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Rollenspiele auf Gräbern

„Fräulein Julie“ im Zittauer Klosterhof emanzipiert sich davon, eine Tragödie zu sein.

Von Marcel Pochanke
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Szene aus "Fräulein Julie"
Szene aus "Fräulein Julie" © Pawel Sosnowski

Das Motto des Gerhart-Hauptmann-Theaters, „Hearts on Fire“, wäre eine gelungene Überschrift für das Sommerstück im Zittauer Klosterhof. Brennende Herzen, die sind immerfort präsent, wobei ihre Flammen fortwährend in andere Richtungen schlagen. Das aber mit solcher Inbrunst und gelegentlicher Übersteigerung ins Groteske, dass man sich eher in einem Stück des Sturm und Drang als einem des Naturalismus wähnt, wie es „Fräulein Julie“ von August Strindberg ist.

So gar nicht naturalistisch ist die Bühne, die Ausstatterin Maria Frenzel in den Klosterhof gebaut hat. Auf Gräbern tanzt Julie. Violett, die Farbe des Todes, dominiert die Bühne, wobei eine bunte Lichterkette zu beiden Seiten Sommertheater-Gefühl schafft und eine immer präsente Ebene des Lebensgenusses.

An den gräflichen Palast, in dem die Handlung spielt, erinnert fast nichts. Da sind nur die Requisiten, etwa die Weinkelche, aus denen der Diener Jean den besten Tropfen seines Herrn trinkt, und die Kleidung, die aus der Entstehungszeit des Dramas, dem späten 19. Jahrhundert, stammen könnte. Julie (Lilja van der Zwaag) steckt in einem Tanzkleid, das mit Ruß und Staub beschmutzt ist, sodass das Weiß einem Grau gewichen ist.

Aus dem 19. Jahrhundert ist auch der grundlegende Konflikt, der zu Strindbergs Zeiten eine Tragödie auslösen konnte. Heute wäre es eher eine Privatentscheidung, wer mit wem tanzt, auf den See rudert oder ins Bett geht. Unangenehme Folgen mag das haben, aber um Entehrung geht es dabei selten. Für „Fräulein Julie“ steht aber alles auf dem Spiel, nachdem sie mit ihrem Bediensteten geschlafen hatte. Den sie erst erotisch umgarnt, der sich ziert aus Standesdenken, Scham und Kleinmut. Dann jedoch holt er die ganz großen Pläne raus, ein eigenes Hotel in der Schweiz mit Julie als attraktiver Staffage und Lockvogel für Geldgeber. Das kann sie nicht wollen, will sie auch nicht, will sie dann doch, teils aus Ausweglosigkeit, teils aus Lust.

Bald erniedrigt er sie, bald will sie ein Liebesgeständnis, dann bekniet er sie, dann zeigt sie ihm ihre ganze Abscheu, bevor sie wieder loswill mit ihm, sofort und überall hin. Naturalismus, Liebe oder Seifenoper – man mag hier viele Zuschreibungen finden. Der feinsinnige Text von Strindberg, die Dialoge und Gedanken, tragen durch die Wechsel der Gemütslagen. Dafür, dass sie nicht ohne Weiteres auf den Zuschauer überspringen, sorgt nicht zuletzt die fern klingende Sprache aus der vergangenen Adelswelt.

Die Figuren im Klosterhof können ihre Bewegtheit und Umschwünge nicht immer schlüssig vermitteln. Zwar wollte Strindberg eine Situation schaffen, in der die Motive der Figuren vielschichtig und nicht immer offensichtlich sind, aber dafür bleibt in der Regie von Beatrix Schwarzbach vor allem David Thomas Pawlak in der Rolle des Bediensteten Jean recht eindimensional. Man ist versucht, seine Artikulation in Verbindung zu bringen mit dem anderen Standbein der Regisseurin, die auch als Rhetoriktrainerin arbeitet.

Die Schöpfung Mensch begeistert

Rhetorisch ist ihm (fast) nichts vorzuwerfen. Charakterlich aber ist er ein Widerling und selbst dort, wo er Gefühl behauptet, schmettert er es pathetisch und seelenlos in die Nacht. Unfassbar, dass es Julie zu ihm hinzieht, für die Lilja van der Zwaag die feinere Klaviatur der Empfindungen spielt, dabei aber immerzu über Oktaven springt. Das macht den Reiz der Zittauer Sommertheaternacht aus, die Ungewissheit der Reaktionen, die allerdings mehr aufregend zur Schau gestellt daherkommen.

Von der Tragödie, am Rande von Tod und Wahnsinn, die das Drama so wirkungsmächtig machte, bleibt in der Zittauer Inszenierung ein reizvoller Tanz auf Gräbern. Ihre Modernität liegt in einer noch größeren Nichtnotwendigkeit der Dinge, als es Strindberg, einem Radikalen seiner Zeit, je vorschwebte. Die Inszenierung ist damit nichts für Zuschauer, die jede Wendung nachvollziehen wollen. Umso mehr kann Vergnügen finden, wer der Schöpfung Mensch gern fasziniert zuschaut beim Leben, Irren, Lachen, Scheitern, Feiern und Rollenspielen. Da das Glück nur im Vergleich liegt, schreibt Strindberg, bilde der Wechsel von Steigen und Fallen „eine der größten Annehmlichkeiten des Lebens“.

"Fräulein Julie" wird wieder am 27. und 28. Mai sowie im Juni und Juli gespielt.