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Bautzner Theaterchef Hillmann: "Ich will auf der Bühne sterben"

Wie politisch und wie volksnah soll Theater sein? Das fragt sich seit 25 Jahren Lutz Hillmann – so lange ist er Intendant am Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen. Ein Gespräch.

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Er ist der dienstälteste Theaterintendant Deutschlands und denkt nicht an den Ruhestand: Lutz Hillmann.
Er ist der dienstälteste Theaterintendant Deutschlands und denkt nicht an den Ruhestand: Lutz Hillmann. © SZ/Veit Hengst

So viel Zeit muss sein: Lutz Hillmann muss noch schnell etwas zu Mittag essen. Zehn Minuten, länger nimmt er sich nicht in der Theaterkantine – und das ist schon mehr als früher, sagt der Bautzner Theaterintendant. In diesem Frühjahr feiert er ein Jubiläum: Seit 25 Jahren leitet er das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen.

Herr Hillmann, können Sie sich noch an Ihren ersten Tag als Intendant erinnern, vor 25 Jahren?
Es war merkwürdig. Ich kam in das Intendantenbüro meines Vorgängers, in dem noch der Pfeifenrauch in der Luft hing. Kommissarisch war ich bereits seit April 1998 Intendant, Ende Januar 1999 bekam ich dann die offizielle Berufungsurkunde von Landrat Horst Gallert. Das war für mich ein aufregender Moment.

Sie waren vorher Schauspieler am Haus gewesen - und auf einmal wurden Sie der Chef Ihrer Kollegen.
Das war schwierig. Ich war mit allen per Du, plötzlich stand ich auf der anderen Seite. Da wird man natürlich anders von den Kollegen angesehen, die Arbeitsbeziehungen verändern sich grundlegend. Es kann auch manchmal einsam machen. An diesem ersten Tag bin ich durchs Theater gegangen und habe es mir mit dem Intendantenaugen angesehen: Was möchte ich verändern, was gefällt mir nicht so gut?

Und was war das?
Ich wollte, dass dieses Haus ein Theater für die Leute aus der Region wird, nicht für die aus Berlin oder Hamburg.

Der Bautzner Theaterchef zeigt sich gern in der Öffentlichkeit. "Als Intendant muss man seinen Laden voll und ganz repräsentieren", sagt er.
Der Bautzner Theaterchef zeigt sich gern in der Öffentlichkeit. "Als Intendant muss man seinen Laden voll und ganz repräsentieren", sagt er. © Steffen Unger

Wie macht man Theater für die Region?

Indem die Themen, die man aufgreift, die Menschen bewegen und die Art, wie man Theater auf die Bühne bringt, ihnen entspricht. Man muss die Leute mitnehmen, Handschriften langsam einführen. Oft ist es ja so, dass ein neuer Intendant in eine Stadt kommt, etwas Neues initiiert und das Publikum überfordert.

Sie hingegen fahren seit 25 Jahren erfolgreich die Strategie: Viel leicht verdauliche Kost und ab und zu Experimente, die das Publikum fordern.
Es steht schon bei Faust im Vorspiel: Wer vieles bringt, wird vielen etwas bringen. Die Leute wollen Geschichten erzählt und Emotionen vermittelt bekommen, das versuche ich zu liefern – ergänzt mit Experimenten, die ich dem Publikum ab und zu anbiete.

Haben Sie Ihre Ansprüche als Regisseur manchmal heruntergeschraubt, weil sie wussten: Das kann ich meinem Publikum nicht anbieten, das wird mir nicht abgekauft?
Das tun wir jedes Jahr, wenn wir den Spielplan entwickeln. Da muss man sich manchmal bremsen. Denn ein Theater ohne Zuschauer ist sinnlos. Und am Ende müssen auch die Einnahmen stimmen.

Sie haben von allen Theatern in Sachsen die höchste Eigenerwirtschaftungsquote. Heißt: Der Landkreis muss ihr Theater verhältnismäßig wenig bezuschussen.
Darauf sind wir stolz. Es ist aber auch eine Falle, in die wir uns selbst gebracht haben. Von uns wird nun erwartet, dass wir sehr viel erwirtschaften. Ein Rückgang auf normales Niveau würde nicht akzeptiert werden.

Der Bautzner Theatersommer ist sein großer Erfolg - und Lutz Hillmann lässt es sich nicht nehmen, immer auch selbst auf die Bühne zu gehen - wie hier, bei der Premiere im Jahr 2022.
Der Bautzner Theatersommer ist sein großer Erfolg - und Lutz Hillmann lässt es sich nicht nehmen, immer auch selbst auf die Bühne zu gehen - wie hier, bei der Premiere im Jahr 2022. © SZ/Uwe Soeder

Ein großer Faktor dabei ist der Bautzner Theatersommer, den Sie gründeten, bevor Sie Intendant wurden. Heute ist er ein überregional bedeutendes Event. Welchen Stellenwert hat er für Sie?

Der Theatersommer ist ein wichtiges Standbein unseres Hauses, auch wirtschaftlich. Aber er macht auch eine große Gruppe Menschen neugierig auf unser Theater an sich, die dann auch zu Vorstellungen ins Haus kommen.

Ich erinnere mich an eine Theatersommer-Premiere, bei der es wie aus Kübeln schüttete. Sie kamen auf die Bühne und sagten zum Publikum: "Leute, bitte haltet durch, eine Premiere kann man nicht abbrechen, das bringt Unglück!" Anders gesagt: Sie scheuen nicht die Öffentlichkeit. Fällt Ihnen das leicht?
Mich zu zeigen, macht mir Spaß. Außerdem ist es mein Anspruch an diesen Job. Als Intendant muss man mit seiner Person den Laden voll und ganz repräsentieren. Ich finde das richtig, es braucht nun mal Führung – mit aller Verantwortung, die damit einhergeht. Ich hatte nie Angst davor, mich in die Stadt einzubringen.

Sie sind in mehreren Vereinen tätig. Wozu ist das gut?
Ohne am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wüsste ich ja nicht, was in der Stadt wichtig ist.

Bautzen hat überregional einen schwierigen Ruf und wird von vielen als Zentrum der rechten Radikalisierung gesehen, dabei ist es eine sehr lebenswerte und vielseitige Stadt. Sind Sie von diesem eindimensionalen Ruf manchmal genervt?
Nun, Bautzen hat schon einiges für diesen Ruf getan. Aber man sollte nie pauschalisieren, die Stadt hat viele andere Seiten. Und besser ein schlechter Ruf als gar keinen, denn man kann ihn ja umdeuten. Ich erlebe häufig Menschen, die herkommen uns sagen: Das hätte ich aber nicht von Bautzen gedacht. Das ist doch gut!

Sie haben sich immer wieder auch zu politischen Themen geäußert. Sehen Sie sich als Theaterchef auch in der Pflicht, eine Haltung zu vermitteln?
Ja, klar. Wenn sich niemand mehr traut, sich zu äußern, wo sind wir denn dann? Man darf natürlich nie den absoluten Wahrheitsanspruch verfechten und sollte immer mit ein bisschen Selbstironie auftreten, aber Klarheit ist mir schon wichtig. Viele Dinge, die hier politisch passieren, sind unerträglich.

Ideologisiertes Agitprop-Theater kann Lutz Hillmann nicht leiden.
Ideologisiertes Agitprop-Theater kann Lutz Hillmann nicht leiden. © Foto: SZ/Veit Hengst

Wie politisch sollte Theater sein?

Theater ist eine menschliche Veranstaltung. Hier werden verschiedene Möglichkeiten der Welt durchgespielt, mit denen man sich identifizieren oder von denen man sich abgrenzen kann. Was ich allerdings merke, ist, dass die Menschen immer mehr erwarten, ihre eigene Meinung im Theater bestätigt zu bekommen. Das macht es schwer, denn Theater will ja gerade Perspektiven aufzeigen.

Und wie didaktisch darf es sich dabei geben?
Ich bin ein großer Feind von didaktischem Theater. Ich kann in manchen Städten nicht mehr ins Theater gehen, weil ich dort das Gefühl habe, Agitprop ist wieder zurück. Ich habe das in den 80er-Jahren ja alles mitgemacht - und das kommt jetzt alles wieder! Dieses ideologisierte, eingleisige Theater, mit dem Anspruch, die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben.

Sie waren in den 80ern am Staatsschauspiel Dresden Schauspieler, gingen dann nach Bautzen. Intendant wurden Sie in einer Zeit, in der die große Fusionitis an deutschen Theatern grassierte. Mehrere Theater in Sachsen wurden aus Spargründen zusammengelegt. Bautzen blieb eigenständig.
Es war ein Kampf, eigenständig zu bleiben. Ich habe hier einen großen Stapel mit Gutachten über neue Theaterstrukturen in der Oberlausitz. Es gab viele Gutachter, die herkamen und zu wissen vorgaben, wie es gehen könnte – zum Glück stellte sich kein Vorschlag als praktikabel heraus.

Aber müssen nicht alle sparen? Theater sind nun mal teuer.
Mittlerweile kenne ich mich da etwas aus: Es gibt keine Theaterfusion in den vergangenen 25 Jahren, die gut ausgegangen ist. Keine einzige! Wir haben es mit verbrämten Schließungen zu tun. Und es hat sich deutschlandweit auch noch keine Stadt, kein Kreis und kein Bundesland über eine Theaterschließung sanieren können. Im Gegenteil. Einer Stadt, die ihr Theater verliert, geht es hinterher nicht besser, sondern schlechter, weil eine wesentliche Komponente wegfällt, an der sich Menschen orientieren. Es fehlen Selbstbewusstsein, kulturelles Bewusstsein, Geschichtsbewusstsein und ein weicher Standortfaktor.

Welche Rolle spielt Theater für das deutsch-sorbische Zusammenleben in Ihrer Region?

Unser Auftrag als Theater ist, dass wir ausprobieren, wie Deutsche und Sorben produktiv miteinander arbeiten und wirken können. In dieser Beziehung sind wir ein kleines Labor.

Wieso ist gerade Theater so ein Labor?
Weil Theater mit Mentalitäten spielt und die Sprache wertvoller macht. Sobald man sie auf der Bühne spricht, bekommt sie eine andere Wichtigkeit, als wenn man sie beim Einkaufen benutzt. Darum haben sich die Sorben Mitte des 19. Jahrhunderts ein eigenes Theater geschaffen. Sie wollten allen zeigen: Unsere Sprache spricht man nicht nur in den Familien. Übrigens haben fast alle nationalen Minderheiten in Europa eigene Theater, aus eben diesem Grund. Wir sind sehr aktiv dabei, uns europäisch zu vernetzen, vielleicht auch weltweit.

Müde werden Sie nicht, oder?
Sie werden lachen, ich könnte in diesem Jahr Rentner werden. Aber so weit ist es noch nicht.

Haben Sie nicht noch was anderes im Leben vor als Theater?
Klar, ich fahre gern mal ans Meer zum Tauchen, das schon, aber das alles hat nur Sinn, wenn man auch eine Erfüllung in seiner Arbeit hat. Doch eins verspreche ich Ihnen: Sterben werde ich nicht hier im Büro. Höchstens auf der Bühne, wie Molière.

Das Gespräch führte Johanna Lemke.