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Eier aus der Oberlausitz für die Pharma-Industrie weltweit

Im Februar legt die WHO den Grippeimpfstoff für den nächsten Herbst fest. Eine wichtige Zutat für die Produktion kommt aus einem Dorf im Kreis Bautzen.

Von Miriam Schönbach
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Ohne Ei kein Impfstoff: Im Serumwerk in Dresden werden die Eier, die unter anderem aus einer Brüterei in Burkau kommen, maschinell mit einem der vier Grippevirenstämme beimpft.
Ohne Ei kein Impfstoff: Im Serumwerk in Dresden werden die Eier, die unter anderem aus einer Brüterei in Burkau kommen, maschinell mit einem der vier Grippevirenstämme beimpft. © GSK

Burkau/Dresden. Augenscheinlich unterscheidet sie nichts vom Sonntagsei. Gleichmäßig weiß liegen die Eier auf einer Palette in der Brüterei in Burkau. Und doch landen diese zerbrechlichen Exemplare auf keinem Frühstückstisch. Stattdessen sorgt die Produktion des Unternehmens Ovovac möglicherweise für eine kürzere Grippesaison weltweit.

Ihr Weg führt sie dabei unter anderem aus dem Dorf im Landkreis Bautzen in das Impfstoffwerk GSK Biologicals nach Dresden. „Für unseren Grippe-Impfstoff werden spezielle Hühnereier benötigt. Ihre Produktion ist aufwändig. Pharmaeier brauchen zum Beispiel eine bestimmte Größe und Schalendicke. In Hoch-Zeiten verarbeiten wir etwa 360.000 Eier täglich“, sagt GSK-Kommunikationsmanagerin Daniela Sepsi. Von der Elbe geht der saisonale Grippe-Impfstoff dann in rund 50 Ländern.

Einblick in die Brüterei: Äußerlich gibt es kaum einen Unterschied zum Frühstücksei, aber das sogenannte Serumei hat spezifische Parameter in Bezug auf Größe, Gewicht und die Beschaffenheit der Schale.
Einblick in die Brüterei: Äußerlich gibt es kaum einen Unterschied zum Frühstücksei, aber das sogenannte Serumei hat spezifische Parameter in Bezug auf Größe, Gewicht und die Beschaffenheit der Schale. © Ovovac

Zuvor sind allerdings die gefiederten Mitarbeiterinnen gefragt. Denn ohne Ei gibt es keinen Impfstoff, an Alternativen zu vergleichbar effizienten Verfahren wird immer noch geforscht. Die Eierlegerinnen aus der Oberlausitz tragen den klangvollen Namen Lohmann Selected Leghorn. „Es ist die gleiche Rasse, die sonst auch weltweit erfolgreich zur Konsumeiproduktion eingesetzt wird“, sagt Ovovac-Geschäftsführer Georg von Bitter. Sein Unternehmen ist seit seiner Gründung 2008 im Serumeiergeschäft am Standort Burkau tätig – und beliefert auch seitdem das Dresdener Werk.

Strengste Hygenieauflagen im Hühnerstall

Neben der Burkauer Brüterei gibt es eine weitere Ovovac-Brüterei in Thallwitz im Landkreis Leipzig. Gelegt werden die Eier in Ställen in Techritz und Leutwitz. Die vorgelagerte Aufzucht der Junghennen zu Legehennen erfolgt in Jiedlitz. Zu den Ställen und der Brüterei ist der Zutritt für Außenstehende strengstens verboten. Um sich einen Eindruck zu verschaffen, müssen Bilder und Videos genügen.

Die Hühnerrasse Lohmann Selected Leghorn liefert das richtige Serumei, unter anderen in Ställen in Techritz (Gemeinde Doberschau-Gaußig) und Leutwitz (Gemeinde Göda).
Die Hühnerrasse Lohmann Selected Leghorn liefert das richtige Serumei, unter anderen in Ställen in Techritz (Gemeinde Doberschau-Gaußig) und Leutwitz (Gemeinde Göda). © Lohmann Breeders GmbH

„Der gesamte Produktionsprozess erfolgt unter hohen Hygieneauflagen und einem intensiven Gesundheitskontrollprogramm“, sagt Georg von Bitter. Außer dieser engen Überwachung gebe es keine großen Unterschiede zur Konsumeierproduktion. Haltung und Fütterung der Tiere seien vergleichbar, nur ihre Eier müssten sich eben besonders gleichen.

Denn jene standardisierten, befruchteten Exemplare kommen in Anlagen, wo die Eier maschinell mit einem der vier Grippevirenstämme „beimpft“ werden. „Die Impflösung kommt in die Kuppe des Eis, sodass sich dann die Viren vermehren“, sagt Daniela Sepsi.

Allerdings dienen der Dresdener Impfstoffherstellung nicht nur Oberlausitzer Eier. Um Ausfälle zu minimieren, wird mit mehreren Eier-Lieferanten zusammengearbeitet. Während der Hauptproduktion stehen zwei Laster morgens und zwei Laster mittags am Tor, schätzt Sepsi. Doch niemand müsse Bedenken haben, dass letztlich Ei im Grippe-Impfstoff bleibt.

Eier als Brutstätte für Grippeviren

Schließlich handelt es sich bei dessen Herstellung um einen aufwändigen biotechnologischen Prozess. Die Vorgabe dabei kommt von der WHO. Die Weltgesundheitsorganisation veröffentlicht zwei Mal im Jahr, gegen welche vier Grippestämme in der jeweiligen Saison geimpft werden soll, einmal für die Nordhalbkugel und einmal für die Südhalbkugel der Erde. Danach ist Eile wie Sorgfalt geboten, denn der Grippeimpfstoff soll rechtzeitig in den Arztpraxen und Impfstellen sein.

Bei der Produktion des Impfstoffes müssen jene vier vorgegebenen Virusstämme in großem Maßstab in den Hühnereiern angezüchtet werden. „Wir bekommen quasi ein Samenkorn von der WHO und vervielfältigen es zu Samenpaketen. Die Herstellung des saisonalen Impfstoffs ist eine Mischung aus Erfahrung und Vorausschau“, erklärt Daniela Sepsi. Die Eier sind quasi die Brutstätte der unterschiedlichen Grippeviren.

Viele Arbeitsschritte weiter werden die Viruslösungen in einem definierten Verhältnis zueinander und inklusive einer Pufferlösung miteinander gemischt, sodass eben vom Ei nichts mehr übrig ist in der aufgezogenen Impfdosis. Laut WHO-Angaben werden mehr als 90 Prozent des Grippe-Impfstoffs weltweit mithilfe von Eiern produziert.

Erste Grippeimpfstoff-Dosis schon 1975 hergestellt

Das Dresdener Werk indes schaut inzwischen auf eine schon über 40-jährige Expertise zurück. Die allererste Grippeimpfstoff-Dosis hat dort 1975 ein Forschungs- und Entwicklungsteam hergestellt. Damals ist noch nicht daran zu denken, dass die Gesundheitsämter im Herbst zu Auffrischungsimpfungen gegen die Grippe aufrufen. Doch die jährlich wiederkehrende Viruserkrankung sorgt für Ausfälle bei der sozialistischen Planerfüllung. „Der Ministerrat der DDR hatte das Thema als volkswirtschaftliches Problem erkannt“, sagt Daniela Sepsi.

Es sollte noch zehn weitere Jahre dauern, bis das damalige Serumwerk eine große Produktionsstätte in der Pillnitzer Straße eröffnet. 1985 wird der Probebetrieb eröffnet, zwei Jahre später folgt die Impfstoffzulassung.

Heute gehört das Dresdener Werk zum GSK-Konzern mit der Zentrale in München. „Das Impfstoffproduktionswerk ist einer der wichtigsten Standorte in Deutschland“, sagt Unternehmenssprecherin Anke Helten. Gut 750 Mitarbeiter kümmern sich derzeit um die aktuelle Grippeimpfstoff-Produktion für die nächste Taschentuch-Saison ab Herbst.