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Wie Kauf-Interessenten durch eine Brille Umgebindehäuser schon saniert sehen

Seifhennersdorf setzt sich den Hut für ein innovatives Projekt auf. Dabei werden ruinöse Häuser virtuell aufgehübscht - und attraktiv für Kaufinteressenten.

Von Frank-Uwe Michel
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Alt und neu - mithilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich Ruinen wie diese Neugersdorfer Villa in sanierte Objekte verwandeln. Bald auch Umgebindehäuser?
Alt und neu - mithilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich Ruinen wie diese Neugersdorfer Villa in sanierte Objekte verwandeln. Bald auch Umgebindehäuser? © André Grünwald/Montage: SZ

Hier ein Umgebindehaus, dort ein Umgebindehaus - in Seifhennersdorf gibt's die historischen Bauten fast an jeder Ecke. Oft ist ihr Zustand erschreckend. Interessenten gibt es zwar immer wieder, aber nicht jeder ist vom Fach und so überzeugt von seinem Tun wie Michael Bürger.

Der Berliner Architekt hat sich in die alte Fischfabrik in der Conradstraße verliebt und saniert das 1829 als bäuerliches Umgebinde mit Stall errichtete Gebäude, das im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Kontor umgeformt, später aber auch als Fischräucherei und Konservenfabrik betrieben wurde.

Michael Bürger (links) hat sich in ein Umgebindehaus in Seifhennersdorf verliebt. Er saniert die alte Fischfabrik in der Conradstraße. Beraten wird er vom Baugutachter Uwe Drewanz.
Michael Bürger (links) hat sich in ein Umgebindehaus in Seifhennersdorf verliebt. Er saniert die alte Fischfabrik in der Conradstraße. Beraten wird er vom Baugutachter Uwe Drewanz. © Matthias Weber/photoweber.de

Um Schwung in die Sache zu bringen, ist die Stadt jetzt führender Partner bei einem Projekt, mit dem man sich am Wettbewerb simul+ beteiligen will. Der Freistaat lobt dabei bis zu 150.000 Euro aus. Unter dem Slogan "Mitmachwettbewerb für lebendige Regionen" werden "pfiffige Zukunftsideen" gesucht, die Menschen bestärken, sich für die Regionen, in denen sie leben, zu engagieren. Mit im Boot zum Thema Umgebindehäuser sind Großschönau und Kottmar, auch Ebersbach-Neugersdorf wurde angefragt. Ebenso beteiligt sind die Stiftung Umgebindehaus und verschiedene Experten - unter anderem vom Fraunhofer-Institut in Zittau.

Eigentlich sollte das erhoffte Preisgeld aus dem Wettbewerb eine Machbarkeitsstudie finanzieren, mit der man die Wiederaufnahme der Weltkulturerbe-Bewerbung untersuchen wollte. Seit 2012 gibt es immer wieder Bemühungen, die bedrohte Volksbauweise auf die deutsche Vorschlagsliste für das Weltkulturerbe zu bringen, von der Unesco bestätigen zu lassen und damit langfristig zu retten. Bisher scheiterten jedoch alle Versuche. Mit dem erneuten Vorstoß wollte man ergründen, wie das Thema erfolgreicher angegangen werden kann.

Daraus wird nun erst einmal nichts. "Fachleute haben uns versichert: Allein das Weltkulturerbe ist zu unspektakulär, um bei simul+ abzuräumen. Wir wollten aber nicht vom Umgebinde lassen und haben uns deshalb für einen anderen Ansatz entschieden", erklärt Matthias Schwarzbach. Der frühere Zittauer IHK-Chef engagiert sich stark in der Stiftung Umgebindehaus. In der Projektgruppe sei deshalb die Idee entstanden, Künstliche Intelligenz (KI) in das Thema einzubinden. "Wir wollen Interessenten eine völlig neue Chance bieten, sich in diese einzigartige Bauweise zu verlieben - und zu sehen, wie aus Ruinen gut bewohnbare Häuser werden können."

Umgebindehäuser - hier die Obere Mühle in Seifhennersdorf auf einem Bild aus dem Jahr 2021 - befinden sich oft in keinem guten Zustand.
Umgebindehäuser - hier die Obere Mühle in Seifhennersdorf auf einem Bild aus dem Jahr 2021 - befinden sich oft in keinem guten Zustand. © Matthias Weber/photoweber.de

Bis zum 11. März haben alle Beteiligten Zeit, ihre Ideen zu Papier zu bringen und einen ersten Einstieg in die mögliche Umsetzung zu formulieren. Weil Seifhennersdorf - auch wegen der ungeklärten Haushaltslage - nicht in der Lage ist, mit der nötigen Manpower voranzugehen, kommen nun die Bildungs- und Begegnungsstätte Windmühle sowie dessen Trägerverein ins Spiel. Vorsitzender Markus Kranich: "Wir werden diese Arbeit für die Kommune erledigen."

Konkret geht es darum, möglichst spannend das aufzuschreiben, was mit dem Preisgeld passieren soll. Matthias Schwarzbach erklärt es so: "Es sollen Datenbanken entstehen - speziell zum Thema Sanierung und Umgebindehaus. Wie hoch ist der Aufwand? Welche Kosten sind zu erwarten? Welches Material wird gebraucht? Gibt es einen möglichen Vorfertigungsgrad? Wie sehen die Forderungen des Denkmalschutzes aus?" Mit all diesen Angaben werde dann KI "gefüttert". Die Technik mache es möglich, dass daraus Zukunftsvisionen entstehen.

Mithilfe sogenannter "Virtual Reality" (VR) und einer Spezialbrille sollen ruinöse Bauwerke in das spätere Zuhause des Betrachters verwandelt werden. "Zudem gibt es extra für das gewünschte Objekt Informationen zur Sanierung dazu", so Schwarzbach. Ziel müsse es sein, damit das Interesse für Umgebindehäuser zu stärken und die Vitalisierungsquote zu erhöhen. "Wenn ich weiß, was mich erwartet und wie es später aussehen kann, steigert das mein Verlangen, einzusteigen. Und wenn ich noch erfahre, wie meine Probleme zu lösen sind - und das vor meinem Auge vorgeführt bekomme - dann sollte das ein wirklich starker Anreiz sein."

Das Dittelsdorfer Museum wurde bereits mit VR-Technik vermessen. Auftakt für die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz im Bereich Umgebindehäuser.
Das Dittelsdorfer Museum wurde bereits mit VR-Technik vermessen. Auftakt für die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz im Bereich Umgebindehäuser. © Archiv/Jens Böhme

Die Umsetzung der Projektidee ist laut Matthias Schwarzbach kein Problem. Als erstes Beispiel sei das Museum Dittelsdorf - natürlich ein historisches Umgebindehaus - bereits mit VR-Technik vermessen worden. Weitere, noch marode Gebäude, sollen folgen. Voraussetzung: Die simul+-Jury ist davon überzeugt. Dass sie das sein wird, hofft Schwarzbach sehr, weil sich noch viele andere Verwendungszwecke ergeben könnten. "Sanierung passiert ja nicht nur auf dem Lande hier bei uns. Das Verfahren ist sicher auch übertragbar auf alle anderen Rekonstruktionen im Bestand."

Auch wenn das Thema Weltkulturerbe nicht mehr Teil der aktuellen Arbeit am Wettbewerbsbeitrag ist - ganz gestorben ist es nach Auffassung des früheren IHK-Chefs nicht. "Wir werden sicherlich Erkenntnisse gewinnen, die auf dem Weg zu einer neuen Bewerbung nutzbar sind." Auch Thomas Rublack bleibt vorsichtig optimistisch: Man müsse überlegen, ob das immaterielle Erbe im Sinne der Technologie oder das Umgebindehaus als Objekt besonders schützenswert sei und damit zum Weltkulturerbe erklärt werden solle. Hierbei, so der Wirtschaftsdezernent des Landkreises Görlitz, sei man jedoch noch ganz am Anfang.