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Pirna: Schulverweigerer wider Willen

Nach Corona und Armbruch will ein Pirnaer Junge nicht mehr zur Schule gehen. Seine Mutter sucht nach Hilfe und Alternativen - steht aber plötzlich vor Gericht.

Von Heike Sabel
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Wenn ein Kind sagt: "Ich kann nicht mehr in die Schule gehen", hat die Familie ein Problem.
Wenn ein Kind sagt: "Ich kann nicht mehr in die Schule gehen", hat die Familie ein Problem. © dpa

Als Mutter wegen des eigenen Kindes vor Gericht: Das hätte sich die Pirnaerin nie träumen lassen. Genauso wenig wie ihre Odyssee und ein Bußgeld des Landratsamts über 1.200 Euro.

Die Mutter widersprach dem Bußgeld und fand schließlich einen verständnisvollen Richter. Der Fall vor Gericht ist eingestellt, für die Mutter und ihren Sohn ist er aber noch nicht zu Ende. Dass er als Schulverweigerer in die Statistik eingeht, erzählt auch einiges über die Situation an Schulen.

Es begann im Coronajahr 2021. Der Junge durfte ärztlich attestiert keine Maske tragen. Ob und wie das zustande kam, ist an dieser Stelle unwichtig. Die Folge: In der Klasse wurde er in die letzte Reihe gesetzt, zum Außenseiter und gemobbt, erzählt die Mutter vor Gericht. Schon kurz danach habe sie die Kinderärztin um Rat gebeten. "Ich sah, wie mein Kind leidet und suchte das Gespräch, auch in der Schule." Dann brach sich der Junge den Arm, war krank und blieb zu Hause. Als 2022 die Zeit nahte, da er wieder zur Schule gehen sollte, habe er immer öfter gesagt: "Ich kann nicht mehr dahin." Die Mutter wusste, da ist bei ihrem hochsensiblen Kind nichts zu machen.

Ein bisschen Schule zu Hause erfüllt die Schulpflicht nicht

Die Mutter kündigte die Schule in Pirna fristgemäß und wollte eine neue Schule für ihren Sohn finden. Bis dahin habe sie sich um die individuelle Kernbildung zu Hause gekümmert. Die sei online erfolgt, für Englisch und Mathematik habe die Mutter jemanden engagiert. Doch beides ist kein Nachweis für die Erfüllung der Schulpflicht, sagt der Richter. Die Schulbefreiung aus medizinischen Gründen war für die Mutter eindeutig, für den Richter nicht. Das Schulamt des Kreises forderte eine Anmeldung an einer Schule, auch das Jugendamt fragte nach.

Die Tochter der Frau geht ohne Probleme zur Schule, es ist also keine der Schulverweigerer-Familien, die die Schule prinzipiell ablehnen. Schrittweise habe die Familie dem Jungen die Schule wieder nähergebracht, ihm deutlich gemacht, wie wichtig Bildung ist. "Ich habe versucht, ihn wieder zu animieren und als Mutter getan, was für ein hochsensibles Kind möglich ist." Parallel zum privaten Unterricht zu Hause suchte die Mutter nach einer Schule, die ihren Sohn aufnimmt. "Ich habe regelmäßig alle Schulen im Umkreis angeschrieben", sagt die Mutter.

Richter: Bußgeld-Forderung des Landkreises überzogen

Der Mutter sei nicht klar gewesen, dass sie etwas falsch mache. Sie habe sehr viel Zeit und auch Geld in eine gute Lösung investiert und "alles in meinen Möglichkeiten Stehende getan", sagt sie. Dass die Suche bzw. das Finden zu so einem Problem wird, davon sei sie nicht ausgegangen. Schon gar nicht, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt kommt.

Das Bußgeld des Landratsamtes sei in diesem Fall völlig überzogen gewesen, sagt der Richter. Mit 1.200 Euro sei der mögliche Rahmen von 1.250 Euro fast ausgeschöpft. "Wie will man da stärkere Verstöße ahnden?" Auch wenn es für den Fall nach einem Freispruch aussehe, müssten für ein Verfahren Zeugen geladen werden, was unter Umständen aufwendig ist. Er schlug der Mutter die Einstellung des Verfahrens vor. Sie ging darauf ein. Ihren Anwalt muss sie selbst bezahlen, das Bußgeld nicht - doch das Wichtigste für sie ist: kein Termin mehr vor Gericht.

"Die Odyssee hält bis heute an"

Alle Oberschulen in Pirna konnten oder wollten den Jungen nicht aufnehmen. In einer Dresdner Waldorfschule hospitierten Mutter und Sohn. "Ihm hat es dort Spaß gemacht", sagt sie. Erst gab es eine mündliche Zusage, dann folgte nach einiger Zeit, in der die Familie hoffte: die Ablehnung. Es seien schon zu viele Jungs in der Klasse.

Das Heidenauer Gymnasium habe den Jungen ebenfalls nicht aufgenommen. "Das Kind war so weit, wieder in die Schule zu gehen, doch immer wieder eine neue zu suchen, da haben wir viel durchgemacht." Inzwischen habe deshalb schon der Haussegen schief gehangen, sagt die Mutter.

Nach der Absage auch von der Aktiven Schule Dresden schrieb die Mutter einem "Jammerbrief" an die Schulleitung, wie sie sagt. Schließlich nahm die Schule ihren Sohn auf. "Wir sind sehr froh, dass es uns gelungen ist, ihn wieder zu integrieren und dass er Anschluss gefunden hat." Weil die in Dresden-Coschütz gelegene Schule einen längeren Fahrweg früh und nachmittags bedeute, sucht die Familie weiter. "Die Odyssee hält bis heute an", sagt die Mutter vor Gericht.