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Aus Rache? Ordnungsamts-Chef zeigt Seifhennersdorfer Bürgermeisterin mehrfach an

In einem Bußgeldprozess gegen die ehemalige Bürgermeisterin Karin Berndt kommen Hintergründe ans Licht. In Wahrheit ein Rachefeldzug ihres damaligen Amtsleiters?

Von Markus van Appeldorn
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Seifhennersdorfs Ex-Bürgermeisterin Karin Berndt und Ordnungsamtsleiter und Lokalpolitiker Jens Hentschel-Thöricht - das Tischtuch ist zerschnitten.
Seifhennersdorfs Ex-Bürgermeisterin Karin Berndt und Ordnungsamtsleiter und Lokalpolitiker Jens Hentschel-Thöricht - das Tischtuch ist zerschnitten. © Matthias Weber / privat

Über 20 Jahre lang war Karin Berndt (UBS) bis Oktober 2023 Bürgermeisterin von Seifhennersdorf. Vor dem Amtsgericht Zittau war sie nun mit einer Sache konfrontiert, die zwar erst kurz nach ihrer Amtszeit eskalierte, aber einige Zeit in diese zurückreicht. Nur vordergründig ging es bei dem Prozess um einen Bußgeldbescheid wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit. In Wahrheit steckte dahinter ihrer Darstellung nach ein massiver Streit um Macht und Posten mit einem ihrer einst leitenden Mitarbeiter - dem Chef des Seifhennersdorfer Ordnungsamtes. Und das ist niemand geringerer als der bekannte Lokalpolitiker Jens Hentschel-Thöricht - einst Linke-Fraktionsvorsitzender im Zittauer Stadtrat, aktuell für das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) aktiv.

75 Euro - um einen höheren Betrag ging's vordergründig nicht. Die sollte Karin Berndt bezahlen, weil sie es versäumt habe, vor Errichtung eines Baugerüsts an einem ihr mehrheitlich gehörenden denkmalgeschützten Haus in Seifhennersdorf, die entsprechende Genehmigung einholen zu lassen. Weil Berndt jenem Bußgeldbescheid widersprochen hatte, kam es zum Prozess - und hinter diesem Bußgeldbescheid steckte letztlich Hentschel-Thöricht in seiner Funktion als Ordnungsamtsleiter.

Ein Baugerüst als vordergründiger Zankapfel

Karin Berndt erklärte vor Gericht den Hintergrund. Bereits vor einigen Jahren habe sie gemeinsam mit zwei anderen eine historische Fabrikantenvilla an der Bahnhofstraße in Seifhennersdorf erworben. Für Notsicherungsarbeiten - etwa am Dach - wurde dort 2020 ein Baugerüst errichtet. Weil dieses Gerüst auch einen Teil des Gehsteigs in Anspruch nimmt, beantragte und bekam sie erstmals im Oktober 2020 eine Ausnahmegenehmigung des Landkreises. Die kostet jeweils eine Gebühr von 60 Euro und war jeweils 49 Tage gültig. Mal um mal habe sie diese Genehmigung problemlos (aktuell zum 13. Mal) verlängern lassen - meist ein paar Tage nach Ablaufen der vorherigen.

Ausweislich der Gerichtsakten war die 10. Verlängerung der Ausnahmegenehmigung am 30. November 2023 abgelaufen und wurde am 5. Dezember 2023 neu beantragt und erteilt. Dazwischen aber lag der 3. Dezember - der 1. Advent - für den sie der Bußgeldbescheid ereilte. Ein Umstand, der dem Amtsrichter seltsam erschien. "Hat es jeweils Probleme wegen der einigen Tage Verzögerung zwischen den Ausnahmegenehmigungen gegeben und gab's jetzt Probleme?", wollte er wissen. Und Ja, die gab es - die hatten mit jenem Gerüst in Wahrheit aber gar nichts zu tun.

Hinweise auf einen Rachefeldzug

Und dann fing Karin Berndt an, etwas weiter auszuholen. "Es war gerade jemand im Ordnungsamt angestellt, der die Sachen sehr genau nahm", erzählte sie. So habe etwa das Ordnungsamt zusätzlich zu den Ausnahmegenehmigungen des Landratsamtes noch Bescheide wegen "Sondernutzung" des Gehsteigs erlassen - über je etwa 500 Euro. Erst auf Nachfrage des Richters bestätigte Berndt, dass es sich bei dem zuständigen Mitarbeiter der Stadtverwaltung eben um Ordnungsamtsleiter Jens Hentschel-Thöricht gehandelt habe. Und alles, was sie dann schilderte, erweckt stark den Eindruck, dass es diesem nicht allein um unabhängige Amtsauffassung gegangen sei, sondern um einen persönlichen Rachefeldzug gegen seine Dienstherrin.

Denn nach den Worten von Berndt habe Hentschel-Thöricht ihr gegenüber mehr als deutlich seine Avancen auf ihre Nachfolge im Bürgermeisteramt klargemacht. "Der wollte mich zwingen, ihn zu meinem Nachfolger zu machen", erzählte sie. Hentschel-Thöricht habe sie aufgefordert, ihn zum Spitzenkandidaten ihrer Wählervereinigung UBS zu erklären. Sie aber habe ihm erklärt, dass eine Bürgermeisterwahl so nicht funktioniere. Gerne könne er sich natürlich bei der UBS bewerben, von dieser als Bürgermeisterkandidat aufgestellt zu werden. Einfach auf den Schild heben könne sie ihn indes nicht - und wolle das auch nicht. "Da war ich dann plötzlich nicht mehr die nette Chefin", erzählte sie.

Der vordergründige Stein des Anstoßes: die denkmalgeschützte Fabrikanten-Villa an der Bahnhofstraße in Seifhennersdorf.
Der vordergründige Stein des Anstoßes: die denkmalgeschützte Fabrikanten-Villa an der Bahnhofstraße in Seifhennersdorf. © Markus van Appeldorn

"Welche Natter haben Sie an Ihrer Brust genährt?"

In der Folge gab es dann mehrere Vorfälle. Als kraft Amtes oberste Polizeibehörde für den ruhenden Verkehr in Seifhennersdorf habe sie Hentschel-Thöricht wiederholt angewiesen, ein Parkverbot vor dem Rathaus zu beseitigen - wiederholt habe er das ignoriert. Und mehr: "Als ich die entsprechenden Schilder habe entfernen lassen, hat er mich als Ordnungsamtsleiter wegen eines Gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr angezeigt", erzählt sie. Das entsprechende Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt - die SZ hat diese Einstellungsverfügung gesehen. All diese Schilderungen veranlassten den Richter zu dem Kommentar: "Welche Natter haben Sie an Ihrer Brust genährt?"

Und dann eben jener Vorfall vom 3. Dezember. "An diesem Tag war Weihnachtsmarkt in der Stadt und er ist durch die ganze Stadt gestreift", erzählte Berndt - obwohl er an einem Sonntag gar nicht im Dienst gewesen sei. Bei dieser Gelegenheit habe er dann recherchiert, dass die Ausnahmegenehmigung für jenes Gerüst noch nicht verlängert worden war. Der Richter konnte indes kein Fehlverhalten von Berndt feststellen. Bußgeldbewehrt sei nämlich nur, wenn es jemand "vor der Aufnahme von Arbeiten" unterlasse, so eine Genehmigung einzuholen und entsprechende Beschilderungen vorzunehmen. Von einem "vor Aufnahme der Arbeiten" könne in diesem Fall aber keine Rede sein - weil die Arbeiten eben schon seit Jahren andauerten und die Genehmigung bloß immer verlängert worden sei. Verfahren eingestellt - das letzte dieser Art um das Verhältnis zwischen Karin Berndt und Jens Hentschel-Thöricht wird es voraussichtlich nicht gewesen sein.