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Pisa-Studie: Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie

Der erneute Pisa-Schock für Deutschland beschäftigt auch Sachsens Schulpolitik. Die GEW fordert rasches Handeln und zusätzliche finanzielle Mittel für ein neues Bildungspaket.

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Die deutschen Schülerinnen und Schüler haben im internationalen Leistungsvergleich Pisa im Jahr 2022 so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor.
Die deutschen Schülerinnen und Schüler haben im internationalen Leistungsvergleich Pisa im Jahr 2022 so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor. © dpa

Berlin/ Leipzig. Nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler bei der Pisa-Studie fordert die Bildungsgewerkschaft GEW in Sachsen ein schnelles und konsequentes Handeln der Landesregierung. Besonders dramatisch sei, dass der Bildungserfolg in Deutschland weiterhin besonders stark von der sozialen Herkunft abhängt, teilte die GEW am Dienstag in Leipzig mit. Die Zahlen von Pisa verdeutlichten, dass die Bildungsungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem nicht abgenommen habe, sondern in Krisenzeiten sogar noch zunehme.

Der Sparzwang der Vergangenheit habe dazu geführt, dass es zu wenig Personal gebe, die Lehrkräfte überlastet seien, Digitalisierung und Medienbildung um Jahre zurückliegen würden. Bildung müsse in der Politik jetzt eine absolute Priorität bekommen.

Die deutschen Schülerinnen und Schüler haben in der internationalen Leistungsstudie Pisa im Jahr 2022 so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor. Sowohl im Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften handle es sich um die niedrigsten Werte, die für Deutschland jemals im Rahmen von Pisa gemessen wurden.

Die Vorsitzende des Landesschülerrats Sachsen, Amy Kirchhoff, sieht in den Ergebnissen vor allem die Folge der Einschränkungen durch Corona. "Pisa zeigt nun auf, wie extrem die Folgen eigentlich wirklich sind. Deswegen ist es wichtig, die schulbezogenen Teile des Corona-Aufholprogrammes fortzuführen." Außerdem müssten kostenlose Nachhilfeangebote für alle Schülerinnen und Schüler bereitgestellt werden. Darüber hinaus müsse die Sozialarbeit an den Schulen ausgebaut und gefestigt werden, so Kirchhoff.

Absturz besonders in Mathe

In Mathematik stürzten die deutschen Schülerinnen und Schüler besonders ab. Sie erreichten einen Punktwert von 475, bei der vorherigen Untersuchung, die 2019 veröffentlicht wurde, waren es noch 500. Im Lesen kamen sie auf 480 (2019: 498) und in Naturwissenschaften auf 492 (2019: 503).

Pisa steht für "Programme for International Student Assessment" und ist die größte internationale Schulleistungsvergleichsstudie. Es werden die Kompetenzen von 15-jährigen Jugendlichen beim Lesen, in der Mathematik und den Naturwissenschaften erfasst. Seit dem Jahr 2000 wird sie alle drei Jahre durchgeführt.

Die erste Vergleichsstudie hatte damals für den "Pisa-Schock" gesorgt: Die deutschen 15-Jährigen schnitten extrem schlecht ab, zudem stand ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen im Pisa-Zeugnis. Die Folge war eine heftige Bildungsdebatte. Danach verbesserten sich die Ergebnisse deutlich, doch in den letzten Pisa-Runden kam es zu einem Abwärtstrend.

In der aktuellen Erhebung liegt Deutschland im internationalen Vergleich in den Bereichen Mathematik und Lesekompetenz dennoch nahe am OECD-Durchschnitt und in Naturwissenschaften über dem OECD-Durchschnitt, doch das ist kein Grund zum Aufatmen. Den Expertinnen und Experten zufolge ist nämlich nicht nur die Lage in Deutschland besorgniserregend: In diesem Zyklus habe es einen noch nie dagewesenen Leistungsabfall gegeben, hieß es in dem Bericht. "Im Vergleich zu 2018 sank die durchschnittliche Leistung in den OECD-Ländern um 10 Punkte im Lesen und fast 15 Punkte in Mathematik." Letzteres sei fast das Dreifache aller aufeinanderfolgenden Veränderungen.

Auch in anderen Ländern starker Rückgang

Dieser Rückgang ist der OECD zufolge in einer Handvoll von Ländern besonders ausgeprägt - darunter Deutschland. So hätten Polen, Norwegen, Island und Deutschland beispielsweise zwischen 2018 und 2022 einen Rückgang von 25 oder mehr Punkten in Mathematik verzeichnet. "Der dramatische Rückgang der Ergebnisse in Mathe und Lesekompetenz deutet auf einen negativen Schock hin, der viele Länder gleichzeitig betrifft", heißt es in dem Papier.

Ursachen für das schlechte Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler sehen die Autorinnen und Autoren der Studie unter anderem in der Corona-Pandemie. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schulschließungen einen negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb hatten. In Deutschland sei der Distanzunterricht weniger mit digitalen Medien und mehr mit Materialien, die an die Jugendlichen geschickt wurden, bestritten worden als im OECD-Durchschnitt.

"Deutschland war im internationalen Vergleich nicht gut auf den Distanzunterricht vorbereitet, was die Ausstattung mit Digitalgeräten angeht - hat dann aber aufgeholt", sagte Studienleiterin Doris Lewalter, Bildungsforscherin an der TUM und Vorstandsvorsitzende des ZIB. Die Auswertung der internationalen Daten zeige allerdings, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Schulschließungen und Leistungsrückgängen zwischen 2018 und 2022 gebe.

Ein weiterer möglicher Faktor für die Ergebnisse sind fehlende Sprachkenntnisse. "Ein zentraler Grund ist sicherlich, dass wir es nach wie vor nicht geschafft haben, eine frühe Sprachförderung für alle, die sie benötigen, durchgängig sicherzustellen", sagte Lewalter. "Wenn wir Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund haben, können wir nicht davon ausgehen, dass sie die deutsche Bildungssprache schon beherrschen, wenn sie nach Deutschland kommen."

Es brauche eben eine längere Zeit, eine so solide sprachliche Ausbildung zu haben, dass Kinder und Jugendliche sich dann nicht nur verständigen, sondern auch dem Unterricht folgen können. Das sei zum Beispiel auch für Mathematik wichtig, um eine Aufgabe überhaupt zu verstehen.

Dieser Befund erkläre die Gesamtergebnisse aber nur zum Teil, betonte die Wissenschaftlerin. "Die mathematischen Kompetenzen der Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund sind im Vergleich zu 2012 ebenfalls geringer geworden - sogar deutlicher als bei den Jugendlichen, deren Eltern zugewandert, die aber selbst in Deutschland geboren sind."

Die Macher der Studie verwiesen auch darauf, dass nur sehr wenige OECD-Staaten zwischen 2018 und 2022 Teile ihrer Ergebnisse verbessern konnten, beispielsweise Japan im Lesen und in den Naturwissenschaften sowie Italien, Irland und Lettland in den Naturwissenschaften. In Mathematik hätten die Jugendlichen in Japan und Korea im Schnitt die höchsten Kompetenzen. Im Lesen stünden Irland, Japan, Korea und Estland an der Spitze. In den Naturwissenschaften hätten Japan, Korea, Estland und Kanada die besten Werte erreicht.

Masterplan gegen Bildungsarmut gefordert

Gewerkschaft und Verbände fordern nach den Ergebnissen Veränderungen in der Bildungspolitik. "Die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler muss ohne Wenn und Aber verbessert werden. Die Anstrengungen der Länder, den Lehr- und Fachkräftemangel effektiv zu bekämpfen, müssen endlich deutlich erhöht werden", sagte Anja Bensinger-Stolze vom Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Deutschland brauche einen Masterplan gegen Bildungsarmut und soziale Gerechtigkeit, erklärte Bensinger-Stolze. "Die enge Kopplung von Schulerfolg und Elternhaus ist weiterhin das Kardinalproblem des Schulsystems in Deutschland. Um erfolgreich gegenzusteuern, müssen die Grundkompetenzen der Kinder durchgängig gefördert und soziale Hürden im Schulsystem abgebaut werden."

Aus Sicht von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zeigt die Studie die "erschreckenden Ergebnisse der Bildungspolitik". Deutschland brauche "einen fast schon revolutionären Neuanfang" im Bildungswesen. Dulger mahnte an, dass die jetzigen Schülerinnen und Schüler die Auszubildenden und Beschäftigten von morgen seien. "Diese Köpfe sind der Baustoff unserer Zukunft und der Motor unseres Wohlstands", sagte er.

Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, forderte unter anderem verpflichtende vorschulische Sprachstandstests sowie kleinere Klassen und Lerngruppen. "Der Schlüssel zu nachhaltigem Bildungserfolg sind Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Identifikation mit der hiesigen Kultur einschließlich der Schulkultur", sagte Düll den Zeitungen der Funke Mediengruppe. (dpa)