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Kreis Bautzen streicht Geld für Schulbegleiter

Weil die Schulen derzeit geschlossen sind, fällt die Hilfe für viele Familien mit behinderten Kindern weg. Dagegen regt sich Protest.

Von Reiner Hanke
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Ulrike Pohl setzt sich als Schulsozialarbeiterin in Kamenz für gute Lernbedingungen für alle Schüler ein - und hat deshalb einen kritischen Brief an den Landkreis unterschrieben.
Ulrike Pohl setzt sich als Schulsozialarbeiterin in Kamenz für gute Lernbedingungen für alle Schüler ein - und hat deshalb einen kritischen Brief an den Landkreis unterschrieben. © René Plaul

Bautzen/Kamenz. Es ist ein Schock für etliche Eltern im Landkreis Bautzen: Mit der corona-bedingten Schließung der Schulen seit Mitte Dezember fällt auch die Schulbegleitung für ihre Kinder weg. Dabei geht es um Mädchen und Jungen mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“. Das klingt ziemlich abstrakt, lässt sich aber leicht erklären: Es sind Kinder mit körperlichen Behinderungen, aber auch seelischen Problemen.

Nach Angaben des Landratsamtes Bautzen sind insgesamt rund 60 Schüler betroffen. 400.000 Euro stehen im Jahr für deren Schulbegleitung zur Verfügung. Doch das Geld liegt jetzt auf Eis. Mitte Dezember versendete das Landratsamt Briefe, in denen es über den Finanzierungsstopp informierte.

Nun steht die Kreisverwaltung in der Kritik. Eltern, Vertreter von Vereinen der Jugendhilfe, Pädagogen, Ergotherapeuten und Schulbegleiter wehren sich gegen die Entscheidung. Als „Allianz für Schulbegleitung“ haben sie einen Brief, der über 40 Unterschriften trägt, an Landrat Michael Harig (CDU) geschrieben. Zunächst ohne Erfolg, berichtet der Kamenzer Ergotherapeut Michael Schiewack. Das Landratsamt habe lange Zeit gar nicht reagiert. Erst jetzt, da sich auch die Presse eingeschaltet habe, gebe es ein Zeichen, so Schiewack, der selbst drei Schulkinder begleitet.

Konzentration auf den Unterricht fällt schwer

Zu den betroffenen Eltern gehört Yvonne Richter aus einem Dorf bei Großpostwitz. Ihre Familie hat ein Pflegekind aufgenommen. Das leide stark unter einem Aufmerksamkeitsdefizit und sei hyperaktiv, seine Gedanken würden überall hin schwirren. Wichtiges und Unwichtiges könne der Junge nicht unterscheiden. Da ist ein Hubschrauber zu hören – schon springe das Kind auf, der Stift fällt aus der Hand, vergessen ist der Unterricht. Der Junge habe Pflegestufe 3: „Es ist eine Kraftanstrengung, ihn 24 Stunden am Tag zu betreuen“, sagt Yvonne Richter.

Die Schulbegleiterin koste es viel Geduld, die Aufgaben immer wieder durchzusprechen und den Jungen auf den Stoff zu konzentrieren, um ihm damit dieselben Chancen zu eröffnen wie anderen Kindern, so Richter. Das sei in der Schule nicht anders als beim Unterricht via Computer daheim. Obwohl die Schulbegleitung längst genehmigt war, habe sie jetzt erneut Antrag auf die persönliche Assistenz stellen müssen - und sich inzwischen durchgesetzt. Das ist wohl eher die Ausnahme.

Hilfe nur in Einzelfällen genehmigt

Das Landratsamt bestätigt, dass „in einigen Fällen aufgrund von Einzelfallprüfungen die Hilfe weiter gezahlt“ werde, lässt aber gegenüber Sächsische.de offen, warum in anderen Fällen nicht. Yvonne Richter sagt, „wir sind so dankbar für die Schulbegleitung, es ist eine riesige Entlastung“.

Dass diese auch die anderen betroffenen Familien bald wieder erhalten, darum geht es auch Ulrike Pohl, Schulsozialarbeiterin am Kamenzer Lessinggymnasium. Sie setze sich dafür ein, dass alle Schüler gute Lernbedingungen haben, im Besonderen eben auch Kinder mit Handicap. Sie kenne viele Fälle, so auch Kinder mit schwerer körperlicher Behinderung, die auf die Assistenz beim Lernen angewiesen seien.

Ulrike Pohl berichtet von einem Mädchen mit Muskelschwund. Ohne ihre Schulbegleiterin wäre Unterricht für sie kaum denkbar, sie brauche Hilfe beim Umblättern im Lehrbuch, auf dem Weg zur Toilette, um den Stift zu führen.

Argumente des Kreises nicht nachvollziehbar

„Es geht um gleichberechtigte Lernmöglichkeiten“, sagt die Sozialarbeiterin, und die würden den Familien derzeit ohne Grund verwehrt. „Die Behinderungen, die Genehmigungsbescheide liegen vor, an der Schulpflicht hat sich in der häuslichen Lernzeit nichts geändert. Es gibt keinen Grund, die Leistung zu streichen oder neue Anträge zu verlangen“, ist Ulrike Pohl überzeugt. Es werde auf Kosten der Schwächsten gespart.

Die Argumente des Landkreises seien für ihn nicht nachvollziehbar, sagt Ergotherapeut Schiewack. Die Hilfe werde auf die Teilnahme am Unterrichtsgeschehen im Klassenverband reduziert und falle außerhalb der Schule angeblich weg. Das geht aus einem Schreiben des Landrates hervor.

Damit vergesse der Kreis aber den besonderen Förderbedarf, der im Schulhaus wie beim Lernen zu Hause vorhanden sei: „Die Situation unter Corona ist für alle Kinder schwierig, für Kinder mit einer Behinderung aber umso mehr“, sagt Schiewack. Die Behinderung sei doch daheim nicht plötzlich weg.

Landkreis unterbreitet Gesprächsangebot

Der Landkreis reagiert nun offenbar auf den wachsenden Druck. „Das Thema ist uns bekannt“, teilt Pressesprecherin Cynthia Thor mit und weiter: Man schaue sich derzeit alles im Detail an und wolle zeitnah ein Gespräch anbieten.

Das Angebot ist nun auch bei der "Allianz für Schulbegleitung" angekommen. Das Ergebnis bleibe abzuwarten, so Michael Schiewack. Die Forderungen der Eltern seien klar: Schulbegleitung müsse auch im Homeschooling und bei der Notbetreuung in den Schulen gewährleistet sein.

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