Star-Autor Frank Schätzing will die Welt retten

Frank Schätzing (63) zählt zu den erfolgreichsten Autoren Deutschlands. Sein in 27 Sprachen übersetzter Tiefsee-Thriller „Der Schwarm“ hat eine Auflage von 4,5 Millionen Exemplaren erreicht. Eigentlich saß er gerade daran, einen neuen Thriller zu schreiben. Dann kam die Corona-Krise und mit ihr die Idee, sich stattdessen in einem Sachbuch mit einem viel größeren Problem als einer weltweiten Pandemie zu befassen: dem Klimawandel. Der Kölner Erfolgsautor erklärt im Interview, wie Corona- und Klimakrise zusammenhängen und was wir auf dem Weg in eine bessere Zukunft richtig machen können.
Herr Schätzing, dieses Interview findet nicht vor Ort in Köln statt, sondern aus der Ferne per Zoom. Haben die Pandemie und ihre Folgen – eine davon ist ja auch Zoom – dem Klima gutgetan?
Ja, und zwar verspätet. Ein Jahr lang schien Klimaschutz in Vergessenheit geraten zu sein, da Corona alles überlagerte. Tatsächlich hilft uns das Virus jetzt, Dinge in einem höheren Zusammenhang zu sehen – etwa Pandemien und Erderwärmung, weil sich durch unseren Einfluss Klimazonen verschieben und Erreger in Gebiete gelangen, in denen Mensch und Tier nicht auf sie vorbereitet sind. Corona ist ein Arschloch, keine Frage. Aber es weitet unseren Blick fürs große Ganze.
Zerstören wir gerade unseren Lebensraum, die Erde?
Wir sind seit geraumer Weile dabei.
Wie tun wir das?
Die allermeiste Zeit in der Geschichte des Homo sapiens haben wir uns dem Planeten angepasst. Es waren mehr Ressourcen vorhanden als Menschen. Jetzt versuchen wir, den Planeten uns anzupassen. Längst gibt es mehr Menschen als Ressourcen. Wir überstrapazieren unsere Existenzgrundlagen und verprassen die Dividenden von Jahrmillionen, Öl, Kohle, Gas, die Mutter Natur gewissermaßen für uns angespart hat, nach dem Motto: „Teilt’s euch ein.“ Aber wir sind wie Kinder, wenn’s Schokolade gibt. Alles wird verputzt. Dabei blasen wir über Erdzeitalter eingelagertes CO 2 binnen weniger Jahrzehnte in die Atmosphäre. Glaubt einer, das bliebe ohne Folgen? Wir fügen unserer Welt irreversible Schäden zu.
Mit der Art und Weise, wie wir leben?
Mit den Narrativen, in denen wir leben. Mit fabulösen Erzählungen vom nie endenden Wachstum und der ständigen Verfügbarkeit von allem zum Billigpreis. Wir haben unseren Sinn für die Begrenztheit und den Wert der Dinge verloren. Fleisch zum Beispiel ist eine kostbare Ressource. Nur, wenn ein Pfund Schweinenacken 1,99 Euro kostet, kommt einem dafür der Blick abhanden. Wenn Leute meckern, weil sie für den Download eines Songs 99 Cent bezahlen sollen, haben sie offenbar keinen Schimmer davon, wie Musik entsteht und wer davon lebt. Ein T-Shirt für einen Euro? Schnäppchen. Dass Mensch und Natur darunter leiden, landet im blinden Fleck.
Um all das auf den Punkt zu bringen, haben Sie ein Sachbuch über die Klimakrise geschrieben.
Ich hatte das Gefühl, ich muss was tun. Klar spielte auch die Situation im letzten Jahr eine Rolle. Sprach man Leute auf den Klimawandel an, hieß es: „Komm mir bloß nicht auch noch damit!“
Warum sind wir so?
Na ja, Menschen sind nicht wirklich multikatastrophenfähig. Reagieren auf die unmittelbare Gefahr und verlieren dabei die größere Bedrohung aus den Augen. Oft mangelt es auch schlicht an Wissen. Wir sehen die Symptome, aber nicht die Ursache, und die Symptome werden falsch gedeutet. Es gibt nicht das eine ikonische Bild für den Klimawandel. Ein Erdbeben sieht aus wie ein Erdbeben. Krieg sieht aus wie Krieg. Aber Klimawandel? Was bedeutet es, in einer zwei oder drei Grad wärmeren Welt zu leben? Also habe ich die erste Hälfte des Buches für Erklärungen verwendet: Was unterscheidet Wetter und Klima, natürlichen und menschengemachten Klimawandel, was sind Kippelemente und Kipppunkte, warum ist Klimawandel keine Glaubenssache, sondern Fakt? Wir brauchen diese Verständnispower, um handeln zu können. In der zweiten Hälfte geht es um unsere Optionen. Was müssen Politik und Wirtschaft jetzt vorrangig tun? Was können sie, was kann jeder tun?
Ihr Verlag spricht von einem „Pageturner zur Klimakrise“. Nun sind Bücher über das Klima oft eher schwere Kost. Und zwar aus zwei Gründen: wegen komplizierter Begriffe und Zusammenhänge, aber auch, weil man realisiert: Oh verdammt, die Welt geht tatsächlich unter! Was machen Sie anders?
Ich bin Geschichtenerzähler. So gehe ich auch an Sachbücher heran. Ich erzähle die Geschichte unseres Hierseins, unserer Vergangenheit, unserer Zukunft. Je packender ich das tue, desto größer die Chance, dass mir jemand zuhört. Ich will ja niemanden verschrecken. Ich will Menschen fesseln, ihre Aufmerksamkeit, letztlich ihre Unterstützung gewinnen. Es gibt nichts Spannenderes als die Netflix-Serie, in der wir leben. So gesehen ist der Klimawandel ein Abenteuer, in dem jeder ein Held sein kann.
Sie schreiben: „Wir können Einfluss nehmen. Wenn wir nur wollen.“ Wollen wir denn?
Ich glaube schon! Das stelle ich in mehr und mehr Gesprächen fest. Das Schlimme an Corona ist ja, dass es uns in kollektive Ohnmacht stürzt. Tu dies nicht, tu das nicht, geh nicht aus dem Haus, triff niemanden. Unser Gestaltungsspielraum schrumpft auf ein Nichts. Die Menschen sehnen sich danach, etwas zu bewegen, zurück ins Handeln zu finden, und Klimaschutz schafft Gestaltungsräume. Vielen ist zuletzt klar geworden, dass etwas grundlegend schiefläuft: Klima, Pandemie, Massentierhaltung, Armut, häusliche Gewalt, Sexismus, Rassismus, alles hängt zusammen. Die Bereitschaft, sich zu ändern, wächst. Vielfach noch unterschwellig, aber es geschieht. Ich glaube, 2021 wird ein Klimajahr.

Wie meistern wir die Klimakrise?
Absolute Priorität hat, die weitere Erwärmung des Planeten zu stoppen. Ob wir am Ende bei 1,5, 1,75 oder 2 Grad Celsius landen, kann niemand sagen. Keinesfalls dürfen wir drüber gelangen! Das würde Kaskadeneffekte in Gang setzen, die wir nicht mehr kontrollieren können. Das völlige Abtauen der Gletscher, Wegschmelzen des polaren Eises, die Versteppung von Regenwäldern, das wäre dann nicht mehr zu stoppen. Unsere Enkel würden in der Hölle aufwachsen.
Sie richten im Buch scharfe Kritik an die Bundesregierung. Verliert Deutschland beim Klima den Anschluss?
Wir haben ihn schon verloren. Noch können wir aufholen. Dafür müssen wir bedeutend mutiger werden.
Wie zum Beispiel?
Etwa in der Energieerzeugung. Bis 2038 Kohle zu verbrennen, ist absurd. Spätestens 2030 muss Schluss sein. Kritiker mahnen, dann drohten Versorgungslücken. Stimmt, solange die Bundesregierung fossile Energien höher subventioniert als erneuerbare. Die Lösung lautet, alle Kraft in die rasche Vollversorgung durch Erneuerbare zu stecken, in grüne Innovation, in den Ausbau grüner Infrastrukturen. Die Politik muss schneller und entschiedener auf nachhaltige Energieversorgung umstellen, die Industrie grüne Wertschöpfung implementieren. Was es braucht, liegt auf dem Tisch. Wir haben keinen Ideenstau, wir stecken im Umsetzungsstau.
Keine Chance mehr für „Geiz ist geil“
„Fridays for Future ist der Beginn der Revolution“, heißt es in Ihrem Buch. Glauben Sie an eine Klimarevolution?
Ich hoffe drauf. Fridays for Future haben vorgelegt, jetzt brauchen sie den Rückhalt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Zeiten, da Klimaschutz Sache engagierter Minderheiten war, sind vorbei. Aber man muss den Menschen ihre Ängste nehmen – ein Grund, warum ich das Buch geschrieben habe. Viele fühlen sich der Erderwärmung schutzlos ausgeliefert. Andere fürchten, Bewegungen wie Fridays for Future wollten ihnen alles wegnehmen, um es anderweitig zu verteilen.
Es ist ein häufiger Vorwurf an die Klimaaktivisten, sie wollten einem den Flug, die Wurst oder das Auto verbieten.
Hier und da wird sicher zu dogmatisch kommuniziert. Es geht aber nicht ums Wegnehmen, sondern um ein besseres Leben für 7,77 Milliarden Menschen. Dieses bessere Leben wird vielleicht nicht mehr mit dem gewohnten Überfluss, ständiger Verfügbarkeit von allem und jedem und „Geiz ist geil“ einhergehen, dafür aber mit mehr Qualität! Wir werden Dinge wieder mehr wertschätzen. Unterm Strich wird das Leben sogar schöner, auch hierzulande. Bleiben wir beim Beispiel Fleisch. Wer seinen Fleischkonsum freiwillig auf zwei- statt sechsmal die Woche reduziert, nicht aber sein Budget dafür, kann dreimal so viel für gutes Biofleisch ausgeben und wird feststellen, wie unfassbar lecker ein Steak schmecken kann! Wir kennen das doch: Erst empfindet man etwas als unzumutbar, dann macht man’s und kann es sich bald nicht mehr anders vorstellen.
Liegt die Verantwortung für das Klima somit nicht nur bei Regierung und Wirtschaft, sondern auch bei jedem Einzelnen von uns?
Die Menschheit besteht nur aus Einzelnen. Einige sitzen im Kanzleramt, andere in ihrem Wohnzimmer. Das ständige Weiterdelegieren von Verantwortung, wer die Klimakuh vom Eis zu kriegen hat, ist unsere eigentliche Krise. Jeder trägt Verantwortung, jeder hat reichlich Möglichkeiten, ihr gerecht zu werden. Eine schwedische Schülerin mit einem Schild konnte eine Weltbewegung in Gang setzen.
Was tun Sie persönlich fürs Klima?
Alles, was geht. Meine Frau und ich leben so klimabewusst wie möglich. Das beginnt im Alltag. Es gibt tausend Möglichkeiten, Wasser und Energie zu sparen. Es setzt sich fort mit grünen Suchmaschinen, die Bäume pflanzen, während man online ist. Nicht mehr fliegen. Wenn doch fliegen, Kompensationszahlungen leisten. Online-Konferenzen abhalten, statt leibhaftig Konferenzräume zu bevölkern, die mit Anreisen verbunden sind. Wir benutzen sehr selten das Auto. Köln ist überschaubar, also gehen wir zu Fuß. Mit anderen im Viertel reden wir über Konzepte, Freiflächen mit Solarzellen zu bepflastern. Wir versuchen einfach, ein ganz normales, nachhaltiges, wertebewusstes, lust- und genussvolles Leben zu führen. Klingt widersprüchlich, geht ganz prima!
Und wo können Sie noch klimafreundlicher werden?
Man kann in allem besser werden. Ich auch. Ich lerne jeden Tag dazu.
Das Interview führte Steffen Trumpf (dpa).
Das Buch: Frank Schätzing, Was, wenn wir einfach die Welt retten? – Handeln in der Klimakrise. Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 20 Euro