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Jagd auf politische Gegner - Vier Männer in Chemnitz vor Gericht

Nach einem rechten "Trauermarsch" 2018 in Chemnitz sollen Teilnehmer Jagd auf Gegendemonstranten gemacht haben. Nun wird vier der mutmaßlichen Angreifer der Prozess gemacht.

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Einer der sechs Angeklagten (M) kommt vor Prozessbeginn im Zusammenhang mit Ausschreitungen und rassistischen Angriffen im Spätsommer 2018 ins Landgericht Chemnitz.
Einer der sechs Angeklagten (M) kommt vor Prozessbeginn im Zusammenhang mit Ausschreitungen und rassistischen Angriffen im Spätsommer 2018 ins Landgericht Chemnitz. © dpa

Chemnitz. Mehr als fünf Jahre liegt die brutale Jagd auf Teilnehmer einer "Herz statt Hetze"-Demonstration in Chemnitz zurück, seit Montag stehen nun mehrere mutmaßliche Angreifer vor Gericht. Doch der Auftakt verlief stockend. Von ursprünglich neun Angeklagten waren noch sechs verblieben - und zwei davon erschienen nicht zur Verhandlung, darunter ein bekannter Neonazi-Blogger aus Dortmund. Ihre Verfahren wurden abgetrennt, sodass nun noch gegen vier Männer verhandelt wird. Zum Prozessauftakt schwiegen sie zu den Vorwürfen.

Laut Anklage reicht das Ganze zurück in den Spätsommer 2018. Nach dem gewaltsamen Tod eines Deutschen im Streit mit Asylbewerbern war es in Chemnitz zu Demonstrationen und Ausschreitungen gekommen, zu denen Rechtsextreme aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten. So auch bei einem sogenannten Trauermarsch von AfD, Pegida und Pro Chemnitz. Daran sollen die Angeklagten teilgenommen haben. Im Anschluss reisten sie allerdings nicht ab, sondern hätten sich entschlossen, auf der Suche nach Gegendemonstranten durch Chemnitz zu ziehen.

Ihr Ziel sei gewesen, Gegner einzuschüchtern, so die Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Dazu seien sie in einer größeren Gruppe von zeitweise mehr als 30 Beteiligten durch die Stadt gezogen. Mehrfach seien Gegner eingekreist und mit Fäusten ins Gesicht geschlagen worden. Die Angreifer sollen "Adolf Hitler unser Führer", "Deutschlandverräter" und "Scheiß Zecken" gerufen haben.

Einen Mann, den sie als Migrant identifizierten, sollen sie durch einen Park verfolgt und gerufen haben: "Den packen wir uns. Den machen wir kalt." Auch eine aus Hessen angereiste Gruppe von Sozialdemokraten und SPD-Sympathisanten wurde attackiert.

Einer der Angeklagten
Einer der Angeklagten © dpa

Es ist der erste von drei am Landgericht Chemnitz anhängigen Verfahren zu jenen Angriffen am 1. September 2018. Opfervertreter hatten zuvor die sächsische Justiz scharf kritisiert und ihr vorgeworfen, die Betroffenen im Stich zu lassen. Sie würden durch die lange Verfahrensdauer entmutigt, während militante Neonazi-Netzwerke gestärkt würden. Ihren Angaben nach sind die Angreifer kampfsportgeschult, um politische Gegner einzuschüchtern, anzugreifen und zu verletzen.

Die Anklage lautet auf Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung in elf Fällen. Von den eigentlich sechs Angeklagten befindet sich einer nach Angaben seines Anwalts in einer Psychiatrie, ein anderer ist vor Verbüßen einer anderen Haftstrafe untergetaucht.

Opfervertreter kritisieren sächsische Justiz

Als einzige Zeugin sagte am Montag vor Gericht eine LKA-Ermittlerin aus dem Bereich Staatsschutz aus, die bei dem Geschehen aber nicht vor Ort war. Bei der Feststellung der Identitäten mehrerer Angreifer an jenem Tag seien außer Utensilien zum Vermummen wie eine Sturmhaube und mehrere Schlauchschale Kampfspuren wie Blut an Hose und Schuhen festgestellt worden, sagte sie. Schlagstöcke oder Knüppel, wie Zeugen berichtet hätten, seien nicht gefunden worden.

Im Ergebnis ihrer Ermittlungen sei sie davon ausgegangen, dass die Angreifer an jenem Tag gezielt nach Gegendemonstranten gesucht hätten. Einen Rädelsführer habe sie nicht ausmachen können.

Die vier verbliebenen Angeklagten im Alter von 26 bis 44 Jahren kommen aus Sachsen und Niedersachsen. Sie sind laut Gerichtsangaben nicht vorbestraft. Bei dem Prozess gibt es verschärfte Einlasskontrollen. Es sind elf Termine bis Ende Januar geplant.

Dass das Verfahren erst jetzt stattfindet, hat das Gericht unter anderem mit Einschränkungen durch die Corona-Pandemie begründet. Rechtsanwältin Lang räumte ein, dass es sich um ein sehr umfangreiches Verfahren handle. Aus ihrer Sicht hätte das Ganze aber auch mit Blick auf die bundesweite Tragweite engagierter vorangetrieben werden müssen. "Das Landgericht Chemnitz schreibt bisher kein Ruhmesblatt für die Aufklärung rechter Gewalttaten", konstatierte sie. "Für die Betroffenen ist das extrem frustrierend."

Mehr als 240 Ermittlungsverfahren

In Chemnitz habe es 2018 einen Schulterschluss der extremen Rechte gegeben. Zugleich sei es der Startschuss für eine neue Generation von Rechtsterroristen gewesen, betonte Heike Kleffner vom VBRG. Dabei zog sie eine Linie zum späteren Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Bei den nun vor Gericht Angeklagten handle es sich in großen Teilen um organisierte Neonazis, erklärte André Löscher, der für den Verein RAA Sachsen seit vielen Jahren in Chemnitz Betroffene rechter Gewalt berät. Sie seien kampfsportgeschult, um politische Gegner einzuschüchtern, anzugreifen und zu verletzen.

Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes war am 26. August 2018 ein Deutscher im Streit mit Asylbewerbern erstochen worden. Ein Syrer wurde später wegen Totschlags verurteilt, ein weiterer Beteiligter ist auf der Flucht. Die Tat löste massive Proteste aus, bei denen Neonazis und Fußball-Hooligans Seite an Seite mit zuvor unauffälligen Bürgern demonstrierten. Es gab rassistische Angriffe und einen Anschlag auf ein jüdisches Restaurant; von Hetzjagden war die Rede. Außerdem gründete sich eine rechtsextreme Terrorgruppe.

Die Ausschreitungen zogen nach früheren Angaben insgesamt mehr als 240 Ermittlungsverfahren nach sich. Dabei wurden 235 Tatverdächtige ermittelt. Es ging um Volksverhetzung, Beleidigung, Widerstand und Angriff auf Polizisten, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. (epd/dpa)