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Wissenschaftler verfolgen Schadstoff-Spuren in der Elbe

585 Kilometer und 61 Probestellen: Von der tschechischen Grenze bis Schleswig-Holstein haben Wissenschaftler aus Sachsen Proben aus der Elbe genommen. Dabei waren sie nicht nur Schadstoffen auf der Spur.

Von Gabriele Fleischer
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Das Leipziger Forschungsschiff Albis nimmt auf der Elbe Wasserproben, hier in der Innenstadt von Dresden.
Das Leipziger Forschungsschiff Albis nimmt auf der Elbe Wasserproben, hier in der Innenstadt von Dresden. ©  Archiv: Ronald Bonss

Umweltchemikalien, Nano- und Mikroplastik oder auch Nährstoffe, all das belastet nicht nur die Meere, sondern bereits die Zuflüsse. „Hauptquellen für das häufige Vorkommen von Plastik in den Meeren liegen an Land. Und Flüsse spielen beim Transport zum Meer eine wichtige Rolle“, sagt dazu die Leipziger Umweltchemikerin und Professorin Annika Jahnke.

Um zu verfolgen, wie sich Einträge und Muster unter anderem von Kläranlagen, Wiesen und Äckern im Verlauf der 1.094 Kilometer langen Elbe von der Quelle im Riesengebirge bis zur Mündung in Cuxhaven verändern, haben sich Forscher von vier Helmholtz-Zentren und weiteren Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen. Wasserproben in der Elbe sowie von Land an 14 Zuflüssen und zwölf Kläranlagen werden bis September erfasst und im Labor analysiert, um herauszufinden, wie hoch die Belastungen des Flusses sind und woher diese kommen. Das können Landwirtschafts- und Industriebetriebe, Kläranlagen, der Straßenverkehr oder Siedlungen sein. Zwischen 600 und 700 Stoffe, unter anderem Konservierungsstoffe, Industriechemikalien und Pestizide, die in die Elbe gelangen, sollen untersucht werden. Mit den Studien zu Plastikpartikeln und Nährstoffen eine Premiere in dieser Dimension, wie Jahnke sagt.

Hydrobiologen der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik haben zunächst mit deutschen Forschern von Brücken und Staustufen aus Proben vom Riesengebirge bis zur Grenze genommen. In Sachsen hat danach Albis seine neuntägige Fahrt von Schmilka bis Geesthacht aufgenommen. An Bord des 15 Meter langen blau-weißen Forschungsschiffes vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) waren zwei Technikerinnen, ein Schiffsführer und der Fließgewässerökologe Norbert Kamjunke von der Magdeburger Niederlassung des Helmholtz-Zentrums.

Die SZ erreichte den Wissenschaftler in Wittenberge am Telefon, kurz bevor das Schiff zum 52 Flusskilometer entfernten Dömitz ablegte. Die Hitze dieser Tage machte den Wissenschaftlern nichts aus. Auf dem Wasser würde ein Lüftchen wehen und unter Deck eine Klimaanlage für kühlere Luft sorgen, sagte Kamjunke. Auch für Niedrigwasser sei das Schiff bestens geeignet. Während Fahrgastschiffe ihren Betrieb auf vielen Strecken einstellen mussten, blieben die Wissenschaftler auf dem Wasser.

Wenig Wasser, viele Schadstoffe

„Selbst bei einem Rekord-Niedrigstand von 46 Zentimeter waren wir schon auf der Elbe“, sagt der Fließgewässerökologe. So niedrig war es diesmal nicht, aber bei wenig Wasser sei es generell schwierig, in der Fahrrinne zu bleiben. Ohne Ergebnisse vorwegzunehmen ist für den Wissenschaftler angesichts der Wasserlage schon vor den Laboruntersuchungen klar, dass die Konzentration von Schadstoffen bei Niedrigwasser besonders hoch ist. Zudem würden hohe Temperaturen und intensive Lichteinstrahlung das Algenwachstum verstärken.

Dabei sind Algen nicht generell schlecht. Sie sorgen für ausreichend Sauerstoff im Elbwasser. Nimmt die Anzahl aber zu, können sie Giftstoffe erzeugen und das Ökosystem schädigen, so Kamjunke. Abhängig ist das von der Art der Algen. Grünalgen, wie sie aus der Elbe bekannt sind, seien nicht schädlich, so Kamjunke.

Anders sei das bei Blau- und Goldalgen, die nicht in Flüssen vorkommen sollten. Die Goldalge, so das Fazit von Wissenschaftlern, hatte das Fischsterben in der Oder ausgelöst – entstanden durch zu hohe Salzeinleitungen, begünstigt durch Wassertemperaturen über 25 Grad Celsius und Niedrigwasser.

Algen setzen sich aber auch im Sediment ab, also im Schlamm von Flüssen. Bakterien, die die Algen abbauen, verbrauchen dabei den für den Fluss wichtigen Sauerstoff. Das passiert vor allem im Bereich der Tide-Elbe, dort, wo die Gezeiten Einfluss auf den Fluss haben und die Fließgeschwindigkeit durch den Wechsel von Ebbe und Flut geringer ist.Entscheidende Messpunkte waren für Kamjunke und seine Kollegen aber auch Einmündungen von Nebenflüssen, allen voran die Mulde, die unter anderem als Nachwirkungen des Bergbaus Schwermetalle mit in die Elbe schwemmt. Ebenso bringen Eintragungen durch Saale, Havel und Schwarze Elster Schadstoffe mit, wie Salze aus Gruben oder von der Chemieindustrie.

Experten der Fernwasser Elbaue-Ostharz (FEO) diskutieren mit der Besatzung des UFZ-Forschungsschiffes Albis in Torgau (v.l.n.r.: Matthias Krüger und Sven Schirrmeister von der Fernwasser Elbaue-Ostharz und Norbert Kamjunke vom UFZ).
Experten der Fernwasser Elbaue-Ostharz (FEO) diskutieren mit der Besatzung des UFZ-Forschungsschiffes Albis in Torgau (v.l.n.r.: Matthias Krüger und Sven Schirrmeister von der Fernwasser Elbaue-Ostharz und Norbert Kamjunke vom UFZ). © ufz

„Die Belastungen haben in den vergangenen 30 Jahren zwar um etwa das Zehnfache abgenommen, aber noch immer kommen Arzneimittel und andere Schadstoffe über Kläranlagen und Pestizide von der Landwirtschaft in die Flüsse“, sagt Kamjunke. Die Wasserproben werden auf Umweltchemikalien, Nano- und Mikroplastik, aber auch Phosphat, Silizium oder organische Verbindung wie Kohlenhydrate untersucht. Dafür gehen diese auch an externe Partner wie das Julius-Kühn-Institut.

Das Forschungsschiff hat sich 585 Kilometer auf der deutschen Binnenelbe gen Norden bewegt. Und das in einer Zeit, wie sie auch das Wasser für diese Strecke benötigt, zumindest annähernd. „So können wir am besten verfolgen, wie sich die Qualität verändert, welche Einflüsse Einträge haben“, so Kamjunke. Die Zunahme von Dürre und Flut führt ebenfalls zu Veränderungen im Wasser. Auch hier wollen die Wissenschaftler den Ursachen auf den Grund gehen.

Proben hat Kamjunke an 19 Orten genommen, jeweils von der rechten und der linken Seite sowie aus der Mitte des Flusses, alle 30 Kilometer, aber auch an den Zuflüssen von Schwarzer Elster, Mulde, Havel und Saale – insgesamt 61 Probestellen.Neben Wasser- wurden Sedimentproben vom Elbgrund geholt. Zusätzlich hat eine Sonde an einem Probeschacht des Schiffes Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt pH-Wert und die Konzentration von Chlorophyll im Wasser gemessen. Auf dem Schiff installierte Fließrinnen dienten einem weiteren Versuch. „Wasser vom Beginn der Kampagne in Schmilka wurde dort in Kolben für vier Tage gespeichert“, erklärt Kamjunke. Abgedunkelte Kolben würden den Abbau durch Bakterien untersuchen, helle den Abbau durch Licht und Bakterien.

Elbwasser im Labor

Das Wasser in den Rinnen simuliere die natürlichen Temperatur- und Lichtbedingungen im Fluss. Zweimal täglich seien aus den Kolben Proben für die Schadstoffmessung entnommen worden. Die Wasserproben, je nach Untersuchungsgegenstand zwischen 30 Milliliter und eineinhalb Liter, gingen tagesaktuell ins Labor nach Magdeburg und von dort auch nach Leipzig zu den anderen Fachgebieten. 15 bis 20 Flaschen hat Kamjunke an jedem Probenort nach der Filtration gefüllt und fachgerecht verschlossen.

Am Ende übergibt er den Staffelstab an seine Kollegen, die in zwei weiteren Etappen im August und September die Tide-Elbe bis Cuxhaven und die Deutsche Bucht erforschen. Für Professorin Jahnke, die in der Tide-Elbe selbst einen Tag mit beprobt, wird es spannend zu sehen, welche Einträge am wichtigsten sind und wie sich die chemischen Muster in der Elbe verändern. Entwickeln wollen die Wissenschaftler ein Modell, das die Verteilung und Verdünnung der Schadstoffe im Fluss berücksichtigt. Rückschlüsse daraus sollen aufzeigen, welchen Prozessen die Schadstoffe unterliegen.

Erste Ergebnisse gibt es laut Kamjunke frühestens Ende dieses Jahres. Am Ende stehen Handlungsempfehlungen zum Verhalten bei extremen Wettersituationen, zur Verbesserung von Reinigungen an Kläranlagen, Verringerung von Pestizideinträgen ins Wasser und zum Verzicht auf Einwegplastik. In ein paar Jahren wird sich bei erneuten Messungen zeigen, ob es gelungen ist, mit klaren Entscheidungen den Lebensraum in der Elbe und damit auch in der Nordsee besser zu schützen.