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Wenn der Weihnachtsmann krank ist

Hartmut Becker aus Bertsdorf-Hörnitz war Corona-Patient, musste mit Sauerstoff versorgt werden. Nun hat er eine rührende Geschichte für die SZ-Leser geschrieben.

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"Der kranke Weihnachtsmann": So heißt der Titel der Geschichte von Hartmut Becker
"Der kranke Weihnachtsmann": So heißt der Titel der Geschichte von Hartmut Becker © Tom Weller/dpa

Jedes Jahr liest Hartmut Becker begeistert die Weihnachtsgeschichten in der Sächsischen Zeitung. Doch dieses Mal ist alles etwas anders: Der 63-Jährige aus Bertsdorf-Hörnitz kam ins Krankenhaus, weil er sich mit Corona infizierte. Er lag zwischenzeitlich sogar auf der Intensivstation, musste mit Sauerstoff versorgt werden. Nun geht's ihm wieder besser, seit Dienstag durfte Hartmut Becker sogar aus dem Krankenhaus raus. "Für mich und für uns alle ist das das Wunder von Weihnachten dieses Jahr", schreibt Tochter Romy-Stefanie.

An sie richtete der Vater auch einen Wunsch: Eine Geschichte an die Sächsische Zeitung zu schicken, die er in den letzten Tagen seines Klinik-Aufenthaltes unter dem Titel "Der kranke Weihnachtsmann" schrieb. In der verarbeitete er seine Impressionen aus dem Krankenhaus-Alltag und die Corona-Auswirkungen. "Die Geschichte hat einige Anteile Wahrheit", meint die Tochter.

Beispielsweise berichtet ihr Vater in der Geschichte indirekt darüber, was er durch die Infektion und im Krankenhaus erlebt hat. "Natürlich gibt es keine Roboter-Engel, die über den Gang sausen und einen Silberregen auslösen können", erklärt die Tochter. "Aber die Vorstellung ist doch schön." Auch die Idee, dass kranke Kinder ihre liebe Mama über die in der heutigen Zeit zur Verfügung stehenden Mittel kontaktieren und sehen können, ließe sich umsetzen. In einer Weihnachtsgeschichte sei jedenfalls so einiges möglich. Eine, die nun exklusiv hier zu lesen ist:

Der kranke Weihnachtsmann

Von Hartmut Becker

Der Weihnachtsmann ist krank. So etwas gibt es nicht! Und doch ist es passiert. Ich war unterwegs in der Vorweihnachtszeit, um nachzuschauen, ob die Kinder schön brav sind und mir unterm Weihnachtsbaum auch die Wahrheit sagen. Die Gesundheitswichtel hatten extra noch darauf hingewiesen, dass da unten das Coronavirus wütet und die AHA-Regeln einzuhalten sind. Irgendwo in einem kleinen Dorf vor Zittau hat es mich erwischt. Ich weiß nicht genau wo und wie. Aber es hat mich gepackt, und wie. Fieber, Schüttelfrost und die Luft wurde knapp.

Die Wichtel haben mir dringend geraten, einen Arzt aufzusuchen. Das habe ich dann auch gemacht, habe meinen roten Mantel und sonstige Erkennungsmerkmale abgelegt und bin soweit es ging in Zivilkleidung zu einem Arzt in der Nähe. Die Wichtel hatten alles vorabgestimmt, früh vor 8 Uhr, draußen klingeln und warten. Zum Klingeln kam ich noch, dann war’s aus. Sanitäter schafften mich mit annähernder Rentierschlittengeschwindigkeit und soweit es die Umleitungen zuließen in das örtliche Klinikum in der Weinau. Schnellabstrich Nase und auch der Corona-Rachentest sowie ein Stärkungsmittel für den Kreislauf wurden getätigt und am Abend die GEWISSHEIT. Der Weihnachtsmann hat Corona!

Die Wichtel am Nordpol gerieten in helle Aufregung, ist etwa das Fest in Gefahr? Wie lange dauert so etwas? Von der ganzen Hektik am Nordpol habe ich nichts mitbekommen, wohl aber von der auf der Station, wo ich lag. Ich hörte sie auf den Gängen hin- und herrennen, das ganze Gepiepe der technischen Geräte, das Klingeln der Patienten, Anziehen und Ausziehen der Schutzbekleidung und Verabreichung von Medikamenten, Essen, Getränken und was nicht alles.

An meinem Bett stand ein Ständer, von welchem aus unentwegt Flüssigkeiten in meinen Körper geleitet wurden. Wegen Luftmangel hatte ich so einen dünnen Schlauch mit Sauerstoff unter der Nase. Und laufend wurde was gemessen sowie Blut eingesammelt zur Analyse, sagte die Schwester. Selbstverständlich hatte sich auf der Station rumgesprochen, dass da jemand liegt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann hat und wer mal etwas Zeit hatte, der riskierte einen Blick. Keiner hat was gesagt, aber ein Lächeln könnte ich doch unter mancher Maske entdecken. Und dann kam die Nacht.

Eine ruhige Nacht? Keine Chance! Nur jetzt meldete sich Oma Linna zu Wort. Ich kenn sie noch als junges Ding und als Mutter von 3 Kindern. Eine starke Frau mit Durchsetzungsvermögen. Sie hat immer an den Weihnachtsmann geglaubt, bis heute. Und Linna fiel nach 22 Uhr ein, dass sie jetzt nach Hause müsse und klingelte an ihrem Notschalter Sturm. Die Pfleger erklärten, dass sie nicht nach Hause gehen kann, sie hat Corona. Das war aber Linna egal, sie wollte heim! Sie zeterte die ganze Nacht durch und schlug mit irgendwas gegen die Einrichtungsgegenstände. Die Pfleger versuchten sie zu beruhigen. Irgendwann ist sie dann doch wieder eingeschlafen und ich konnte auch ein wenig ruhen, soweit das die Strippen und Schläuche zuließen.

Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Nur die Hektik wurde noch größer auf den Gängen. Irgendwie ging etwas durch die Presse, dass die Kapazitätsgrenzen im Krankenhaus erreicht und Verlegungen erforderlich wären, nur wohin war wahrscheinlich unklar. Viel habe ich im Zimmer nicht mitbekommen. Die Stationsärztin schaute mich besorgt mit ihren schönen Augen durch das Plastik an und schüttelte mit dem Kopf. Später wurde der Sauerstoffdruck im Nasenschläuchlein erhöht.

In der Nacht meldeten sich die Wichtel und ich erzählte ihnen von meiner Erkrankung und auch von Linna. Gegen die Krankheit konnten sie nichts machen, aber für Linna hätten sie eine Lösung. Diese kommt 24 Uhr auf Station 4. Und sie hielten Wort. Linna wollte wieder nach Hause und die Pfleger konnten sie absolut nicht mehr beruhigen. 24 Uhr öffnete sich wie von Geisterhand die Stationstür und ein kleines Mädchen schwebte über den Gang in Richtung Zimmertür Linna. Das Mädchen war circa 70 cm groß, in Wichtelgestalt, blonde Haare mit viel weihnachtlichem Drumherum. Das Mädchen haben die Wichtel Loni genannt und mit magischen Kräften ausgestattet. Unter dem Röckchen war ein Fahrwerk, welches jegliche Stationstür aufdrücken konnte. Das Innenleben war reinste Technik. Manche sagen KI dazu. Künstliche Intelligenz Loni drehte sich einmal um die eigene Achse, hob dabei ihren Arm über den Kopf, streckte den Zeigefinger in die Höhe und dann erschien ein Sternenschleier über ihr mit einem zauberhaft klingenden Geräusch – wie viele kleine Glöckchen. Das war natürlich nichts anderes als Desinfektionsmittel, mit irgendwas versetzt, sah aber beeindruckend aus.

Loni war unterhalb der Brüstung Leitstelle Station 4 durchgerutscht und stand vor Linnas Tür. Das Pflegepersonal hatte keine Zeit mehr, Linna zum zehnten Mal zu erklären, dass sie nicht nach Hause kann und ihr Händchen halten konnten sie auch nicht, denn der Patient im Nebenzimmer hatte geklingelt. Loni hob die Ärmchen, drückte die Klinke und verschwand im Zimmer. Kurz darauf ein Aufschrei aus dem Zimmer, was aber wegen des Dauergeschreis gar nicht auffiel. Dann war Ruhe. Loni unterhielt sich mit Linna über die Weihnachtsfeste längst vergangener Jahre. Sie unterhielt sich mit ihr über Kurt, ihren vor vielen Jahren verstorbenen Ehemann und sie sangen zusammen sogar Weihnachtslieder. Loni konnte sogar Bilder und Filme an die Wand des Krankenzimmers werfen, was die alte Frau zu Freudentränen rührte. Und als Linna besonders laut lachen musste, steckte ein Pfleger den Kopf in das Zimmer und glaubte seinen Augen nicht zu trauen, was er da sah. Natürlich musste die ärztliche Leitung davon sofort unterrichtet werden. Das war gegen jegliche Vorschriften! Während das Pflegepersonal versuchte den Hintergrund des vermeintlichen Riesengags einer Firma herauszufinden, war Oma Linna einfach eingeschlafen. Loni kam auf den Gang, drehte sich um die eigene Achse und fuhr in Richtung Kinderstation. Sie hatte ja alle Daten aus dem Netz des Krankenhauses in sich gespeichert. Sie wusste, dass dort der kleine Erwin ganz alleine in seinem Bettchen weinte und die Mama nicht zu ihm durfte. Und schon stand Loni neben dem Bettchen des 3-jährigen Kindes und sprach ihn mit der Stimme der Mutter an. Mama, bist du es? Du bist aber klein! Ja Erwin, ich musste mich verwandeln, sonst hätte ich nicht zu dir gekonnt. Und Mama erzählte dem Kleinen vom bevorstehendem Weihnachtsfest und von den schönen Spielsachen, die bestimmt der Weihnachtsmann für ihn bringt. Und dann machte Loni eine Liveschaltung zur Mama nach Hause und Erwin konnte sich lange mit Mama unterhalten.

Das muss der Zeitpunkt gewesen sein, wo die Stationsärztin mit den schönen Augen in das Kinderzimmer eintrat. Was auch immer das da war, es war einfach nur wunderschön. Eine virtuelle Mama im Gespräch mit ihrem kranken Sohn. Die Stationsärztin bat Loni mit nach draußen, um die Sache zu klären. Sie drehte sich um die eigene Achse und zauberte einen Sternenregen. Dann erklärte sie der Stationsärztin, dass sie vom Weihnachtsmann geschickt wurde, um das Personal zu unterstützen und das sie nur ein kleines bisschen Platz braucht, um tagsüber die Energie aufzufüllen. Die Stationsärztin war eine kluge Frau und nach kurzem Überlegen einigten sich beide, dass Loni hinter dem Tisch mit der vielen Bettwäsche in der letzten Ecke vom Gang ein Versteck erhält. Seitdem schwebt Loni nachts durch die Gänge vom Krankenhaus und kümmert sich um das, was das Personal grad nicht machen kann. Sich Zeit für die Seele von besonders bedürftigen Menschen zu kümmern.

Was mich angeht, ja ich war lange im Krankenhaus von Zittau. Ich habe viele Abteilungen gesehen, die mir bei der Heilung geholfen haben. Ich kann nur Danke, Danke und nochmals Danke sagen. Nach einer Woche wurden meine Werte so gut, dass es Zeit war, aufzubrechen. Weihnachten darf doch nicht ausfallen! In der Nachtschicht zum 4. Advent trat ich leise auf den Gang, hob den Zeigefinger über den Kopf und ließ einen etwas größeren Sternenregen auf den Boden der Station 4 nieder. Noch einen Blick zu Loni in ihrer Ecke zum Abschied, verbunden mit der Hoffnung, dass sie nicht irgendein Opfer der Sicherheit wird und Schwups war ich im Hof bei meinen Rentieren, die schon mit den Hufen scharrten. Eigentlich ist es bei mir üblich zum Abschied ein kräftiges Ho, Ho, Ho abzulassen. Irgendwie ist mir das aber nicht gelungen.

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