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So wächst Ihr Gedächtnis

Hirnflüsterer Martin Korte im Interview über Profi-Merkregeln, Gehirnjogging und überschätztes Sodoku. Dazu ein Selbsttest: Bin ich dement?

Von Susanne Plecher
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Seine Bücher heißen „Wir sind Gedächtnis“, „Jung im Kopf“ und – das Neueste – „Hirngeflüster“. Prof. Dr. Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig erforscht zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis. Der SZ hat er verraten, wie man sich bis ins hohe Alter alle PIN-Codes merken kann.

Herr Prof. Korte, wie bleibt unser Gehirn fit?

Ein tatsächliches Gehirnjogging ist eine soziale Interaktion: Dass man mit anderen Menschen etwas gemeinsam unternimmt, vielleicht verreist oder sich ehrenamtlich in Vereinen engagiert. Das ist eine große Aktivierung des Gehirns: Wir müssen bei der Sache sein, uns konzentrieren, brauchen unser Gedächtnisareal, weil wir die anderen Menschen einordnen müssen. Was sind ihre Funktionen? Was haben wir beim letzten Mal besprochen und was planen wir mit ihnen? Dann bringt man seine eigene Expertise ein und aktiviert Wissensareale, die mit der eigenen Tätigkeit zu tun haben. Je mehr Nervenzellen beansprucht werden, desto länger leben sie und desto leistungsfähiger sind sie, weil sie zusammen mit der neuronalen Aktivität auch Wachstumsfaktoren ausschütten, die die Vernetzung des Gehirns verbessern und Nervenzellen länger am Leben halten.

Also muss ich gar nicht joggen oder mich gesund ernähren? Reisen reicht?

Nein, so einfach ist es nicht. Das Wirkungsvollste ist tatsächlich, sich zu bewegen und drei- bis viermal pro Woche für 30 bis 40 Minuten einen deutlich erhöhten Puls mit großen Muskelgruppen zu erzeugen. Joggen, Wandern, Radfahren, auch Gartenarbeit sind dafür geeignet. Daneben halten auch andere Faktoren Gehirne lange jung. Das Zweiteffektivste ist Lernen. Wer ein Leben lang lernt, bildet neue Synapsen und Nervenzellen, die gleichzeitig ein Reservoir darstellen, die den altersbedingten Verlust ausgleichen können. Darauf folgen die Interaktionen mit anderen Menschen. Sehr wichtig ist es auch, zu lachen, sich zu entspannen, zu entstressen. Und auf gesunde Ernährungsformen zu achten, indem man zum Beispiel Fisch mit Omega-3- und 6-Fettsäuren isst, die für den Erhalt von Nervenzellen wichtig sind. Es geht nicht nur darum, was wir essen, sondern vor allem darum, dass wir nicht mehr Kalorien zu uns nehmen, als wir verbrauchen. Übergewicht muss vermieden werden.

Prof. Dr. Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig erforscht zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis.
Prof. Dr. Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig erforscht zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis. © Johannes Felsch/TU Braunschweig/dpa

Wann fängt man am besten damit an?

Im Grunde ist das wie bei der Rente: Je früher man anfängt, desto größer ist der Gewinn. Aber in jedem Alter, in dem man beginnt, auch nur irgendeinen dieser Faktoren umzusetzen, profitiert man davon. Allerdings sollte man sich beim Lernen nicht zu viel vornehmen. Das führt nur zur Frustration. Man kann sich aber überlegen, was man früher mal gut konnte und wieder können möchte – ein Instrument einstudieren, eine Fremdsprache lernen – um auf etwas aufzubauen, das zu schnellen Erfolgserlebnissen führt. Denn im Alter dauert das Lernen länger. Man ist leichter ablenkbar, es fällt einem schwerer. Da ist es wichtig, dass man es sich nicht noch künstlich erschwert. Der zweite Aspekt ist, dass wir meinen, die Spülmaschine einräumen zu können und dabei die Vokabel-CD zu hören. Das klappt nicht. Wer etwas lernen möchte, muss sich voll darauf einlassen. Er muss sich zu einer bestimmten Zeit den Lernstoff hinlegen, ihn für eine bestimmte Zeit bearbeiten und sich währenddessen nichts anderes vornehmen. Lernen braucht einen eigenen Lernraum. Das haben viele vergessen.

Heißt das, dass wir im Alter nicht mehr multitaskingfähig sind?

Eigentlich sind wir das nie. Wenn wir mehr als zwei Sachen gleichzeitig machen, sind wir überfordert – und es dauert wesentlich länger. Es gibt Nachweise dafür, dass Menschen, die ihre Aufgaben der Reihe nach erledigen, um 50 Prozent schneller sind, viel weniger Fehler machen und eine geringere Stressbelastung haben als diejenigen, die meinen, es parallel bewältigen zu müssen. Wo immer wir es können, sollten wir das Multitasking verhindern. Das geht am Arbeitsplatz nicht immer. Dort müssen wir oft zwischen verschiedenen Tätigkeiten wechseln. Aber interessanterweise kann man auch das besser, wenn man sich zwei bis drei Stunden am Tag auf nur eine Sache konzentriert hat. Denn das stärkt das Arbeitsgedächtnis, in dem wir alle Aufgaben zwischenspeichern.

Martin Korte: „Hirngeflüster. Wie wir lernen, unser Gedächtnis zu trainieren“. Europa Verlag, Berlin, 2019. 216 Seiten, 18 Euro.
Martin Korte: „Hirngeflüster. Wie wir lernen, unser Gedächtnis zu trainieren“. Europa Verlag, Berlin, 2019. 216 Seiten, 18 Euro. © Europa Verlag

Sie sagen, dass Sudoku oder Kreuzworträtsel nicht ausreichen, um das Gehirn zu trainieren. Warum ist das so?

Gegen beides spricht nichts, vor allem, wenn sie Spaß machen, denn sie verbessern den Abruf von Fakten und die Assoziation von Zahlen. Aber damit werden nur die Gehirnareale trainiert, die dabei eine Rolle spielen. Das heißt, man wird zwar besser im Sudoku oder im Lösen der Rätsel, hat aber keine Transfereffekte darauf, dass das Gehirn weniger altert und man auch auf anderen Gedächtnisgebieten fitter ist.

Es ist lästig, wenn einem an der Kasse der PIN-Code nicht mehr einfällt. Sie kennen bestimmt einen hilfreichen Merk-Trick, oder?

Das sind ja meist vier Zahlen, die man in zwei Gruppen einteilt und mit ihnen etwas assoziiert, zum Beispiel ein Ereignis aus dem eigenen Leben. Ich merke mir PIN-Nummern mit wichtigen Erfolgen der deutschen Fußballnationalmannschaft. Man kann auch für jede Zahl ein Bild finden: Die Zwei wäre ein Schwan, die Vier ein Stuhl, die Neun ein Luftballon mit einem Bändchen, die Eins eine Kerze. Dazu bastelt man sich eine Geschichte: Wie der Schwan auf einem Stuhl sitzend einen Ballon im Schnabel hält und man ihm mit einer Kerze Feuer unter dem Hintern macht – was auch immer Verrücktes einem dazu einfällt. Dadurch beschäftigt man sich eine ganze Zeit lang mit den Zahlen, codiert sie schon tiefer und kann sich die Geschichte in Gelegenheiten, wo man sich vertippt, wieder vor Augen führen.

Das muss man natürlich üben ...

Ja, aber es lohnt sich, die Zeit zu investieren. Merkregeln kann man auch nutzen, wenn man zum Beispiel auf die Einkaufsliste verzichten will. Die Gegenstände verteilt man dafür im Geiste entweder auf dem Körper oder in der Wohnung und speichert die Bilder bewusst ab.

Die Butter liegt auf der Hand und auf den Knien die Salami?

Genau. Während des Einkaufens geht man den Körper durch und kann die Liste leichter abrufen. Das ist eine Methode der Visualisierung, die Gedächtnisweltmeister anwenden. Sie legen die Dinge entweder auf die Wohnung, den Weg zur Arbeit oder den eigenen Körper. Das hängt damit zusammen, dass wir relativ schlecht darin sind, abstrakte Wörter abzuspeichern, die keinen Bezug zueinander haben. Dafür sind unser Raum- und Bildgedächtnis überragend gut. Deshalb finden wir uns in unserer Stadt oder in der eigenen Wohnung auch so gut zurecht.

Das Gespräch führte Susanne Plecher.

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Selbsttest: Bin ich denn schon dement?

Die Angst, an Demenz zu erkranken, ist nicht unbegründet: Jeder zehnte Deutsche über 65 Jahre ist betroffen. Der Schnelltest „Dem-Tect“ kann dabei helfen, Demenz im frühen Stadium zu erkennen. Wissenschaftler der Universitätsklinik Bochum haben ihn entwickelt.

Seine fünf Aufgaben dienen dazu, Funktionen des verbalen Gedächtnisses, der Wortflüssigkeit, intellektuelle Flexibilität und Aufmerksamkeit zu überprüfen. Eine ausführliche ärztliche Diagnose kann er aber nicht ersetzen.

Aufgabe 1: Wortliste

Lassen Sie sich die nachfolgenden zehn Begriffe langsam vorlesen. Wiederholen Sie die Wörter, die Sie sich gemerkt haben. Die Reihenfolge ist egal: Teller-Hund-Lampe-Brief-Apfel-Hose-Tisch-Wiese-Glas-Baum. Lassen Sie sich die Wörter nun erneut vorlesen und wiederholen Sie sie erneut. Jeder richtig erinnerte Begriff bringt einen Punkt ein. Es können maximal 20 Punkte erreicht werden.

Auswertung für Teilnehmer unter 60 Jahre:

7 oder weniger Begriffe: 0 Punkte
8 – 10 Begriffe: 1 Punkt
11 – 12 Begriffe: 2 Punkte
13 oder mehr: 3 Punkte.

Auswertung für Teilnehmer über 60 Jahre:

6 oder weniger Begriffe: 0 Punkte
7 – 8 Begriffe: 1 Punkt
9 – 10 Begriffe: 2 Punkte
11 oder mehr: 3 Punkte.