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Wie eine junge Zittauerin auf dem Mittelmeer Flüchtlings-Leben rettet

Clara Baudisch aus Zittau hat auf einem Segelschiff das Mittelmeer auf der Suche nach Flüchtlingsbooten durchkreuzt. Sie sagt: "Was man da sieht, darauf bereitet einen kein Fernsehbericht vor."

Von Markus van Appeldorn
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Clara Baudisch war als Seenotretterin für Flüchtlinge mit einem Segelboot auf dem Mittelmeer unterwegs.
Clara Baudisch war als Seenotretterin für Flüchtlinge mit einem Segelboot auf dem Mittelmeer unterwegs. © Matthias Weber/photoweber.de

Das Mittelmeer ist ein riesiges Grab, seine Wasseroberfläche ein gigantisches blau schimmerndes Leichentuch. Jedes Jahr ertrinken dort Tausende von Flüchtlingen, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa in seeuntauglichen Booten von der tunesischen Küste aus auf den Weg machen. Nur 138 Kilometer sind es bis zur italienischen Insel Lampedusa - 138 Kilometer Todeszone. Seenotretter wollen den Tod der Menschen auf dem Mittelmeer verhindern. Eine davon ist Clara Baudisch (22) aus Zittau. Erst vor wenigen Tagen ist sie von ihrem letzten Einsatz auf dem Mittelmeer zurückgekehrt.

"Allein in diesem Jahr sind im Mittelmeer über 2.000 Menschen ertrunken", sagt Clara Baudisch. Früher war das für sie auch nur eine Zahl. "Migration war für mich immer mega abstrakt. Ich hatte das ja vorher nie gesehen", sagt sie. Ja klar, Bilder im Fernsehen. Aber eben irgendwie ganz weit weg. Heute sagt sie: "Was man da sieht, da bereitet einen kein Fernsehbericht drauf vor."

Erste Arbeit mit Flüchtlingen auf Lesbos

Dabei hat sich Clara Baudisch vorbereitet - auf die harte Tour. Sie ist kein Typ für eine geradlinige Karriere der Sorte Schule-Studium-Beruf. Nach dem Abitur am Zinzendorf-Gymnasium in Herrnhut hat sie zwar ein paar Semester Ethnologie in Freiburg und Leipzig studiert - aber das Studium ruht. "Ich belege gerade die Schule des Lebens", sagt sie.

Clara Baudisch will helfen, weil sie sich durch puren Zufall privilegiert fühlt: "Mir geht's so viel besser als vielen anderen Menschen auf der Welt - bloß weil ich einen deutschen Pass habe." Sie will reisen. Aber diese Reisen sind kein Urlaub. Schon im Sommer 2022 reiste sie für fünf Wochen auf die griechische Insel Lesbos, mit wenig Geld in der Tasche und im Gepäck kaum mehr als eine Hängematte.

Lesbos ist einer der größten Anlaufpunkte für Flüchtlinge, die von der nahen türkischen Küste mit Booten dorthin gelangen. Hier wollte Clara helfen. "Da kommen jeden Tag Flüchtlingsboote an, man kann von dort aus ja die Türkei sehen", sagt sie. Und sie lernte, dass auch in dieser Welt das Marktgesetz gilt, nach dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. "Wenn das Wetter schlecht ist, ist die Überfahrt billiger", erzählt sie.

Auf Lesbos leistete sie Hilfe, die Leben retten kann. Sie hat eine Ausbildung als Rettungsschwimmerin beim DLRG. "Ich habe da Flüchtlingen das Schwimmen beigebracht. Es ist ein Wahnsinn, wie viele dieser Menschen überhaupt nicht schwimmen können", sagt sie. Deswegen kam ihr dann auch der Gedanke, Seenotretterin zu werden. "Im Mai 2023 habe ich an der kroatischen Adria den Segelschein gemacht", erzählt sie. Und im Spätsommer heuerte sie bei der Hilfsorganisation "Compass Collective" aus dem niedersächsischen Wendland an. "Die Organisation ist aus der einstigen Bürgerinitiative gegen ein Atommüll-Endlager in Gorleben hervorgegangen", erzählt sie.

Seenothilfe mit einer "Nussschale"

Die Organisation betreibt das Segelschiff "Trotamar III", das seit August 2023 vom sizilianischen Hafen Licata aus zur Seenotrettung ausläuft. Beim zweiten und dritten Törn zwischen September und November war Clara Baudisch mit an Bord. Mit ihren 13 Metern Länge ist die "Trotamar III" im Grunde auch eine "Nussschale" - nicht die Art von Schiff, mit dem man Flüchtlinge aus dem Mittelmeer auflesen könnte. Aber das ist auch gar nicht die vorrangige Aufgabe des Seglers. "Wir machen sogenanntes Boat Spotting. Menschen nehmen wir nur in Ausnahmefällen an Bord", erklärt sie.

Clara Baudisch am Ruder. Mit 20 Flüchtlingen wurde es eng an Bord der "Trotamar III".
Clara Baudisch am Ruder. Mit 20 Flüchtlingen wurde es eng an Bord der "Trotamar III". © compass-collective.org
Die "Trotamar III" unter vollen Segeln auf Hoher See.
Die "Trotamar III" unter vollen Segeln auf Hoher See. © compass-collective.org
Das Beiboot der "Trotamar III" begleitet zusammen mit einem italienischen Seenotrettungsschiff ein Flüchtlingsboot.
Das Beiboot der "Trotamar III" begleitet zusammen mit einem italienischen Seenotrettungsschiff ein Flüchtlingsboot. © compass-collective.org
Clara Baudisch (l.) mit der Crew im sizilianischen Licata, dem Heimathafen der "Trotamar III".
Clara Baudisch (l.) mit der Crew im sizilianischen Licata, dem Heimathafen der "Trotamar III". © compass-collective.org

"Boat Spotting" heißt, im internationalen Gewässer 24 Meilen (ca. 39 km) vor der tunesischen Küste zu kreuzen und Ausschau nach Flüchtlingsbooten zu halten. "Wenn wir eines entdecken, fahren wir heran und checken die Lage", erklärt sie, und: "Wir schauen etwa, wie das Boot im Wasser liegt, ob die Menschen Rettungswesten anhaben, ob es medizinische Notfälle gibt und ob der Motor funktioniert." Für Sofortmaßnahmen hat die "Trotamar III" 230 Rettungswesten an Bord.

Außerdem versorgt die Crew die Flüchtlinge mit Wasser und Nahrung. Sollte es die Lage erfordern, wird über Seefunk Hilfe gerufen. "Das können alle Schiffe in der Nähe mithören", sagt sie. Hilfe bei der Suche nach Flüchtlingsbooten kommt auch aus der Luft. Zwei Flugzeuge starten täglich von Sizilien aus zur Absuche. "Das sind quasi unsere Augen", sagt Clara.

Flüchtlinge bei Sturm an Deck festgebunden

Und einmal kam sie eben doch, die Situation, dass die "Trotamar III" Flüchtlinge an Bord nehmen musste. "Wir haben ein Boot mit 20 Flüchtlingen entdeckt. Es herrschte zwei Meter hoher Wellengang. Das Boot konnte gar nicht mehr manövrieren", erzählt sie und weiter: "Wir mussten die Menschen bei uns an Deck festbinden, damit sie nicht ins Meer stürzen."

Keine Ahnung hätten die Flüchtlinge von den Gefahren der See. "Die wissen gar nichts. Die denken, so eine Überfahrt in ihren Booten würde sechs Stunden dauern - dabei sind es mindestens sechs Tage", erzählt sie. Und die Menschen auf diesen Booten hätten dazu noch keinerlei Ahnung von Nautik und Navigation.

Clara Baudisch weiß, dass ihr und ihren Mitstreitern mitunter der Vorwurf gemacht wird, sie würden das Geschäft der Schleuser betreiben - angeblich, weil viele Flüchtlinge sich nur deswegen auf die gefährliche Fahrt begeben würden, weil Seenotretter in der Nähe kreuzen. Diesen Vorwurf will sie nicht gelten lassen. "Wir kommen unserer Pflicht nach, Menschen in Seenot zu helfen", und: "Eine Studie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Seenotrettung kein Pull-Faktor ist, der mehr Menschen zur Flucht anreizt."

Die im Rahmen eines Projekts am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung von der Universität Potsdam erstellte Studie besagt im Kern: Es gibt keine Verbindung zwischen lebensrettenden Aktionen im Meer und der Zahl der Migranten. Bedeutende Flucht-Faktoren seien vielmehr die Intensität von Konflikten, Rohstoffpreise, Naturkatastrophen oder Wetterbedingungen.

In den nächsten Wochen wird Clara erstmal auf dem Weihnachtsmarkt in Leipzig jobben, an einem Glühweinstand. Aber das Mittelmeer hat sie sicher nicht zum letzten Mal gesehen. "Ich will auf jeden Fall auf dem Wasser bleiben", sagt sie. Deshalb erwägt sie auch, sich als Schiffstechnikerin ausbilden zu lassen.