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Justiz-Stau wegen geschlechtsneutraler Sprache?

Im sächsischen Justizministerium werden Gesetzes-Texte gendergerecht formuliert - und in der Oberlausitz fehlen die Juristen. Mancher sieht da einen Zusammenhang.

Von Markus van Appeldorn
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Auch sächsische Gesetze werden jetzt gegendert - das gefällt nicht jedem.
Auch sächsische Gesetze werden jetzt gegendert - das gefällt nicht jedem. © Markus van Appeldorn

Neben dem Kampf fürs Klima ist eines der vordringlichsten Themen auf der Agenda der Grünen: eine gendergerechte Sprache. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock forderte jüngst in einem Interview gendergerechte Gesetzestexte, also solche, die gleichsam Männer, Frauen und Personen ansprechen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Dabei: Im sächsischen Justizministerium werden solche Gender-Texte längst formuliert. Und mancher fürchtet, dass dies die besonders in Ostsachsen bereits überlastete und unterbesetzte Justiz noch mehr lähmt - weil dafür Juristen im Ministerium arbeiten, während hier Richter oder Staatsanwälte fehlen.

Mit nur zu 87 Prozent besetzten Richterstellen ist das Zittauer Amtsgericht das personell am schlechtesten ausgestattete im Freistaat. Mindestens ein Richter fehlt. Und weil zum 30. September zwei Richterinnen, darunter die Amtsgerichts-Präsidentin, in den Ruhestand gehen, verschärft sich dieses Problem. "Die Stellen sind ausgeschrieben, aber wir wissen nicht, ob sich dafür jemand findet", sagt Amtsrichter Holger Maaß. Denn tatsächlich tut sich die Justiz in Ostsachsen seit Jahren schwer, qualifizierte Juristen für den Staatsdienst in den Gerichten und Staatsanwaltschaften zu gewinnen. Und sein Richter-Kollege Kai Ronsdorf sieht noch einen anderen Grund, warum hier Richter und Staatsanwälte fehlen: "Das sächsische Justizministerium stellt Richter und Staatsanwälte dazu ab, im Ministerium in Dresden Gesetzestexte in gendergerechte Sprache zu bringen." Ein Unding findet er das, das die Justiz zusätzlich lähmt.

Ministerium widerspricht Vermutung

Das grün geführte Justizministerium bestätigt auf SZ-Anfrage, dass dort tatsächlich Gesetzestexte in gendergerechter Sprache gefasst werden. Solche Sprachformen nutzen etwa den Gender-Stern ("Student*innen"), den Unterstrich ("Bürger_innen") oder die Binnengroßschreibung ("PolitikerInnen"). Das Ministerium dementiert allerdings, deswegen Gerichten oder Staatsanwaltschaften Stellen vorzuenthalten. "Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, der dienstlich mit der Erstellung von Normtexten befasst ist, muss sich in diesem Rahmen auch mit Fragen der geschlechtergerechten Sprache befassen", teilt Ministeriumssprecher Jörg Herold dazu mit. Niemand befasse sich dort jedoch überwiegend oder gar ausschließlich mit diesem Thema. "Dafür wurden auch keine neuen Stellen geschaffen", heißt es weiter.

Rechtsgrundlage dafür sei eine Verwaltungsvorschrift, die zum 24. Juli 2020 gültig geworden sei. Darin heißt es: „Die Rechtsnormen bringen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck, ohne jedoch die Verständlichkeit oder Klarheit des Rechtstextes zu beeinträchtigen.“ Das, so der Ministeriumssprecher, bedeute nicht, dass alle bestehenden Gesetze und Rechtsverordnungen sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist in diesem Sinne zu überarbeiten sind. "Die Neuregelung gilt nur für Gesetz- und Verordnungsentwürfe, die seit dem 24. Juli 2020 erarbeitet wurden beziehungsweise werden", erklärt Herold.

Keine neue Mode

"Ein zusätzlicher Personalbedarf entsteht dadurch weder im Sächsischen Staatsministerium der Justiz, noch in anderen Ressorts", betont der Ministeriumssprecher. Eine Aufstockung des Personals wegen dieser Aufgabe war daher nicht notwendig und sei auch nicht erfolgt. An der Erarbeitung von Normtexten seien auch nicht nur Juristen beteiligt. "Da es sich um Rechtstexte handelt, ist aber eine gewisse juristische Vorbildung zweckmäßig", so Herold.

Ringo Hensel, CDU-Kandidat für die Wahl zum Löbauer Oberbürgermeister, hat in Görlitz sowohl als Staatsanwalt wie als Richter am Landgericht gearbeitet. Derzeit ist er zum Oberlandesgericht in Dresden abgestellt. Das geschlechtsneutrale Formulieren von Gesetzestexten sei keinesfalls eine neue Mode, sagt er. "Das gab's vor 20 Jahren schon mal, dass Verordnungen so formuliert wurden." Weil das in der Praxis aber schnell zu einer Unleserlichkeit geführt habe, habe man das damals wieder eingestellt.

Wie das Ministerium der Pensionierungswelle begegnet

Und natürlich kennt Hensel auch die Personalnot von Gerichten und Staatsanwaltschaft in der Oberlausitz. "Bei der Staatsanwaltschaft in Görlitz sind die Stellen sogar nur zu 85 Prozent besetzt", sagt er. Dennoch sieht er keinen Zusammenhang zwischen der Umformulierung von Gesetzestexten und einem Personalmangel bei der hiesigen Justiz. Vielmehr mangele es frisch ausgebildeten Juristen an der Bereitschaft, nach Ostsachsen zu kommen. "Die muss man schon in den Hintern treten", formuliert Hensel es salopp. Wenigstens habe er sich gemeinsam mit Unterstützern dafür eingesetzt, dass bei der Görlitzer Staatsanwaltschaft wieder eine Stelle für die Referendarausbildung geschaffen wird. Das Ministerium habe das auch zugesagt. Solche Stellen gebe es bislang nur in Leipzig, Dresden und Chemnitz. Einen Nachteil sieht er darin, dass an der Dresdner Universität keine Juristen mehr ausgebildet würden, sondern sachsenweit nur noch in Leipzig. "Wer dort dann fertig studiert hat, kommt vielleicht noch bis Dresden, aber nicht nach Ostsachen", sagt Hensel.

All diese Umstände nimmt man auch beim Ministerium sehr ernst. "Der Aufgabe, geeignetes Personal zu gewinnen und zu binden, kommt angesichts des demografischen Wandels immer größere Bedeutung zu", erklärt Ministeriumssprecher Herold. Man habe bereits Maßnahmen getroffen, um die Funktionsfähigkeit der Justiz zu erhalten und den anstehenden Generationenwechsel zu bewältigen. So seien in den vergangenen Jahren trotz geringer Altersabgänge überdurchschnittlich viele Proberichterinnen und Proberichter eingestellt worden - seit 2017 insgesamt 100 Stellen. Die nach dem Haushaltsplan zur Verfügung stehenden Stellen für Richter und Staatsanwälte würden für die Einstellung von Richtern auf Probe genutzt, verbunden mit einer Zuweisung zu Gerichten und Staatsanwaltschaften mit einem besonders hohen Personalbedarf.

"Darüber hinaus wurden zur Entzerrung der Altersstruktur im Rahmen der Dienstrechtsreform zeitlich befristete Sonderreglungen für den Ruhestandseintritt der unter Richtern und Staatsanwälten besonders stark vertretenen Jahrgänge 1958 bis 1964 getroffen", so Herold. Personen der Jahrgänge 1958 bis 1961 haben demnach die Möglichkeit, bis zu dreieinhalb Jahre vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem aktiven Dienst auszuscheiden. Personen der Jahrgänge 1962 bis 1964 dagegen können den Eintritt in den Ruhestand bis zu drei Jahre hinausschieben, wobei ein Gehalts-Zuschlag gewährt wird.

Korrekturhinweis 20. August, 9.35 Uhr: In einer ursprünglichen Variante dieses Artikels hatte es geheißen, in Görlitz sei schon eine Referendarstelle geschaffen worden. Das ist zwar vorgesehen, aber noch nicht umgesetzt.