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Boahnl in Not: Wegen massiver Schäden am Schienennetz droht Stillstand

Etliche minderwertige Schwellen der Zittauer Schmalspurbahn sind verrottet - ein ererbtes Problem. Das Boahnl braucht Millionen - und das schnell.

Von Markus van Appeldorn
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Einer von Zittaus größten Tourismus-Magneten: Das Boahnl - hier mit der Dampflok in Oybin.
Einer von Zittaus größten Tourismus-Magneten: Das Boahnl - hier mit der Dampflok in Oybin. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Mit ihr kommt man auf dem schönsten und nostalgischstem Weg von Zittau ins Gebirge - mit der Schmalspurbahn, liebevoll Boahnl genannt. Mit ihren historischen Dampfloks ist sie im Wortsinn ein Zugpferd für den Tourismus der Region. Doch zur Wahrheit gehört leider auch: Das Boahnl kämpft seit Jahrzehnten gegen den Verfall. Millionen wären für die Sanierung der Infrastruktur nötig - schnell. Und das wurde nie so offenbar wie jetzt durch den Brief eines Fahrgastes.

Ein Leser und gelegentlicher Fahrgast der Schmalspurbahn schreibt der SZ, zuletzt an Pfingsten mit seinem Enkel mit dem Boahnl gefahren zu sein. Er schildert: „Kurz vor dem Endhalt Jonsdorf Bahnhof fuhr der Zug plötzlich nur noch Schrittgeschwindigkeit, was er die letzten Jahre nie getan hat. Mein Enkel wollte Fotos schießen und so liefen wir am Friedhof entlang ein Stück am Gleis zurück, ungefähr bis oberhalb Haus Nr. 39. Der Anblick, der sich uns bot, war erschreckend. Die Holzbohlen im Gleisbett sind teilweise restlos verfault und zerfallen, Nägel konnte man mit der Hand herausziehen. Der ganze Boden gab nach beim Drüberlaufen.“ Der Leser fragt daher: "Werden die Schienen nicht regelmäßig überprüft oder ist das der Soeg zugunsten der Einnahmen egal?"

Ein ererbter Geburtsfehler des Boahnls

Ingo Neidhardt, Geschäftsführer des Boahnl-Betreibers Sächsisch Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft (Soeg), kennt das Problem - und redet es kein bisschen schön. "In der Tat beschreibt der Leserbrief eine Situation, die die Soeg seit einiger Zeit und zunehmend mehr beschäftigt", schreibt er, und was die Annahme des Lesers betrifft, Einnahmen seien seinem Unternehmen wichtiger als der Erhalt der Infrastruktur: "Grundsätzlich gilt: Die Soeg ist kein Unternehmen, welches mit den Einnahmen einen Gewinn erzielt, der gegebenenfalls wichtiger wäre als Erhaltungsmaßnahmen. Das betriebswirtschaftliche Ergebnis beträgt am Ende jeden Jahres +/- 0 Euro, und es kann für Instandsetzungen nur das ausgegeben werden, was der laufende Haushalt zulässt."

Das eigentliche Problem sei ererbt. Wegen des noch in den 80er-Jahren gültigen Plans der damaligen DDR-Oberen, den Tagebau Olbersdorf zu erweitern und im Zuge dessen die Schmalspurbahn einfach abzubaggern, sei das Boahnl am Ende der 1980er-Jahre auf Verschleiß gefahren worden. "Sämtliche Gleise wurden nicht mehr instandgesetzt und waren nach der Abwendung der Einstellung kaum noch befahrbar", erklärt Neidhardt. Die Wende rettete zwar das Boahnl, versah die "neue" Schmalspurbahn allerdings mit einem technischen Geburtsfehler. "Die nach der Wende von der DR/DB eiligst durchgeführten Gleiserneuerungen wurden größtenteils mit Weichholzschwellen durchgeführt. Diese haben nach 20 bis 30 Jahren leider das Ende ihrer Lebensdauer erreicht", so Neidhardt. Hartholzschwellen dagegen hielten deutlich länger.

Großer Teil des Schienennetzes sanierungsbedürftig

Seit bereits acht Jahren sei die Soeg dabei, die Weichholzschwellen gegen neue Hartholzschwellen auszutauschen. Gebaut werde jeweils in der Sperrpause im November, um den Betrieb in der Saison nicht zu beeinträchtigen. Aber das Geld reicht bei weitem nicht aus, nur für das Nötigste. "Das jährliche Budget dieser Arbeiten beträgt etwa 250.000 Euro. Um den Verfallsprozess komplett entgegenwirken zu können, wäre ein jährliches Budget von mindestens 600.000 Euro nötig, das geben aber die laufenden Finanzen nicht her", erklärt Neidhardt. Die Bestellergelder des Verkehrsverbundes Zvon und die Fahrgeldeinnahmen würden nur die laufenden Kosten des Betriebes decken. "Grundhafte Instandsetzungen an der Infrastruktur lassen sich davon nicht zusätzlich finanzieren", so Neidhardt - und das sei bei der Deutschen Bahn übrigens nicht anders.

Präzise seien acht Kilometer des Boahnl-Netzes sanierungsbedürftig, 2,5 Kilometer stark sanierungsbedürftig. Um die Infrastruktur zu prüfen, gebe es monatliche Streckenbegehungen. Was die von dem Fahrgast angesprochene Stelle in Jonsdorf angehe, stehe diese seit rund zwei Jahren unter verstärkter Beobachtung. Als Sicherheitsmaßnahme seien sogenannte "Spurhalter" eingebaut worden. Das sind zwischen den Schienen angebrachte Zusatzschienen, die verhindern, dass eine Lok komplett aus dem Gleis springen kann. Die Sanierung dieses Abschnitts sei für diesen November geplant. Danach würden die "Spurhalter" wieder ausgebaut. Bis dahin könne die Betriebssicherheit des Boahnls an der Stelle auch garantiert werden.

Die Schwelle des Schienenstrangs in Jonsdorf ist total verrottet. Eine Schienenbefestigungsschraube fand keinen Halt mehr und wurde wahrscheinlich heraus gerüttelt. Foto: Markus van Appeldorn
Die Schwelle des Schienenstrangs in Jonsdorf ist total verrottet. Eine Schienenbefestigungsschraube fand keinen Halt mehr und wurde wahrscheinlich heraus gerüttelt. Foto: Markus van Appeldorn © Markus van Appeldorn

Streckensperrungen drohen

Dennoch baut man dem Verfall bloß hinterher. "Budgetbedingt sind jährlich nur etwa 600 Meter Sanierung möglich, es muss abschnittsweise vorgegangen werden", so Neidhardt. Für die gesamten sanierungsbedürftigen acht Kilometer müssten vier bis fünf Millionen Euro aufgewendet werden. Bei einem Jahresbudget von 250.000 Euro würde das 20 Jahre brauchen, bei einem von 600.000 Euro immer noch acht. "Wobei jedes Jahr sanierungsbedürftige Abschnitte dazu kommen", erklärt er. Als sinnvoll würde er daher ein jährliches Sanierungsbudget von 800.000 Euro erachten.

Ein weiteres Problem sei die Verteuerung der letzten Jahre (etwa +20 Prozent). "Dadurch lassen sich immer weniger Strecken-Meter instand setzen, weil die zur Verfügung stehende Summe nicht einfach erhöht werden kann", so Neidhardt. Mit dem Freistaat und dem Zvon stehe man in Verhandlung, nur ließen es die dortigen finanziellen Verhältnisse auch nicht zu, in der notwendigen Höhe zu bauen. "Sollte die Soeg dem Verfallprozess nicht ausreichend entgegensteuern können, wäre sie wie bereits geschehen, gezwungen, gewisse Streckenabschnitte zunächst durch Langsamfahrstellen zu beeinträchtigen oder im weiteren Verlauf gegebenenfalls ganz zu sperren, bis eine finanzielle Lösung gefunden wird. Eine Lösung für die nächsten zwei bis drei Jahre ist aber dringend angemahnt", schreibt er.