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Als der Kaiser die "Insel" Niederleutersdorf nach 214 Jahren an Sachsen zurückgab

Vor 175 Jahren kam die böhmische Enklave wieder zum Freistaat. Am Niederkretscham wurden die Schlagbäume abgesägt.

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Am Niederkretscham fand am 12. März 1849 ein Staatsakt statt. Der Kaiser von Österreich ließ durch einen Bevollmächtigen die zu Rumburg gehörenden Dörfer Niederleutersdorf mit Neuwalde, Josephsdorf und Neuleutersdorf an Sachsen übergeben.
Am Niederkretscham fand am 12. März 1849 ein Staatsakt statt. Der Kaiser von Österreich ließ durch einen Bevollmächtigen die zu Rumburg gehörenden Dörfer Niederleutersdorf mit Neuwalde, Josephsdorf und Neuleutersdorf an Sachsen übergeben. © Repro SZ

Von Dietmar Eichhorn

Die Geschichte von Leutersdorf ist untrennbar mit der ehemaligen böhmischen Enklave Niederleutersdorf verbunden. Während Mittel- und Oberleutersdorf 1635 mit der Oberlausitz unter die Herrschaft des Kurfürsten von Sachsen kamen, blieben Teile des heutigen Gemeindegebiets, die zur Herrschaft Rumburg gehörten, beim Königreich Böhmen.

Die so entstandene Enklave zog auch diverses Räubergesindel und Pascher an. Auf dieser böhmischen Insel konnten sie sich sicher fühlen, wenn sie in den sächsischen Orten ringsum gestohlen, geraubt, gepascht oder gewildert hatten. Das ist in der alten Heimatliteratur, herausgegeben vom Verlag Teller & Roßberg Neugersdorf, später nachaufgelegt, anschaulich beschrieben. Die Bücher „Johannes Karasek“, „Pascherfriedel“ und „Die Wilderer auf dem Liechtensteinschen“ sind Belege dafür. Andererseits litten die Bewohner der Enklave Niederleutersdorf mit den Ortsteilen Neuwalde, Neuleutersdorf und Josephsdorf sehr unter den Zollabgaben, besonders nach 1834. Da war Sachsen dem Deutschen Zollverein beigetreten, und Böhmen galt nun als Ausland.

Kein Wunder, dass die Pascher Hochkonjunktur hatten. Sie nutzten das Preisgefälle zwischen Sachsen und Böhmen aus und umgingen die Zollgebühren. Viele Bewohner der Enklave waren durch die hohen Zölle regelrecht zum Schmuggeln gezwungen, um überleben zu können, denn die Familien waren oft kinderreich. Das sollte sich durch den „Haupt-Gränz- und Territorial-Recess“ zwischen dem Königreich Sachsen und dem Kaisertum Österreich vom 5. März 1848 ändern. Doch der Anschluss an Sachsen ließ noch ein Jahr auf sich warten. Obwohl der Vertrag am 5. März 1848 fertig war und am 13. März 1848 die Genehmigung zur Übergabe vom sächsischen König vorlag, kam es durch die Märzrevolution 1848 zu einem Jahr Verzögerung. Erst am 12. März 1849 war es endlich so weit: Die böhmische Enklave Niederleutersdorf kam nach 214 Jahren wieder zu Sachsen. Es gab nur wenige, denen die Veränderung nicht angenehm war, weil sie von den bisherigen Verhältnissen profitiert hatten.

Noch 50 Jahre danach, am 12. März 1899, feierte man dieses historische Ereignis. Textilfabrikant Richard Henke hielt eine Rede beim Festkommers im Hotel Kreutziger am Bahnhof und erinnerte an die feierliche Übergabe von 1849 am Niederkretscham. „Heller Jubel und lauter Freude erfüllten die Stube und den ganzen Ort, festliches Glockengeläute verkündete das frohe Ereignis, und die am Niederkretscham in Parade aufgestellte Comunalgarde von Oberleutersdorf begrüßte die neuen Landsleute durch eine dreimalige Salutsalve. Alt und Jung war auf den Beinen und sah mit köstlicher Freude zu, als man gegen 12.30 Uhr die Schlagbäume absägte.“

Mit den Grenzpfählen, so Henke, sei auch das Joch gefallen, das die Bewohner so lange bedrückt und an einer freien Entwicklung gehindert habe. Als sollte mit dem Frühling des Jahres 1849 ein neues Leben in unseren Heimatdörfern einziehen, sei man mit Eifer daran gegangen, das Alte zu verwischen und dem Neuen und Besseren Tür und Tor zu öffnen, betonte der Textilfabrikant. Heute zeige sich ein ganz anderes Bild, was die Häuser und Wohnungen anbelangt. In friedlichem Verkehr mit der Schwestergemeinde Oberleutersdorf sei manche segensreiche Neuerung der fortschreitenden Zeit eingerichtet worden. Und wenn auch Grenzsteine noch eine Grenze zwischen den einzelnen Ortsteilen markieren würden, sei es nur eine Frage der Zeit, dass aus Leutersdorf eine Gemeinde wird.

1906 sollte es dann zu einem vereinigten Leutersdorf kommen. Das Dörfel (Neuleutersdorf) südöstlich des Wacheberges allerdings blieb weiter selbstständig und kam erst 1922 dazu.

Auf Enklave-Spuren

◾ Autor Dietmar Eichhorn empfiehlt als Wanderwegewart Touren zu Schauplätzen der böhmischen Enklave Niederleutersdorf. Eine Tafel an der Karasekschenke in Leutersdorf-Neuwalde gibt die Orientierung. Passend zum Thema sind die Karasekrunde, die Pascherrunde oder die Wildererrunde.

◾ Vorträge im Rahmen des Lusatia-Bildungsprogrammes bietet Dietmar Eichhorn ebenfalls an, so auch über alle Enklaven, die es in der Oberlausitz gab.

◾ Prospekte zur Enklave Niederleutersdorf und den dazu passenden Wanderwegen gibt es bei der Gemeindeverwaltung in Leutersdorf sowie in den Gaststätten Oberkretscham und Karasekschenke.

www.leutersdorf.de/tourismus/wanderwege