwitzbaches angesiedelt. Zu sehen sind die Tiere kaum, dafür umso mehr ihre Baukunst.

Von Annett Heyse
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So sieht ein Biber aus, das Bild wurde jedoch nicht bei Kreischa aufgenommen - hier versteckte sich der Biber vor dem Fotografen.
So sieht ein Biber aus, das Bild wurde jedoch nicht bei Kreischa aufgenommen - hier versteckte sich der Biber vor dem Fotografen. © Friedheim Richter

Still ruht der See. Nur ab und zu kräuselt ein Luftzug die Wasseroberfläche. Irgendwo hoch oben hackt ein Specht auf einen Baum ein. Christian Wosch geht voran, dicht gefolgt von Gesine Ende. Beide haben Gummistiefel an, denn nun wird es matschig.

Es geht steil die Böschung hinab, doch keine Bäumchen - wie noch vor wenigen Monaten - versperren ihnen den Weg. Von ihnen sind nur die noch dünnen Stämme übrig geblieben. Wie Bleistiftstummel ragen sie spitz nach oben. Dahinter breitet sich eine Seenlandschaft aus. Ein paar Meter weiter sind weitere Bleistiftstummel-Stämme auszumachen, größere und kleinere. Die dazugehörigen Bäume - alle weg. Der Fall ist klar: Hier war ein Biber am Werk.

"Fantastisch, ein faszinierendes Tier", schwärmt Gesine Ende. Sie ist ehrenamtliche Naturschutzhelferin und dem Biber seit einiger Zeit schon auf der Spur. Christian Wosch arbeitet im Landratsamt, Untere Naturschutzbehörde, er verfolgt die Biberaktivitäten im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge von Amts wegen. Wo beide jetzt stehen, soll nicht genannt werden. Man möchte keinen Biber-Tourismus. Nur so viel: Es handelt sich um ein Seitental des Lockwitzbaches nahe Kreischa.

Eine Schlammpackung für den Biberdamm

Durch dieses Seitental fließt ein Bach. Vor einigen Jahren wurde dieser Bach vom Hochwasser ausgespült und anschließend renaturiert. "Die Gewässersohle wurde angehoben und mit dem Einbau von Steinen Ruhezonen und lebhaftere Bereiche geschaffen. Anschließend haben wir am Ufer noch neue Bäume gepflanzt", berichtet Susann Kamprad, in der Gemeinde Kreischa für grüne Themen zuständig und die Dritte im Bunde.

Der Bachlauf ist längst nicht mehr auszumachen. Großflächig steht das gesamte Tal unter Wasser. Mehrere Biberdämme, die wie Staustufen wirken, halten das Wasser zurück und haben mehrere Seen entstehen lassen. Und die Dämme wachsen. "Schauen Sie mal", sagt Gesine Ende und zeigt auf einen der Dämme. "Hier hat der Biber den Damm mit Schlamm verdichtet."

Ein Biberdamm besteht meistens aus Zweigen und starken Ästen, dieser wurde zusätzlich noch mit Schlamm abgedichtet.
Ein Biberdamm besteht meistens aus Zweigen und starken Ästen, dieser wurde zusätzlich noch mit Schlamm abgedichtet. © Egbert Kamprath

Tatsächlich versperren Äste und Zweige scheinbar wild übereinander gestapelt und ineinander verkeilt dem Wasser den Weg. Darauf ruht der Schlamm. Nur ein kleiner Teil Wasser fließt weiter durch den Damm. Wie ein Bulldozer würde der Biber arbeiten, ergänzt Christian Wosch. "Der schiebt den Schlamm vor sich her und auf den Damm drauf."

Erste Begegnung in der Kläranlage

Ein Biber wurde bei Kreischa erstmals um 2015 beobachtet. Damals zog ein Exemplar in die Kläranlage Kreischa ein. Eines Tages sahen ihn die Klärwärter im Regenrückhaltebecken. Wochenlang sorgte das Tier, dass in einem Rohr wohnte, für Gesprächsstoff. Später tauchte der schwimmgewandte Säuger an verschiedenen Stellen im Lockwitztal auf, fällte Bäume, baute Dämme und grub sich unterirdische Wohnröhren.

"Ein Biberrevier kann zwischen einem und drei Kilometer lang sein, manchmal auch fünf Kilometer - je nachdem, wie das Gelände beschaffen ist", erklärt Gesine Ende. Und der Kreischaer Biber ist nicht das einzige Exemplar seiner Gattung im Landkreis.

Christian Wosch, Gesine Ende und Susann Kamprad (v.l.) vor einem der Biberteiche, wo einst ein nur kleiner Bach floss.
Christian Wosch, Gesine Ende und Susann Kamprad (v.l.) vor einem der Biberteiche, wo einst ein nur kleiner Bach floss. © Egbert Kamprath

Christian Wosch hat einen guten Überblick, wo der einst wegen seines Pelzes so begehrte Baumeister siedelt. An der Gottleuba und im Müglitztal beispielsweise. Zeitweise wurde ein Tier auch in der Talsperre Gottleuba gesichtet. "Der Biber wandert verstärkt in die Gewässer zweiter Ordnung ein", erklärt der Mann von der Naturschutzbehörde. Damit sind die kleinen Seitentäler der Elbe gemeint.

Zusammenhängen könnte die Eroberung dieser neuen Territorien mit den heißen Sommern vergangener Jahre. Flüsse wie Müglitz, Lockwitz und Gottleuba waren den Tieren bisher zu wild, zu strömungsreich. Der Kraft des Wassers hätten die Dämme kaum etwas entgegenzusetzen gehabt. Aufgrund der langanhaltenden Niedrigwasserphasen jedoch werden die Flüsschen ruhiger, zahmer - ideale Voraussetzungen für Baumeister Biber, die Gewässer nach seinen Wünschen umzugestalten und von da aus weiter in Nebenbäche zu ziehen.

Biberteiche sorgen für Artenreichtum

Nirgendwo ist das derzeit besser zu beobachten als bei Kreischa. Gesine Ende und Christian Wosch vermuten, dass hier kein einzelnes Tier, sondern mittlerweile eine komplette Biberfamilie siedelt. "Die vielen Dämme und abgenagten Bäume - das müssen mehrere sein", ist sich Ende sicher.

Umgelegt: Der Biber nagt sich um die Baumstämme herum, übrig bleiben Stummel, die wie Bleistifte aus dem Waldboden ragen.
Umgelegt: Der Biber nagt sich um die Baumstämme herum, übrig bleiben Stummel, die wie Bleistifte aus dem Waldboden ragen. © Egbert Kamprath

Und die Biberteiche sind aus Sicht der Naturschützer ein Segen für die Natur. Denn es wird Wasser zurückgehalten, dass auch für viele andere Tierarten wichtig ist. "Biberteiche sind die Kinderstube für Fische, sie sind lebenswichtige Biotope für Amphibien, Reptilien, Insekten, Vögel", zählt Gesine Ende auf. Sie denkt da beispielsweise an den Eisvogel, aber auch an viele nässeliebenden Pflanzen und Stauden. Christian Wosch ergänzt, dass mit jedem Biberteich der Grundwasserspiegel steigt und der Totholzanteil zunimmt, dass Flachwasserzonen und Röhrichte entstehen. Und damit verbunden wiederum die Biodiversität, also die Artenvielfalt, sprunghaft ansteigt.

Es ist ein Schauspiel, dem sich auch Susann Kamprad nicht entziehen kann. Zum Glück für die Gemeinde und alle Naturfreunde: Der kleine Bach bei Kreischa liegt abseits in der Landschaft, Baumeister Biber stört mit seinen Baumfäll-Aktionen keinen Straßenverkehr und bedroht keine Gebäude. Lediglich eine Wiese, die im Sommer für die Heuernte und als Weidefläche genutzt wird, steht vorerst teils unter Wasser. "Da müssen wir mal sehen, wie die Eigentümer zum Biber stehen und ob sich dort ein Konflikt anbahnt. Aber viele Kreischaer freuen sich, dass der Biber da ist", sagt Kamprad.

Die Tage verbringt der Biber in seiner Wohnhöhle

Beobachten lassen sich die Nager nur schwer. Biber sind dämmerungs- und nachtaktiv. Die Tage verschlafen sie in ihren unterirdischen Röhren und Wohnhöhlen oder auch mal an einem sonnigen Platz. Mitunter schichten die Tiere mitten im Wasser große Holzhaufen mit Zugang von unten an, die Biberburgen. Vier Stück haben die Naturschützer in dem kleinen Bachtal bei Kreischa gezählt, möglicherweise sind es auch noch mehr - das Gelände ist etwas unübersichtlich geworden.

In der Bildmitte ist eine Biberspur auszumachen. Zu beobachten sind die Tiere am Tag eher selten - sie sind dämmerungs- und nachtaktiv.
In der Bildmitte ist eine Biberspur auszumachen. Zu beobachten sind die Tiere am Tag eher selten - sie sind dämmerungs- und nachtaktiv. © Egbert Kamprath

Biber sind Pflanzenfresser und als Holzfäller vor allem in der kalten Jahreszeit aktiv. "Dann gibt es nicht so viel Grünzeug, also ernähren sie sich von der Rinde der Bäume", erklärt Christian Wosch. Vor allem auf die jungen Zweige haben es die Tiere abgesehen. Ist ein Baum gefällt, wird er regelrecht entastet. Dabei legen sich die Biber vor dem Winter sogenannte Biberflöße an. Sie schleppen die jungen Zweige unter Wasser und deponieren sie als Nahrungsvorrat direkt vor dem Zugang zu ihrer Wohnhöhle.

Wer jetzt denkt, dass der Biber langfristig dem Wald schade, irrt. Insbesondere Weidenzweige, die vom Tier in Dämme oder Burgen eingebaut werden, schlagen oft wieder aus und bilden die Grundlage für einen neuen Baum. An etliche Baumarten, insbesondere Hartholz, geht Meister Biber gar nicht oder eher selten ran.

Aber manche Bäume, da ist sich Christian Wosch sicher, werden die Biber-Aktivitäten nicht überleben - auch wenn sie nicht angenagt werden. Insbesondere die Eichen auf den überfluteten Flächen halten der Nässe nicht ewig stand. Wosch: "Der Biber gehört zu den wenigen Tierarten, die eine Landschaft total umgestalten können."