SZ + Zittau
Merken

Die späte Rache der Wiedervereinigung

Ein Großschönauer Ehepaar sieht sich als Eigentümer einer Garage aus DDR-Zeiten. Doch die Gemeinde macht ihnen nun klar, dass sie das schon lange nicht mehr sind.

Von Markus van Appeldorn
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Iris und Christian Georgi vor ihrer Garage in Großschönau.
Iris und Christian Georgi vor ihrer Garage in Großschönau. © Matthias Weber/photoweber.de

Die Großschönauer Eheleute Iris und Christian Georgi taten zu DDR-Zeiten etwas wie Tausende andere auch: Sie pachteten von der Gemeinde ein Garagengrundstück und bauten sich darauf ihre eigene Garage. Doch als am 3. Oktober 1990 um 0:00 Uhr der Einigungsvertrag wirksam wurde, waren die Georgis wie etliche DDR-Bürger von einer Sekunde auf die andere enteignet. Die Konsequenz dessen bekommen sie aber erst jetzt zu spüren - über 30 Jahre später.

Die Eheleute hatten im März 1990 nahe ihres Wohnhauses ein Garagengrundstück an der Straße der Jugend von der Gemeinde gepachtet. Der auf "unbestimmte Zeit" geschlossene Nutzungsvertrag hält hierzu fest: "Die auf dem volkseigenen Land errichtete Garage ist Eigentum des Nutzungsberechtigten." Zu zahlen war ein jährliches Nutzungsentgelt von 36 DDR-Mark. Doch nur wenige Monate später änderte sich die Rechtslage grundlegend. Denn mit der Wiedervereinigung trat auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) der Bundesrepublik im Beitrittsgebiet in Kraft. Und das BGB kennt keine Trennung von Eigentum an einem Grundstück und dessen Bebauung. Wer Eigentümer eines Grundstücks ist, ist damit auch Eigentümer von allem, was fest mit diesem Grundstück verbaut oder auch darauf gepflanzt ist.

Gemeinde will Gesetz nun umsetzen

Das "volkseigene Land" gehörte fortan der Gemeinde Großschönau - samt sämtlicher darauf befindlicher Garagen (aktuell etwa 100). Um jedoch Härten für Betroffene abzufedern, wurden damals mit dem sogenannten Schuldrechtsanpassungsgesetz Kündigungsschutzfristen für solche Garagen- oder auch Gartenpachtgrundstücke erlassen. Diese Fristen änderten nichts am neuen Eigentumsstatus, zwangen den neuen Eigentümer aber, den alten DDR-Status noch anzuerkennen und liefen von etwas über neun bis zu maximal 25 Jahre. Für die Georgis änderte sich deshalb erst einmal lange nichts. Die Gemeinde hielt den Pachtvertrag aufrecht, aktuell bezahlen sie jährlich 45 Euro Pacht zuzüglich 9,18 Euro Grundsteuer.

Die längste Schutzfrist nach dem Schuldrechtsanpassungsgesetz lief am 3. Oktober 2015 aus. Und zuletzt im November 2021 bekamen die Georgis ein Schreiben der Gemeinde Großschönau, in dem diese den Pachtvertrag zum 31. Dezember 2022 kündigt und erklärte, nunmehr nicht mehr DDR-Recht anzuwenden, sondern nach Ablauf jener Schutzfrist eben das BGB. "Wir sind gehalten, die Garagenverhältnisse aus rechtlicher Sicht zu bereinigen", heißt es in dem Schreiben. Die Georgis würden nicht länger als Eigentümer ihrer Garage behandelt, sondern als Mieter.

Miete wird mindestens dreimal so teuer

Die Gemeinde macht den Georgis und den anderen Garagennutzern auch Vorschläge zur weiteren Verfahrensweise. Die Nutzer können die Garagen für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2025 für eine reduzierte Jahresmiete von 60 Euro nutzen. Dieser Sonderpreis stelle eine Entschädigung für in den letzten Jahrzehnten vorgenommene Investitionen durch die ehemaligen Eigentümer dar. Ab Januar 2026 sei dann monatlich je nach Zustand der Garage eine Miete von 1,20 bis 1,80 Euro pro Quadratmeter zu entrichten. Die Garagen haben eine Größe von etwa 14 Quadratmetern. Im günstigsten Fall wäre die Nutzung also künftig dreimal so teuer wie bisher, im ungünstigsten fünfmal so teuer.

Doch ums Geld geht's dem Ehepaar im Grunde gar nicht. "Wir sind Eigentümer der Garage und sollen nun enteignet werden", sagt Christian Georgi. Andere Gemeinden hätten bürgerfreundlichere Lösungen gefunden, den jahrzehntelangen Garagennutzern etwa Pachtverträge auf Lebenszeit eingeräumt. "Außerdem ist dieser Fristablauf im Schuldrechtsanpassungsgesetz eine Kann-Bestimmung. Die Gemeinde muss nicht kündigen", sagt er. Die Kündigung sei gegenüber sämtlichen Garagennutzern eine außerordentliche Härte, zumal alle Bewohner des Wohnviertels ja 30 bis 35 Jahre älter geworden seien. Zudem fragt er sich, wo die ganzen Autos künftig im Viertel abgestellt werden sollten, wenn viele Nutzer tatsächlich wie von der Gemeinde ebenfalls vorgeschlagen ihre Mietverträge kündigen.

Gemeinde begründet Entscheidung

Einige Garagennutzer sammelten Unterschriften und suchten das Gespräch mit Bürgermeister Frank Peuker (parteilos), der auch eine Delegation der Nutzer empfing. Dabei legten sie dem Bürgermeister auch andere Lösungen dar. "Sicherlich würden sich die Garagenbesitzer auch einer moderaten Erhöhung des Pachtzinses nicht verweigern", sagt Christian Georgi. Auf diese Weise könnte die Gemeinde höhere Einnahmen mit dem Garagenkomplex erzielen, ohne dort investieren zu müssen. Zudem meint Georgi, dass sich der Gemeinderat mit dem Vorgang hätte befassen müssen - allerdings liegt der Vollzug von Bundesgesetzen durch die Verwaltung nicht in der Entscheidungskompetenz des Gemeinderats.

Die Gemeindeverwaltung bleibt bei ihrer Vorgehensweise und Rechtsauffassung und begründet das auch. "Im Interesse der betroffenen Bürger, wurde mit der Umsetzung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes so lange wie möglich gewartet", heißt es auf SZ-Anfrage. Wegen der Grundsteuerreform dränge nun aber das Finanzamt, dass das Eigentum an Grundstück und Gebäude zusammengeführt werden muss, da momentan noch die "Garagenbesitzer" zur Grundsteuer veranlagt würden und nicht die Gemeinde als Eigentümer. "Die jetzige Vorgehensweise des Finanzamtes ist mit der Grundsteuerreform nicht mehr möglich, es wird dann keine Bauwerke mehr auf fremdem Grund und Boden geben. Daher ist diese nicht gesetzeskonforme Situation vorher zu bereinigen", schreibt Annett Apelt von der Großschönauer Finanzverwaltung.

Auch für eine "bürgerfreundlichere" Lösung mit Mietverträgen auf Lebenszeit zu den jetzigen Konditionen für ältere Nutzer sieht die Gemeinde keinen Raum. "Wir handeln als Gemeinde nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Ältere Bürger würden durch diese Variante gegenüber jüngeren Bürgern unverhältnismäßig besser gestellt werden", so Apelt. Die Gemeinde sei der Auffassung, durch die späte Umsetzung (eben erst 2021 und nicht schon 2015) und die lange Übergangszeit von weiteren vier Jahren schon eine bürgerfreundliche Variante gewählt zu haben.