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Bautzener Rede widmet sich dem Thema Heimat

Am 8. September 2023 spricht Justus Ulbricht im Bautzener Dom über Heimat als Sehnsuchtsort und -wort. Warum der Begriff Hochkonjunktur hat und was für den Historiker Heimat ist.

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Historiker Justus Ulbricht spricht bei den Bautzener Reden am 8. September 2023. Es ist die achte Veranstaltung in der Gesprächsreihe.
Historiker Justus Ulbricht spricht bei den Bautzener Reden am 8. September 2023. Es ist die achte Veranstaltung in der Gesprächsreihe. © privat

Bautzen. Das Gesprächsformat Bautzener Reden geht am 8. September 2023 nach der Sommerpause in seinen zweiten Jahrgang. Bei der achten Veranstaltung spricht der Historiker Justus Ulbricht im Dom St. Petri über das Thema „Heimat - Sehnsuchtsort und Sehnsuchtswort“. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Bedeutung hat die Heimat für uns alle? Was kann sie leisten, gerade in Zeiten von Umbrüchen? Wie ändert sich Heimat, wenn sich Gesellschaft verändert? Nach dem Vortrag steht der Wissenschaftler zum moderierten Gespräch bereit.

Dr. Justus H. Ulbricht studierte von 1974 bis 1979 in Tübingen Geschichte, Germanistik und Allgemeine Pädagogik. Seit 2009 lebt er in Dresden, wo er von 2016 bis 2020 Geschäftsführer des Dresdner Geschichtsvereins und Redakteur der Dresdner Hefte war. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählten unter anderem Denkmalgeschichte und Erinnerungskultur. Ulbricht ist Vorstandsmitglied des Vereins Denk Mal Fort und engagiert in der AG 13. Februar.

Die Veranstalter der Bautzener Reden - die Initiative Bautzen gemeinsam und der Verein Ökumenischer Domladen Bautzen - haben vorab mit dem Historiker gesprochen.

Herr Ulbricht, zu den Bautzener Reden bringen Sie das Thema „Heimat - Sehnsuchtsort und Sehnsuchtswort“ mit. Welche Bilder kommen Ihnen beim Begriff Heimat in den Sinn?

Ich habe nicht eine Heimat, ich habe Orte, und wenn man mich nach Bildern fragt, dann gibt es das Siebengebirge bei Bad Honnef, es gibt aber auch die Altstadt von Tübingen, die kleine Stadt Rotenburg an der Wümme bei Bremen, die großen Weideflächen, wo wir, meine erste Frau und ich, Island-Pferde gezüchtet haben, auf jeden Fall die Ostseeküste – dieses ruhige Meer -, Jena und Weimar als Stadt, wo ich lange gelebt habe, und wenn ich den Kopf in den Schoß meiner Frau lege, ist das auch ein Bild, was mir zum Thema Heimat einfällt.

Das sind aber ganz schön viele Heimaten.

Ja, ich habe viele Heimaten. Und ich glaube, dass es vielen Menschen so geht. Ich habe als Vollwaise meine Heimat sehr früh verloren, dann habe ich an ganz unterschiedlichen Orten wieder Heimat, Vertrautheit und Zugehörigkeit empfunden und gefunden. Insofern ist es ein Zusammenspiel von Eindrücken und auch schwierig, Heimat konkret zu definieren. Das Wort selbst hat nämlich nicht nur eine bestimmte Erklärung.

Wie sehen denn diese Definitionen aus?

Man weiß, dass Heimat früher ein Rechts- und Sachbegriff war. Der Älteste zum Beispiel in der Frühen Neuzeit bekam die „Heimat“, das heißt: Er bekam den Hof. Wenn ich in meinen Seminaren nachfrage: Was ist für Sie konkret Heimat? Da kommen genau solche Antworten, wie ich sie gegeben habe: Es gibt Orte, Gefühle an Orten, Bilder von Menschen, manche sagen auch, Heimat ist dort, wo ich wegwollte. Das Wort Heimat kann so auch negativ besetzt sein, weil man sich eingeengt und unterdrückt fühlt. Man will in die Welt, man will sich verändern. Doch auch viele, die flüchten müssen, nehmen ihre Heimat mit.

Aktuell gibt es ein Bundesministerium des Innern und für Heimat, Heimat-Preise, Heimat- und Geschichtsvereine. Warum hat der Begriff Heimat aus Ihrer Sicht so eine Hochkonjunktur?

Weil sich die Orientierung in unserer Gesellschaft rasant verändert – und zwar so, dass niemand weiß, was die Veränderung bringt. Es ist die Sehnsucht nach einem Ort der Zugehörigkeit, der Vertrautheit. Herder hat gesagt: „Heimat ist dort, wo ich mich nicht erklären muss.“ Dieses Gefühl wird hervorgebracht in hoch-beschleunigten Gesellschaften, deren Entwicklung für Menschen wie auch für Politiker nicht mehr einfach kalkulierbar ist.

Welche Konsequenzen hat das aus Ihrer Sicht?

Die Leute ermüden, ihnen geht der Atem aus. Diese Rasanz, den die Gesellschaft als Fortschritt feiert, hat keinen klar erkennbaren Zielpunkt. Heute müssen sich Leute Schreibtische mieten in Großunternehmen, um dort zu arbeiten. Sie sollen sich dort nicht beheimaten. Früher standen Familienbilder auf den Schreibtischen. Das wird auch Thema meiner Rede sein: Die Konjunktur des Begriffs Heimat ist eine Antwort auf die permanente Beschleunigung wie auf die potenzielle Offenheit und Ortlosigkeit unserer modernen Gesellschaft.

Die Bautzener Reden sind ein junges Diskussionsformat in der Stadt – mit dem Ziel, Impulse aus unterschiedlichen Lebenswelten zu bekommen. Was halten Sie von solchen Formaten?

Es gibt viel zu wenige solcher Formate, leider auch im ländlichen Raum. Wir brauchen solche Debattenräume, weil sich eben vieles nicht von selbst erklärt, und weil die Unsicherheit und Neugier auf die Zukunft so groß ist. Wir haben derzeit eine derart verfeindete Debattenkultur – erst durch die Flüchtlingskrise, dann durch Corona –, aber das ist nicht Demokratie. Bei solchen Angeboten wie den Bautzener Reden geht es um ein nachbarschaftliches Miteinander. Darauf kann Bautzen stolz sein. Das ist eine Leistung der Gruppe, immer wieder Menschen einzuladen und zu sagen: Äußert eure Meinung, aber bitte im Respekt vor der anderen Meinung.

Bautzener Rede, 8. September 2023, 19 Uhr, Dom St. Petri in Bautzen, Eintritt frei