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"Wie sagt man das einem Kind? Dein Papa ist tot!"

Sabine Ridder aus Zittau arbeitet beim Kriseninterventionsteam des DRK. Bei schlimmen Unglücks- und Todesfällen, in Situationen größter Seelennot ist sie da.

Von Jana Ulbrich
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Seit 20 Jahren arbeitet Sabine Ridder beim Kriseninterventionsteam des Zittauer DRK-Kreisverbands.
Seit 20 Jahren arbeitet Sabine Ridder beim Kriseninterventionsteam des Zittauer DRK-Kreisverbands. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Manchmal fehlen auch Sabine Ridder die Worte. Dabei ist sie es doch, von der alle erwarten, dass sie jetzt etwas sagt. Irgendetwas. Etwas Tröstendes. Eine Erklärung. Irgendeine Antwort auf die Frage: Warum? "Ja, wie sagt man das einem Kind? Dein Papa ist tot!"

Sabine Ridder ist gelernte Krankenschwester. In ihrem Hauptberuf bildet die Zittauerin in Görlitz Pflegekräfte aus. Ehrenamtlich ist sie Mitarbeiterin beim Kriseninterventionsteam des Zittauer DRK-Kreisverbands. Im Ehrenamt wird sie gerufen, wenn ein Unglück geschehen ist, ein schlimmer Unfall, ein plötzlicher Tod. Wenn Rettungskräfte einen Vermissten im See suchen und die Angehörigen am Ufer stehen. Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt und unfassbare Sprachlosigkeit hinterlässt. Wenn Polizisten an der Haustür klingeln, um eine Todesnachricht zu überbringen.

Sabine Ridder macht das seit 20 Jahren. Hält Hände, redet, schweigt - je nachdem. "Das ist nie Routine", sagt sie. "Auch nach 20 Jahren nicht. Jede Situation ist anders. Da kann man sich auf dem Weg zum Einsatzort noch so viele Worte zurechtgelegt haben."

An diesem Abend trifft sich das Kriseninterventionsteam zur monatlichen Gesprächsrunde im Beratungsraum beim Zittauer DRK. Sabine Ridder und ihr Mann Steffen sind schon da. Die beiden haben das Team vor 20 Jahren mit 13 Freiwilligen gegründet. "Es war eigentlich Steffens Initiative", erzählt die Zittauerin. Steffen Ridder hat damals im Rettungsdienst gearbeitet und immer wieder solche Situationen erlebt: "Unser Einsatz war beendet, wir sind wieder gefahren - und wussten, jetzt lassen wir die Hinterbliebenen alleine. Es wäre doch gut, jemanden zu haben, der bleiben und Trost spenden kann."

Inzwischen arbeiten 25 Ehrenamtliche im Team: Pflegekräfte, Rettungsdienstler, Sozialarbeiter, eine Kindergärtnerin, ein Polizist. Sie sind Tag und Nacht in Bereitschaft. Im vorigen Jahr hatten sie 68 Einsätze im Altkreis Löbau-Zittau. Seit 2009, seit sie Statistik führen, waren es 422 Einsätze, mehr als 2.000 Stunden.

"Es ist eine sehr anspruchsvolle und emotional schwierige Arbeit", weiß Sabine Ridder. "Wir kommen ja immer in emotionale Ausnahmesituationen, zu Menschen in größter Seelennot." Nicht jeder kann das und verkraftet das. Wer im Team mitarbeiten möchte, muss eine lange Ausbildung absolvieren.

"Im Einsatz muss man funktionieren. Da darf man die Situation nicht zu nahe an sich heranlassen", sagt Sabine Ridder. "Oft merken wir dann auf dem Heimweg, wie schwer das da gerade war, was wir gemacht haben." Die 60-Jährige hat das schon oft erlebt. So wie damals an jenem Heiligabend zum Beispiel, als sie in eine Wohnung gerufen wurde, in der ein Vater mit seinen beiden halbwüchsigen Söhnen lebte.

Der Vater war am Nachmittag gestorben. "Da war alles ganz kalt. Da war kein Weihnachten. Nichts", erinnert sie sich. "Das hat mich erschüttert." Oder in Zeit der Corona-Pandemie, als die Bestatter in Vollschutzmontur kamen. Als sie selber im Schutzanzug bei der Frau eines Toten saß, die nicht Abschied nehmen konnte. Und die Kinder durften nicht kommen.

Oder der Suizid dieses jungen Familienvaters. Die Ehefrau und das Kind, die das nicht begreifen konnten, die immer wieder fragten: Warum? "Ich habe erklärt, warum die Polizei da ist und was die macht. Ich haben ihnen gesagt, dass niemand schuld ist. Mit Kindern sprechen wir auch ganz sachlich über den Tod." Wenn Kinder betroffen sind, gehen die Teammitarbeiter häufig zu zweit oder zu dritt.

Sabine Ridder erinnert sich auch an diesen Einsatz, als sie einer Frau die Nachricht überbringen musste, dass ihr Mann bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. "Ich hatte mir auf der Fahrt überlegt, was ich sage, und dann empfängt mich die Frau schon völlig ausgelöst. Sie hatte die Bilder von dem Unfall schon bei Facebook gesehen."

Vor allem, um über die Einsätze zu sprechen, trifft sich das ganze Team einmal im Monat. "Das ist sehr wichtig, wenn jemanden so ein Einsatz nicht mehr loslässt", sagt Sabine Ridder. Wenn jemand von einem Einsatz zurückkommt, muss er sich bei einem der vier Leitungsmitglieder zurückmelden. Und er wird gefragt, wie es ihm jetzt geht. Für ihr ehrenamtliches Engagement haben die Mitarbeiter des DRK-Kriseninterventionsteams in diesem Jahr den Bürgerpreis der Zittauer Bürgerstiftung Zivita bekommen.

Im DRK-Beratungsraum hat das Teamgespräch gerade begonnen, da tönt ein lauter, durchdringender Piepton gleichzeitig auf den Handys von Sabine und Steffen Ridder: Einsatzalarm! Ein Anruf von der Rettungsleitstelle. Ein Mann ist ganz plötzlich gestorben. Seine Frau braucht Hilfe. Eine Kollegin aus dem Team übernimmt. Sie weiß noch nicht, wie lange dieser Einsatz dauern wird: vier Stunden oder sechs? Oder vielleicht auch die ganze Nacht?