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Wo die Chefs auf ihre Mitarbeiter hören

Flexibel und sinnorientiert - ein Team aus Pommritz erforscht neue Arbeitsweisen in der Oberlausitz. Eine Firma aus Beiersdorf zeigt, wie es in der Praxis geht.

Von Anne Semlin
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Eric Bradatsch (l.), Geschäftsführer der Druckerei Texsib aus Beiersdorf, Drucker Marcel Herrmann und Judith Riecker vom Marketing arbeiten mit Spaß und Freude - und machen im Arbeitsalltag auch sonst einiges anders als oft noch üblich.
Eric Bradatsch (l.), Geschäftsführer der Druckerei Texsib aus Beiersdorf, Drucker Marcel Herrmann und Judith Riecker vom Marketing arbeiten mit Spaß und Freude - und machen im Arbeitsalltag auch sonst einiges anders als oft noch üblich. © SZ/Uwe Soeder

Pommritz/Beiersdorf. Demographischer Wandel, Strukturwandel und Digitalisierung. All das sind Themen, die die Entwicklung der Oberlausitz und damit auch das Leben der Menschen hier in den nächsten Jahren prägen werden. Die Organisation Working Evolutions in Pommritz hat sich im letzten Jahr angeschaut, wie die Unternehmen in der Region auf diese Veränderungen vorbereitet sind – vor allem hinsichtlich ihrer Arbeitsweise. „Auffallend ist, dass Organisationen, die auf Kooperation, Innovation und die Potenziale der Mitarbeitenden setzen, Veränderungsprozesse und Herausforderungen wie den Fachkräftemangel und Strukturwandel besser bewältigen“, sagt Anne Wilhelm von Working Evolutions.

Besonders habe sich das im Umgang mit der Corona-Pandemie gezeigt. „Die New Work-Organisationen haben sehr flexibel reagiert. Der Wandel ist für sie normal und handhabbar, stellt keine Disruption dar, sondern Alltag“, fasst das Team der Working Evolutions zusammen. Diese große Flexibilität sei jedoch nur möglich, weil es eine tiefe Verwurzelung in gemeinsamen Werten gebe.

Junges Team in einer alternden Region

Ein Unternehmen, dem diese Verbindung von Kontinuität und Flexibilität zu gelingen scheint, ist Texsib aus Beiersdorf. Die seit 1990 bestehende Firma ist auf großflächigen Digitaldruck spezialisiert, produziert beispielsweise Fassadenbanner und Messepräsentationen. Die über 70 Mitarbeitenden der Druckerei sind auffallend jung. „Ich schätze, der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 35“, sagt Geschäftsführer Eric Bradatsch, der selbst erst 33 ist und sich die Leitung des Unternehmens mit seinen Eltern teilt.

Probleme, Mitarbeiter zu finden, habe man nicht. Viele kommen nach dem Studium und ersten Arbeitserfahrungen zurück in die Oberlausitz, erzählt Eric Bradatsch. „Erst letztes Jahr ist ein neuer Mitarbeiter aus Hof für den Job hier in die Oberlausitz gezogen.“ Und das in einer Region mit rückläufigen Einwohnerzahlen und alternder Bevölkerung.

Andere Ansprüche als Geld und Ruhm

„Die Fachkräfte, um die der große Wettbewerb besteht, gehören einer Generation an, die andere Ansprüche an Arbeit hat als Geld und Ruhm – sie suchen Sinn, Vereinbarkeit mit der Familie, Flexibilität“, sagt Anne Wilhelm von Working Evolutions. Und durchaus auch das Leben in ländlichen Regionen. „Diese Menschen kommen gern zurück, wenn die Arbeitsplätze sich ihren Prioritäten anpassen.“

Und welcher Sinn zieht die Menschen zu Texsib nach Beiersdorf? Spaß und Freude. Manch einem mag das verrückt vorkommen, aber das ist tatsächlich einer der vier zentralen Werte, die das Unternehmen für sich herausgearbeitet hat. Es folgen Respekt und Wertschätzung, Team und Verantwortung und „über sich hinauswachsen“. „Damit hat jeder in seiner täglichen Arbeit eine Orientierung. Man kann sich immer fragen: ‚Passt das zu unseren Werten?‘“, erklärt Judith Riecker, die bei Texsib für Marketing und Weiterbildungen verantwortlich ist.

Das Entscheiden nicht mehr vom Handeln trennen

Ein weiterer Erfolgsfaktor, der dem Team von Working Evolutions immer wieder begegnet, ist der Umgang mit Verantwortung und Vertrauen. „Um Mitarbeitende zu finden und zu binden, ist es notwendig, ihnen Vertrauen und Verantwortung zu geben, das Entscheiden nicht mehr vom Handeln zu trennen und die Expertise bei den Menschen zu belassen, die die Arbeit tatsächlich ausführen“, erklärt Anne Wilhelm von Working Evolutions.

Das Team von Working Evolutions hat sich im vergangenen Jahr die Arbeitsweise von über 20 Organisationen in der Oberlausitz angeschaut.
Das Team von Working Evolutions hat sich im vergangenen Jahr die Arbeitsweise von über 20 Organisationen in der Oberlausitz angeschaut. © SZ/Uwe Soeder

Auch bei Texsib haben die Mitarbeitenden viel Verantwortung – und genießen das Vertrauen ihrer Kollegen und Vorgesetzten. „Wenn wir beispielsweise eine neue Maschine kaufen, dann wird das immer mit den entsprechenden Teams entschieden“, sagt der Geschäftsführer. „Damit alle Spaß damit haben und die Entscheidung für das ganze Team Sinn ergibt.“ Der oder die Einzelne trage dabei viel Verantwortung. Denn jeder ist in seinem Bereich Experte und weiß am besten, was gut funktioniert, ist Eric Bradatsch überzeugt.

Der alte Führungsstil funktioniert nicht mehr

Das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen werde bei Texsib gefördert – durch Weiterbildungen, Kommunikation und Transparenz. „Und ein Arbeitsklima, in dem alle sie selbst sein können.“ Der alte, eher hierarchische Führungsstil funktioniere nicht mehr, meint der Geschäftsführer. „Dafür sind wir alle zu intelligent geworden.“

Auch beim Umgang mit Corona wurden die Mitarbeitenden in die Entscheidungen einbezogen. Etwa 50 Prozent der Aufträge, die das Unternehmen beispielsweise für den Messebau hatte, sind weggefallen. Statt Entscheidungen über Kurzarbeit allein zu treffen, haben die Geschäftsführer die Teams einbezogen. „Wir haben die Entscheidung, wo und wie am besten gekürzt werden kann, in die Teams gegeben, sodass individuell die besten Wege gefunden werden konnten“, erzählt Eric Bradatsch. Auch er selbst habe sich 50 Prozent des Gehalts gekürzt, „um das wirklich mit zu fühlen und mitzutragen.“

Demokratie lässt sich im Unternehmen üben

Eine flexible und werteorientierte Arbeitsweise sei nicht nur ein Gewinn für die Unternehmen, sondern für die ganze Region, ist das Team von Working Evolutions überzeugt. Die Mitarbeitenden, die für solche Arbeitsplätze in die Oberlausitz kommen, „bringen ihr sinnorientiertes Engagement nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in den Schulen, im kulturellen Bereich und etwa in der Regionalentwicklung ein“. Aber: New Work sei „Arbeiten für Erwachsene“, also durchaus herausfordernd, vor allem mit Verantwortung und Freiheit wirklich gut umzugehen – ohne, dass es einen Chef gibt, hinter dem man sich verstecken könne.

Und die Experten von Working Evolutions schlagen den Bogen weiter: New Work sei im wahrsten Sinne des Wortes Erziehung von mündigen Bürgerinnen und Bürgern für die Demokratie. „Die Arbeitswelt entspricht oftmals noch einem veralteten Verständnis von Demokratie“, meint Reno Rössel von Working Evolutions. New Work verbinde „individualisierte Wege mit einer Verantwortungsübernahme für das Gemeinwohl – genau das, was wir auch gesamtgesellschaftlich erreichen wollen, aber nie üben können“.

Die New Work-Organisationen in der Oberlausitz kann man unter www.new-work-oberlausitz.de kennenlernen.

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