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Warum Sachsens Industrie jetzt Geld investiert

Sachsens Wirtschaft fährt Achterbahn und sieht nach Corona schon die nächsten Bremsen. Aber viele Branchen spüren Wachstum.

Von Georg Moeritz
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Wachstum: Sachsens Autoindustrie - im Bild Porsche Leipzig - hat in den ersten zehn Monaten des vorigen Jahres ein Drittel mehr exportiert als ein Jahr zuvor.
Wachstum: Sachsens Autoindustrie - im Bild Porsche Leipzig - hat in den ersten zehn Monaten des vorigen Jahres ein Drittel mehr exportiert als ein Jahr zuvor. © Archivfoto: Ronald Bonß

Dresden. Infektionskette unterbrochen: In einem Teil der Elbe-Flugzeugwerke in Dresden hat Geschäftsführer Andreas Sperl vor kurzem drei Schichten ausfallen lassen. Dort waren verstärkt Corona-Infektionen gemeldet worden. Nach der Produktionsunterbrechung habe es "sich beruhigt", sagte Sperl am Dienstag.

Der Firmenchef ist zugleich Präsident der Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK). Dort hat er per Umfrage unter 1.767 sächsischen Firmen erfahren, dass die Hoffnung auf ein Ende der Corona-Einschränkungen wächst. Allerdings drohen den Betrieben neue gefährliche Risiken - vor allem die Teuerung.

Sperl sagte, zu Jahresanfang habe die Konjunktur in Sachsen einen neuen Rückschlag erlitten. Doch das Geschäftsklima sei besser als vor einem Jahr. Die Umfrage zeige, dass die Erwartungen der Unternehmer nicht so stark gesunken seien wie die Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage. Von den Erwartungen hänge ab, ob die Unternehmer investieren - und das wollen sie. "Das gibt Hoffnung, dass es aufwärts geht", sagte der IHK-Präsident. Damit entstünden auch zusätzliche Arbeitsplätze.

Die Umfrage unter Sachsens IHK-Mitgliedsfirmen zeigt, dass das Geschäftsklima sich zu Jahresanfang abgekühlt hat - aber es ist besser als vor einem Jahr.
Die Umfrage unter Sachsens IHK-Mitgliedsfirmen zeigt, dass das Geschäftsklima sich zu Jahresanfang abgekühlt hat - aber es ist besser als vor einem Jahr. © SZ Grafik

Jeder vierte Betrieb in Sachsen plant Personalzuwachs

Ob in der Industrie oder bei Dienstleistern - die Investitionsbereitschaft wächst laut Sperl in allen sächsischen Wirtschaftsbereichen außer im Tourismus. Mal wollen Unternehmer nun alte Anlagen durch modernere ersetzen, mal die Kapazität erweitern oder erhöhte Umweltstandards erfüllen. Jeder vierte Industriebetrieb und jeder vierte Dienstleister gibt an, in diesem Jahr zusätzliche Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Ein deutlich kleinerer Teil plant Stellen-Abbau.

Im Tourismus überwiegen die Unternehmen, die künftig mit weniger Arbeitsplätzen rechnen. Das kann nach Ansicht der Kammern auch daran liegen, dass ein Teil der Beschäftigten nach langen Betriebsschließungen in andere Branchen abwandert. Der Wirteverband Dehoga teilte am Dienstag mit, Sachsens Gastronomie habe in diesem Januar 60 Prozent weniger Geld eingenommen als im Januar 2019, also vor Corona. Zwei von drei Gastronomen sähen ihre Existenz gefährdet. "Sorgenbranchen" sind für IHK-Chef Sperl derzeit auch Veranstaltungswirtschaft und der Einzelhandel.

Zwei von zehn befragten Unternehmen in Sachsen wirtschaften derzeit mit Verlust. Doch vor einem Jahr waren es noch 30 Prozent, sagte der IHK-Präsident. Mit einer Insolvenz rechnen weniger als drei Prozent, auch das hat abgenommen.

Vorschlag: Mehrwertsteuer auf Energie senken

Das größte Geschäftsrisiko ist für Sachsens Unternehmer laut Umfrage nicht mehr die schwache Nachfrage aus dem corona-geplagten Inland. Vielmehr geben rund 60 Prozent der Firmen an, dass Energiepreise und Fachkräftemangel ihnen zunehmend Sorgen bereiten - mehr als vor der Pandemie. Die Lieferengpässe dürften bis Jahresende weitgehend behoben sein, sagte Sperl.

Die Energiekosten seien für manche Betriebe "kaum noch zu verkraften", sagte Hans-Joachim Wunderlich, Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz. In einem Presswerk sei der Anteil der Energiekosten von 20 auf fast 40 Prozent gewachsen. Manche Energiehändler hielten Verträge nicht ein und verlangten während der Laufzeit höhere Preise. Wunderlich warnte: "Wir werden als Industriestandort nicht überleben", wenn Deutschland mit die höchsten Energie- und Kraftstoffpreise habe.

Sperl forderte von der Regierung, für niedrigere Preise zu sorgen: "Das würde die Chancen auf einen massiven Neustart deutlich unterstützen." Die Kammern schlagen vor, die EEG-Umlage schon dieses Jahr abzuschaffen statt - wie geplant - nächstes Jahr, außerdem die Stromsteuer "auf ein europäisches Mindestniveau" zu senken und die Mehrwertsteuer auf Strom zeitweise zu senken.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sagte am Dienstag nach einer Ministerkonferenz mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), beim Thema Stromsteuer-Abschaffung sei er vorsichtig. Was einmal abgeschafft sein, lasse sich schwer wieder einführen.

Mindestlohn-Sorge und Fachkräftemangel - Widerspruch?

Die Kammern äußerten sich erneut kritisch zur Ankündigung der Bundesregierung, den Kohleausstieg möglichst von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Für diesen Fall müssen laut Sperl "schleunigst" die staatlichen Hilfsgelder neu ausgerichtet werden, sodass sie auch Arbeitsplätze in den Kohlerevieren schaffen.

Der Fachkräftemangel habe an Bedeutung gewonnen, sagte Sperl. Zwar ist das Fachkräftezuwanderungsgesetz aus Sicht der Kammern eine Verbesserung, aber in vielen Ländern müssten Fachkräfte zu lange auf ein deutsches Visum waren. Der Leipziger IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Hofmann sagte, der Staat müsse zudem für eine Willkommenskultur und -struktur sorgen. Nötig seien "Kümmerer", die Neuankömmlinge unterstützen - beim Sprachenlernen und beim Aufbau einer "Community", in der sie sich wohlfühlen. "Das können die Betriebe nicht schaffen", sagte Hofmann.

Dass der gesetzliche Mindestlohn im Oktober auf 12 Euro steigt, ist laut Umfrage für 41 Prozent der befragten Firmen negativ, für zehn Prozent positiv, und 39 Prozent bewerten es mit neutral. Sperl forderte, den Mindestlohn erst "stufenweise über die Legislaturperiode hinweg" zu steigern. Das sei kein Widerspruch zur Forderung, etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun. Die Belastungsgrenze vieler Firmen sei erreicht, zumal der Mindestlohn erst zu Jahresbeginn erhöht wurde. Wenn ein Unternehmer die unteren Lohngruppen im Betrieb anhebe, müsse er auch die oberen erhöhen. Das koste Geld.

Beleg für die Achterbahnfahrt: So zeigt die IHK das Auf und Ab beim Umsatz pro Monat in Sachsens verarbeitendem Gewerbe der vergangenen drei Jahre. Unten in Rot der Auslandsumsatz.
Beleg für die Achterbahnfahrt: So zeigt die IHK das Auf und Ab beim Umsatz pro Monat in Sachsens verarbeitendem Gewerbe der vergangenen drei Jahre. Unten in Rot der Auslandsumsatz. © Georg Moeritz

Landesregierung soll "als Team" Geld geben

Anhand von Grafiken zeigte der IHK-Präsident, dass Sachsens Industrie in den vergangenen Monaten eine "Achterbahnfahrt" erlebt hat. Die Monatsumsätze schwankten stark, zwischen den Extremen 3,13 und 6,41 Milliarden Euro. Sachsens umsatzstärkste Branche Automobilproduktion meldete für die ersten zehn Monate des vorigen Jahres 36 Prozent Wachstum des Exportumsatzes im Jahresvergleich - davor war allerdings die Corona-Krise stärker. Auch die Exporte von Maschinen und Mikrochips wuchsen wieder.

Sperl betonte, das verarbeitende Gewerbe sei "eine wesentliche Stütze" der Konjunktur in Sachsen. In der Corona-Zeit wirkten auch Baubranche, viele Dienstleistungen und der Großhandel ausgleichend. Die Exporte nach China, in die USA und nach Großbritannien hätten 2021 wieder stark zugelegt.

Kritik oder Forderungen zu den staatlichen Corona-Hilfsprogrammen gab es in diesem IHK-Pressegespräch nicht. Sperl sagte auf Nachfrage, es gebe einen ständigen konstruktiven Dialog mit Wirtschaftsminister Dulig. Wunderlich sagte, der habe gute Vorschläge wie das Hilfsprogramm Sachsen plus für Kleinunternehmer gemacht. Allerdings müsse die Regierung "als Team" agieren und schnell genug die Finanzierung guter Ideen sicherstellen. Die Landesregierung müsse auch das Geld für die teils "maroden" Straßen und gegen die "grauen Flecken" beim Breitband bereitstellen.

Die häufig wechselnden Corona-Schutzregeln werden nach Sperls Erfahrung von vielen Unternehmern nicht mehr im Detail beachtet. "Viele schalten auf Durchgang und versuchen, pragmatisch zu handeln", sagte der Firmenchef und IHK-Präsident. Die Wirtschaft brauche einen "klar kommunizierten Fahrplan" für den Fall, dass das Gesundheitssystem entlastet ist.