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Vom Dresdner Protest zur Top-Forschung für eine bessere Gesundheit

Vor 30 Jahren wurde die Medizinische Fakultät der TU Dresden gegründet. Vorher gab es aber erst einmal so richtig Ärger.

Von Jana Mundus
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Im Experimental-OP am NCT/UCC wird an der Zukunft für operative Eingriffe geforscht.
Im Experimental-OP am NCT/UCC wird an der Zukunft für operative Eingriffe geforscht. © Hochschulmedizin Dresden/André

Direkt vom Fenster der Staatskanzlei aus, hatte Sachsens Regierung im September 1993 einen besonderen Ausblick. 250 Mitarbeiter und Studenten der damaligen Dresdner Medizinischen Akademie hatten direkt auf den Elbwiesen ein Protest-Camp errichtet. Sie demonstrierten für die Fortführung des Zahnmedizin-Studiums in Dresden. Als im Oktober 1993 die Gründung der neuen Medizinischen Fakultät erfolgte, hatten die Protestler ihr Ziel erreicht. Die Zahnmedizin blieb in Dresden. Nun feiert die Fakultät ihr 30-jähriges Bestehen. Ihre Gründung war aber auch ansonsten ein Krimi.

Die Hiobsbotschaft drang im September 1991 nach Sachsen. Der Wissenschaftsrat der BRD hatte sich mit den Standorten der Hochschulmedizin in den neuen Ländern und in Berlin befasst. Seine Einschätzung: Eine Weiterführung der bis dato selbstständigen Medizinischen Akademie in Dresden, kurz Medak genannt, sei nicht empfehlenswert. Vielmehr sollte das Klinikum zum akademischen Lehrkrankenhaus werden.


Eine Entwicklung, gegen die auch der damalige sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer etwas hatte. Sachsens Regierung berief eine gesamtdeutsche Gründungskommission ein. Die erarbeitete ein Konzept, wie die Medizinausbildung gerettet werden kann – mit Ideen für Lehre, Krankenversorgung und Bauplanungen. Ein wichtiger Punkt: Die neue Fakultät sollte in die TU Dresden integriert werden. Insgesamt 200 Millionen D-Mark wollte Sachsen jährlich in die beiden Hochschulmedizin-Standorte Dresden und Leipzig investieren. Das überzeugte den Wissenschaftsrat. Im Mai 1993 stimmte er der Gründung zu.

September 1993: Studenten und Mitarbeiter der Medizinischen Akademie Dresden, auch Medak genannt, protestierten vor der Landtagssitzung gegen die Schließung der Zahnmedizinerausbildung in Dresden.
September 1993: Studenten und Mitarbeiter der Medizinischen Akademie Dresden, auch Medak genannt, protestierten vor der Landtagssitzung gegen die Schließung der Zahnmedizinerausbildung in Dresden. © Foto: SZ/Gunter Hübner

Heute blickt Deutschlands jüngste Medizinische Fakultät auf drei ereignisreiche Jahrzehnte zurück. Sie gehört aktuell zu den Top-Standorten im Land. Insbesondere bei den Themen Krebsmedizin, Diabetologie und neurodegenerative Erkrankungen zählt sie zu den Leuchttürmen. Aktuell sind hier knapp 3.200 Studenten eingeschrieben, arbeiten 1.800 Menschen in Forschung und Lehre.

Zusammen mit dem Universitätsklinikum beschäftigt die Fakultät als Hochschulmedizin Dresden insgesamt 8.500 Mitarbeiter aus 90 Nationen. Pro Jahr wirbt sie über 70 Millionen Euro an Drittmitteln für die medizinische Forschung ein, Tendenz steigend. Im Jahr 2022 konnten so fast 900 Stellen aus Drittmitteln finanziert werden.

Zum Vergleich: 1993 waren es noch 6,6 Millionen D-Mark, also rund 3,4 Millionen Euro. Auch die Zahl der Forschungsvorhaben wird stetig größer. „Unser wesentliches Ziel ist es, Spitzenforschung so zu verstehen, dass unser Wissen und neue Erkenntnisse möglichst schnell allen Patientinnen und Patienten zugutekommen“, sagt Esther Troost, Professorin und Dekanin der Medizinischen Fakultät. Ein Beispiel dafür sind individuelle Therapien für Krebspatienten.

Ein weiterer Grund für das erfolgreiche Akquirieren von Forschungsgeldern sind die vielen Kooperationen der Fakultät, unter anderem mit dem Zentrum für Regenerative Therapien, dem Biotechnologischen Zentrum, dem Max-Planck-Institut und dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.

Auch international ist sie gut vernetzt, beispielsweise mit der Harvard University in Cambridge oder dem King‘s College in London. Mit Letzterem arbeiten die Dresdner im Projekt Transcampus zusammen. Medizinstudenten aus Dresden und London haben darüber die Möglichkeit, einen Teil ihrer Ausbildung an der jeweils anderen Einrichtung zu absolvieren oder eine Doktorandenstelle über das Netzwerk zu bekommen. In den vergangenen 30 Jahren wurden rund 4.700 Mediziner sowie 1.300 Zahnärzte an der Medizinischen Fakultät ausgebildet.

Wissenschaftlich steht in den nächsten Jahren die Zukunft der Medizin im Mittelpunkt. Mit dem Else Kröner Fresenius Zentrum (EKFZ) für Digitale Gesundheit gibt es seit 2019 auf dem Campus einen neuen Ort der Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Technologie-Experten der TU Dresden.

Gemeinsam erforschen sie, wie Künstliche Intelligenz, neuartige Implantate oder Sensoren die Behandlung von Patienten revolutionieren können. Die Medizin soll digitaler werden, um eine bessere Patientenversorgung zu ermöglichen.

Aber auch mit der Vergangenheit setzt sich die Fakultät auseinander. Im Frühjahr 2023 forderte eine Petition, den Namen Carl Gustav Carus aus dem Titel der Fakultät zu streichen. Er habe eine unrühmliche Rolle in der „Rassenlehre“ vertreten. Die Hochschulmedizin achte Carus als vorbildgebenden Arzt und als Universalgelehrten, erklärten die Verantwortlichen. Das Institut für Geschichte der Medizin verfolgt nun ein Projekt zu Carus, das die Hochschulmedizin unterstützt.

Wie Eisen die Knochen beeinflusst

Lorenz Hofbauer und Martina Rauner untersuchen am BoneLab in Dresden, wie sich die Knochengesundheit verbessern lässt.
Lorenz Hofbauer und Martina Rauner untersuchen am BoneLab in Dresden, wie sich die Knochengesundheit verbessern lässt. © TU Dresden

Das Spurenelement Eisen ist für die menschliche Gesundheit extrem wichtig. Die Leber ist dabei das zentrale Organ des Eisenstoffwechsels. Sie hält die Menge an Eisen im Körper in einem optimalen Bereich. Ist das nicht der Fall, kann das zu Problemen in den Knochen führen. Ein Forschungsprojekt der Medizinischen Fakultät geht diesem Thema nach.

Eisenmangel oder auch eine zu hohe Konzentration beeinträchtigt die Knochenstabilität. Sie begünstigen Brüche aufgrund von Knochenschwund. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Forschungsgruppe FerrOs mit vier Millionen Euro. Koordinatorin ist Martina Rauner, Professorin und eine der Leiterinnen am Bone Lab Dresden, das zur Knochengesundheit forscht. Die Wissenschaftler wollen die Leber-Knochen-Kommunikation bei der Eisenfeinregulation im Detail aufklären und die Rolle verschiedener Proteine entschlüsseln. Dazu kooperieren die Dresdner mit Gruppen aus Heidelberg, Münster, Ulm und Zürich. Neben Martina Rauner sind auch Ulrike Baschant und Lorenz Hofbauer als Projektleiter daran beteiligt. Mit den gewonnenen Erkenntnissen sollen neue Therapien entwickelt werden. Sie können dazu beitragen, den Eisenstoffwechsel bei Patienten optimal einzustellen und damit Folgeerkrankungen zu vermeiden.

Neue Zellen für Diabetes-Patienten

Barbara Ludwig sucht nach neuen Wegen, um Patienten mit Typ-1-Diabetes langfristig zu helfen.
Barbara Ludwig sucht nach neuen Wegen, um Patienten mit Typ-1-Diabetes langfristig zu helfen. © TUD/Stephan Wiegand

Bei Diabetes mellitus Typ 1 greift das Immunsystem fälschlicherweise die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse an und zerstört sie. Es kommt zum Insulinmangel. Betroffene müssen sich ein Leben lang Insulin spritzen.
Eine Heilung wäre über eine Transplantation möglich. Dafür erhalten Patienten die Bauchspeicheldrüse oder insulinproduzierende Langerhans’sche Inseln von verstorbenen Spendern. Solche Spenderorgane sind aber selten. Gemeinsam mit dem Dresdner Leibniz-Institut für Polymerforschung sucht Barbara Ludwig, Professorin an der Medizinischen Fakultät, nach einer alternativen Lösung.

Im Mittelpunkt stehen aus Stammzellen gewonnene Inselzellen oder Zellen tierischen Ursprungs. Die Forscher entwickeln Systeme zur Verkapselung dieser Zellen. Die Kapseln werden aus biokompatiblen Materialien hergestellt, die es den Zellen ermöglichen, Insulin zu produzieren und freizusetzen, während sie vor dem Immunsystem geschützt sind. Die Zellen werden mithilfe einer Mikrostruktur in den Kapseln angeordnet, um ihre Funktionalität zu optimieren. Das Projekt befindet sich bereits in der präklinischen Prüfung im Tiermodell und bietet neue Hoffnung für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1.

Den Tumor effektiver bestrahlen

Wie Tumoren effektiv bestrahlt werden können, ergründen Wissenschaftler am Dresdner OncoRay.
Wie Tumoren effektiv bestrahlt werden können, ergründen Wissenschaftler am Dresdner OncoRay. © Agentur

Seit 2005 ist die Medizinische Fakultät eines von drei Trägerinstitutionen des OncoRay, des Nationalen Zentrums für Strahlenforschung in der Onkologie. Weitere Partner sind das Dresdner Universitätsklinikum und das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Dabei verfolgen die Wissenschaftler gemeinsam die Vision, die Behandlung von Krebserkrankungen entscheidend zu verbessern.

Möglich werden soll das durch eine biologisch individualisierte und technisch optimale Strahlentherapie. Protonenstrahlen haben das große Potenzial, Krebszellen noch präziser und wirkungsvoller zu behandeln und dabei gesundes Gewebe weitgehend zu schonen. Jedoch sind sie anfällig gegenüber Veränderungen in der Anatomie des Patienten oder des Tumors, Organbewegungen und Positionierungsungenauigkeiten während der Therapie. Bereits seit 2014 läuft am OncoRay ein Projekt, das genau diese Probleme beheben will. Die Forscher arbeiten an einer Methode, die die Reichweite der Protonen im Körper während der Bestrahlung misst. Dadurch erkennen sie Abweichungen zur ursprünglichen Planung zuverlässig und können reagieren. Der Patient erhält damit nur die Dosis, die für die Behandlung wirklich wichtig ist. Umliegendes Gewebe wird zuverlässig geschützt.

Sensoren funken Vitalwerte

High-Tech-Spezialisten und Mediziner arbeiten am Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit an der TU Dresden eng zusammen. Sie erforschen neue technische Möglichkeiten für die Behandlung. Die Ärztin Nora Herzog entwickelt gemeinsam mit Elektroingenieuren einen Funkstandard für Körpersensoren. Die sollen es Patienten und Klinikpersonal einfacher machen.

Künftig übermitteln neuartige kabellose Sensoren auf der Haut die Vitalparameter von Behandelten automatisch an ein Empfängergerät. Auf einem Überwachungsmonitor sind dann alle wichtigen Werte wie Blutdruck oder Temperatur sichtbar – ohne dass Pflegekräfte extra messen. Die Überwachung der Erkrankten wird einfacher, viel schneller sind auch mögliche Probleme erkennbar. Weil alles kabellos funktioniert, sind die Patienten sogar mobiler.

Die Krebsdiagnose verbessern

Biochemiker Oliver Bruns will Operationen sicherer machen.
Biochemiker Oliver Bruns will Operationen sicherer machen. © Uniklinikum Dresden/Kirsten Lass

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) ist eines der führenden Zentren für die Krebsforschung in Deutschland. Die Medizinische Fakultät gehört zum Kreis der Träger. Die Gründung des Dresdner Universitäts-Krebs-Centrums (UCC) erfolgte bereits vor 20 Jahren. Seitdem wurden mehr als 120.000 Patienten behandelt.

In ihren Forschungsprojekten widmen sich die Wissenschaftler unter anderem Verfahren, die die Krebsdiagnose verbessern. Welche Biologie hat der Tumor? Welchen Stoffwechsel? Und wie lässt er sich außerdem während einer Operation besser darstellen? Oliver Bruns will dafür zum Beispiel auch Blutgefäße und Nerven abbilden, um sie während einer Operation zu schützen. Zum Einsatz kommen dafür modernste Kameras, kurzwelliges Infrarotlicht sowie neue fluoreszierende Farbstoffe.