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„Deutschland bleibt ein Bargeld-Land“

Ist Corona der Beginn des Abschieds von Münzen und Scheinen? Vom zuständigen Vorstand der Bundesbank, Johannes Beermann, kommt eine klare Antwort.

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Seit der Corona-Krise zücken die Kunden an den Ladenkassen zwar lieber Giro- oder Kreditkarte. Doch auf das Bargeld wollen sie deswegen noch lange nicht verzichten.
Seit der Corona-Krise zücken die Kunden an den Ladenkassen zwar lieber Giro- oder Kreditkarte. Doch auf das Bargeld wollen sie deswegen noch lange nicht verzichten. © dpa

Herr Beermann, Sie stehen an der Kasse im Supermarkt, haben es eilig. Vor ihnen sucht ein älterer Herr sein Bargeld zusammen. Was denken Sie?

Bleib‘ ruhig, für den Herrn ist das die einfachste Art zu bezahlen.

Nun steht ein Student vor Ihnen. Er hat nur eine Margarine gekauft, 89 Cent. Er zahlt mit EC-Karte.

Auch okay. Jeder, wie er möchte.

Eine Umfrage des schwedischen Finanzdienstleistern Klarna in Deutschland ergibt: Je älter, je männlicher und je provinzieller eine Region geprägt ist, desto mehr Bargeld führen die Leute dort mit sich. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich kenne die Umfrage nicht. Ich bezweifle auch, ob Alter, Geschlecht und Internationalität die einzig richtigen Kriterien sind.

Dieser Studie zufolge hat der durchschnittliche Sachse fast 100 Euro Bargeld bei sich. In Schleswig-Holstein sind es nur 54 Euro.

Die Untersuchungen der Bundesbank sind differenzierter. Für die Bargeldnutzung und -hortung spielen viele Faktoren eine Rolle. Je höher zum Beispiel das Einkommen ist, desto mehr Bargeld ist im Portemonnaie. Im Norden Europas ist das Bargeld allerdings auf dem Rückzug.

An der Grenze zu Dänemark tragen die Deutschen nur halb so viel Bargeld bei sich wie in Sachsen, Bayern oder Baden-Württemberg.
An der Grenze zu Dänemark tragen die Deutschen nur halb so viel Bargeld bei sich wie in Sachsen, Bayern oder Baden-Württemberg. © Grafik: Klarna Bank AB

Warum?

Norwegen, Schweden, Finnland sind große Länder mit wenig Bevölkerung. Da ist es viel schwieriger an Bargeld zu kommen, allein deshalb, weil die Automatendichte sehr gering ist.

Die Zahl der Geldautomaten sinkt auch in Deutschland, vor allem in den ländlich geprägten Regionen.

Erstens ist die Automatenzahl 2019 binnen Jahresfrist um rund 700 auf jetzt 58.600 gestiegen. Außerdem kann man inzwischen sogar an der Supermarkt-Kasse Geld abheben. Und zweitens gibt es im Umgang und der Versorgung mit Bargeld kaum signifikante Unterschiede zwischen Stadt und Land. Das zeigen unsere Zahlen. Jeder Deutsche hebt im Schnitt rund 40-mal im Jahr ab. Scheine und Münzen sind die einzige Möglichkeit, den Spruch zu leben: Nur Bares ist Wahres.

Der Wert der Banknoten in der Euro-Zone belief sich Ende 2019 auf rund 1,3 Billionen Euro. Etwas mehr als die Hälfte davon stammt aus den Tresoren der Bundesbank. Ist Deutschland das Bargeld-Land in der Euro-Zone schlechthin?

Zunächst einmal ist das der Beleg dafür, dass Deutschland die größte Volkswirtschaft in Europa ist. Wir sind zudem Reiseweltmeister. Wir lassen also auch viel Geld im Ausland, selbstverständlich auch Bargeld.

In der Corona-Krise hat die Bundesbank anfangs deutlich mehr Bargeld emittiert als üblich. Dabei war doch dazu aufgefordert worden, möglichst bargeldlos zu bezahlen.

Tatsächlich hat die Bundesbank vor allem in der dritten und vierten Märzwoche überproportional viel Bargeld ausgegeben. Vermutlich hatten die Banken noch die Finanzkrisenjahre 2008 und 2009 im Hinterkopf und haben deshalb Reserven angelegt. Schon im April bewegten sich die Emissionen wieder auf einem ähnlichen Niveau wie 2019.

Die Deutschen haben also ihr Bezahlverhalten in der Corona-Krise nicht geändert?

Vor allem am Anfang des Shutdowns haben wir einen deutlichen Rückgang bei den Bargeldzahlungen bemerkt. Das hatte vermutlich mit der Schließung der Geschäfte zu tun. Tatsächlich wird immer noch etwas mehr bargeldlos bezahlt als vor der Krise, aber das ist keine dimensionale Verschiebung. Nur 25 Prozent der Konsumenten, die wir Anfang April befragt haben, deuteten an, sie hätten ihr Zahlungsverhalten verändert und griffen weniger oft zum Bargeld. 88 Prozent der Deutschen sagen, sie könnten sich ein Leben ohne Bargeld nicht vorstellen.

Der ehemalige sächsische Staatskanzlei-Chef Johannes Beermann (59) ist seit 2015 Vorstandsmitglied der Bundesbank. Deutschland ohne Bargeld ist für ihn so gut wie nicht vorstellbar.
Der ehemalige sächsische Staatskanzlei-Chef Johannes Beermann (59) ist seit 2015 Vorstandsmitglied der Bundesbank. Deutschland ohne Bargeld ist für ihn so gut wie nicht vorstellbar. ©  PR/Bundesbank

Dabei ist das digitale Bezahlen doch günstiger.

Das stimmt so nicht. Die Barzahlung verursacht im Handel im Durchschnitt Kosten von 24 Cent je Vorgang. Bei der Girocard sind es 33 Cent. Zahlungen mit Kreditkarte und PIN beziehungsweise Kreditkarte und Unterschrift sind mit 97 Cent beziehungsweise 1,04 Euro am teuersten. Und: Barzahlung geht auch am schnellsten. Sie dauert an der Kasse rund 22 Sekunden. Bei der Kartenzahlung mit PIN-Eingabe sind es 29 Sekunden, mit Kartenzahlung und Unterschrift sogar 39 Sekunden.

Und was ist mit dem kontaktlosen Bezahlen, bei dem man seine Karte oder Smartphone ein paar Zentimeter über dem Lesegerät hält – ohne Eintippen von irgendwelchen Codes?

Kontaktloses Zahlen nimmt im Moment gerade zu. Wir werden das genauer untersuchen. Aber bislang geht das bei den meisten Kartenzahlungen nur bei Beträgen bis 50 Euro. Und die Sicherheitsabfrage der Geheimzahl ist spätestens nach der fünften Zahlung fällig.

Deutschland bleibt also Bargeld-Land?

Auf absehbare Zeit, ja. Es verschwinden immer wieder Zahlungsinstrumente wie der Eurocheque, aber das Bargeld wird bleiben. Was in der Diskussion oft vergessen wird: Zwar nehmen die technischen Möglichkeiten im Geldverkehr zu, gleichzeitig passen sie aber nicht ganz zur demografischen Entwicklung in unserem Land. Der Anteil der Bevölkerung, der mit Bargeld aufgewachsen ist, wird noch lange überwiegen.

Fast 90 Prozent der Deutschen sagen, sie könnten sich ein Leben ohne Bargeld nicht vorstellen.
Fast 90 Prozent der Deutschen sagen, sie könnten sich ein Leben ohne Bargeld nicht vorstellen. ©  PR/Bundesbank

Drei Viertel des inländischen Bargeldumlaufs von derzeit rund 230 Milliarden Euro landet unter dem sprichwörtlichen Kopfkissen. Offensichtlich vertraut man den Geldanlagen der Banken nicht.

Jeder weiß, dass es fürs klassische Sparen derzeit keine Zinsen gibt. Da spielt die Wertaufbewahrung „Kopfkissen“ in der Tat eine Rolle. Zudem kann Bargeld nicht gehackt werden, ist also nicht anfällig für technologische Pannen. Und man hat den Überblick, den man beim digitalen Bezahlen mitunter verliert.

In einer Gesellschaft ohne Bargeld könnte es weniger Schattenwirtschaft und Geldwäsche geben.

Das Verbrechen ist im Digitalen ebenso unterwegs wie im Analogen. Das Handy ist das bei der Verabredung von Straftaten das wichtigste Kommunikationsmittel, deswegen diskutieren wir ja noch lange nicht über dessen Abschaffung.

Sollten nicht zumindest die 65 Milliarden Ein- und Zwei-Cent-Münzen abgeschafft werden?

Ich sehe dafür keine Notwendigkeit. Handel und Verbraucher schätzen ganz offensichtlich diese Münzen. Wie sagt der Volksmund: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.“

Das Interview führte Ulrich Wolf.

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