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Zwei Städte, eine Botschaft

Wie ein Schüleraustausch zwischen Coventry und Dresden am 13. Februar zum Symbol für geheilte Wunden wird.

Von Henry Berndt
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Nele und Nico aus Dresden sowie Erin aus Coventry prüfen die Stabilität ihres drahtigen Kunstwerks. (v.l.)
Nele und Nico aus Dresden sowie Erin aus Coventry prüfen die Stabilität ihres drahtigen Kunstwerks. (v.l.) © Sven Ellger

Wer einer Taube schon mal Federn mit Heißkleber angeklebt hat, der weiß: Das kann ziemlich schwierig werden. Selbst dann, wenn die Taube nur aus Draht besteht. Im Kunstraum der 62. Oberschule „Friedrich Schiller“ soll in den nächsten anderthalb Stunden eine überlebensgroße Friedenstaube entstehen. Wenn das kein Symbol ist. Es gibt viele Symbole in diesen Tagen und sie alle verbinden zwei Städte miteinander, die im Zweiten Weltkrieg dasselbe fürchterliche Schicksal erlitten: Sie wurden von Bomben in Schutt und Asche gelegt. Hier Dresden. Dort Coventry, England.

Für eine Woche ist eine Gruppe von 30 Schülern von der Cardinal Newman School in Coventry in Dresden zu Gast. Gemeinsam mit ihren deutschen Austauschpartnern verbringen sie die Nächte auf dem Herbergsschiff im Pieschener Hafen. Die Tage sind vollgepackt: Stadtführungen, öffentliche Termine und Workshops in der Schule stehen auf dem Plan. In den Workshops wird gemeinsam „Imagine“ gesungen, getanzt – oder eben gebastelt. Dazu haben sich die Schüler gemischt und in Gruppen aufgeteilt.

Im Raum 3006 soll die Friedenstaube entstehen. Anna Lebiedzka von der Jugendkunstschule erklärt den Schülern kurz, was sie mit ihnen vor hat. An einem Tisch wird der Körper der Taube gefertigt, an zwei anderen entstehen die Flügel und an einem Tisch werden Botschaften ersonnen, die am Ende symbolisch mit der Taube in die Lüfte steigen sollen. Also an Bindfäden in der Aula. „Ich komme aus Polen, lebe aber schon seit neun Jahren in Dresden“, sagt Anna Lebiedzka. „Ich wollte schon immer mal an einem solchen Projekt teilnehmen, dass sich mit Coventry und dem Frieden beschäftigt.“ Zu der Idee mit den Friedenstauben habe sie die berühmte Zeichnung von Picasso inspiriert. Aber jetzt muss es los gehen, die Zeit bis zu Präsentation am frühen Nachmittag ist knapp.

Die 15--jährige Raman aus Coventry gehört zu der Gruppe, die symbolische Zitate in Deutsch und Englisch finden und aufschreiben soll. Vor ihr auf dem Tisch liegen eine Menge Bücher wie „Der Untergang des alten Dresden“ und „Dresden and the heavy Bombers“ und Ausdrucke von Texten aus dem Internet. Als erstes wird Raman auf ein Zitat des früheren britischen Soldaten Victor Gregg aufmerksam, der den Bombenangriff vom 13. Februar 1945 als Kriegsgefangener in Dresden miterlebte: „People need to understand the evil that war brings about.“ – „Die Menschen müssen das Böse verstehen, das der Krieg mit sich bringt.“ Raman fragt die Lehrerin, ob sie das verwenden darf. Sie nickt. Es könnte nicht besser passen.

Nele und Vanessa sitzen Raman gegenüber. Ein bisschen haben sich die britischen und deutschen Schüler schon beschnuppert, aber es wird noch ein bisschen dauern, bis sie die letzten Hemmungen verlieren und womöglich Freundschaften schließen können. „Am Anfang haben wir noch nicht über Krieg und Frieden gesprochen“, sagt Vanessa. „Das war eher normaler Smalltalk zum Kennenlernen.“ Nele schreibt auf ihre Folie: „Dresden woll'n sie schonen, denn in Dresden woll'n sie wohnen.“ Eine Annahme, die im Februar 1945 auf fürchterlicher Weise widerlegt wurde.

Einige der Schüler aus beiden Ländern sind besonders stolz, in dieser Woche als so etwas wie junge Friedensbotschafter zusammenzufinden. Doch nicht alle sich als Teil von etwas so besonderem. Für Nele aus der 8. Klasse der Schillerschule fühlt sich die Woche wie ein normaler Schüleraustausch an, mal abgesehen von einigen Programmpunkten. „Wir haben die Zeit früher ja nicht miterlebt und wissen nicht, wie es damals war“, sagt sie. Im Endeffekt seien die Gäste aus Coventry doch auch einfach nur andere nette Jugendliche.

An den Basteltischen wird unterdessen langsam sichtbar, dass hier mal eine Taube entstehen soll. Die einen wickeln das Drahtgestell, die anderen haben sich die Heißklebepistole geschnappt und kleben nach und nach die weißen Federn auf die Flügel. Ola bekommt versehentlich einen Klecks der heißen Paste auf die Hand und schreit auf. Zum Glück halb so schlimm. Nur wenige der britischen Schüler haben Großeltern, die selbst schon in England lebten. Ihr Eltern wanderten aus Indien, Irland und Polen ein. Ola zog mit vier Jahren aus Polen nach Coventry. Trotzdem habe sie sich schon viel mit der Geschichte der Stadt auseinandergesetzt und verstehe, wie viel sie mit Dresden gemeinsam habe. Deswegen wolle sich am Mittwochabend ganz sicher auch zusammen mit ihren Mitschülern in die Menschenkette einreihen.

Bei der Besichtigung der Frauenkirche am Montag musste Erin aus ihrer Gruppe an die Kathedrale daheim in Coventry denken. Auch die wurde im Krieg zerstört. Anders, als in Dresden, sind ihre Ruinen bis heute als Mahnmal erhalten geblieben. Die neue Kathedrale wurde daneben errichtet.

Schüler aus Dresden und Coventry lassen gemeinsam Luftballons steigen. 
Schüler aus Dresden und Coventry lassen gemeinsam Luftballons steigen.  © René Meinig

Längst ist die Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Coventry weltweit zu einem Symbol für Friedenswillen geworden. Schon im Februar 1959 unterzeichneten die Städte ihren Partnerschaftsvertrag, nachdem in den Jahren zuvor die Kirchen erste Bande geknüpft und zur Versöhnung aufgerufen hatten.

Zum Jubiläum der Partnerschaft sind neben den 30 Schülern auch Oberbürgermeister John Blundell mit seiner Frau und einer hochrangigen britischen Delegation nach Dresden gekommen. Am Dienstagnachmittag besuchten die Stadtoberhäupter die Schillerschule in Loschwitz. Die Chance nutzten die Schüler und Lehrer, um ihre kreativen Projekte vorzustellen: Den Gesang, den Tanz und natürlich auch ihre gebastelte Friedenstaube. Am Ende ließen die Jugendlichen noch Luftballons mit deutschen und englischen Friedensbotschaften aufsteigen. Wer die Botschaft jetzt noch nicht verstanden hat, dem ist nicht mehr zu helfen.