Wie geht es den Menschen im Pflegeheim?

In der Schleuse ist Schluss. Wieder nach draußen soll ich gehen, und dann nach rechts, ans vierte Fenster. Die Scheibe schwenkt zurück. Dahinter erscheint, dicht maskiert, Thomas Theisen. Eigentlich leitet er hier, im Diakonischen Altenzentrum von Graupa, den Pflegedienst. Jetzt ist er auch der leitende Corona-Schnelltester. Unerbittlich schiebt er das Probenstäbchen in den Rachen hinein, so weit, dass der Hustenanfall kommt. Er lacht. "Wenn das passiert, war es richtig."
Alten- und Pflegeheime gehören in Corona-Zeiten zu den verwundbarsten Orten, auch im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Von den insgesamt 48 Häusern im Kreisgebiet waren zeitweise 31 vom Virus betroffen - mit beinahe fünfhundert Infizierten. Laut Krisenstab des Landratsamts kamen in den schlimmsten Tagen - Anfang Dezember - bis zu 40 Prozent aller Corona-Positiven aus den Pflegeeinrichtungen. Sie waren entweder Bewohner oder Mitarbeiter.
Abschottung der Heime zeigt Wirkung
Um die Lage in den Heimen in den Griff zu kriegen, verhängten die Behörden strenge Beschränkungen bis hin zur totalen Schließung der Häuser. Besuche waren zeitweise nicht mehr erlaubt. In manchen Einrichtungen gilt die Schließungsverfügung noch immer. Das zeigt offenbar Wirkung. Mitte der dritten Januarwoche sind noch 17 Pflegeheime von Corona betroffen. Der Anteil an den insgesamt Infizierten ist auf unter 15 Prozent gesunken.
Als betroffen wird auch das Altenzentrum der Diakonie in Graupa geführt. Hier sind sechs, sieben Menschen an oder mit dem Virus gestorben, sagt Torsten Göbel, der Heimleiter. Manche Infizierte hätten aber auch nur leichte oder gar keine Symptome gezeigt. Über die Gründe für den vergleichsweise milden Verlauf der Pandemie in seiner Einrichtung kann er nur spekulieren. Eins ist für ihn klar: "Der Herrgott hält seine Hand über dieses Haus."

Besuche waren in Graupa nur wenige Tage ausgesetzt, vom Ende der Weihnachtsfeiertage bis kurz nach Neujahr. Jetzt dürfen die Angehörigen wieder ins Haus, allerdings nur mit Schnelltest und nur mit Termin. Den besorgt man sich zuvor per Telefon. Anders als zu normalen Zeiten finden die Besuche nicht auf den Zimmern, sondern im Speisesaal statt, sagt Torsten Göbel. Da könnten nicht zwanzig Leute auf einmal kommen. "Das gibt der Saal nicht her."
Ich treffe Margitta Brieger ausnahmsweise im kleinen Gesellschaftsraum, der hier der Wintergarten heißt. Frau Brieger lebt seit gut einem Jahr im Graupaer Seniorenheim. Sie ist jetzt achtzig. Schon seit vielen Jahren hat sie Diabetes, eine Krankheit, die schwere Corona-Verläufe begünstigen kann. Hat sie Angst vor dem Virus? "Eigentlich schon", sagt sie. "Man weiß ja nicht, was kommt."
Bei Anruf steht Besuch vorm Fenster
Eingeschränkt durch die Anti-Corona-Maßnahmen im Haus fühlen sie und ihr Mann Baldur, 84, sich kaum. Die beiden sind sich zumeist selbst genug. Sie waren schon früher sehr ruhig, sagt Margitta. So ist das jetzt auch. "Wir brauchen nicht unbedingt andere Leute zum Reden." Auf dem Zimmer schauen sie viel fern, Heimatfilme, Tierfilme, aber oft auch Nachrichten. So holt Corona sie doch ein.
Besuch kriegen die Briegers regelmäßig. Einmal wöchentlich kommt der Sohn vorbei, manchmal auch die Schwiegertochter. Dabei macht sich die Erdgeschosslage des Zimmers bezahlt. Hier ist Fensterkommunikation möglich. Ihr Sohn ruft sie an, wenn er vor dem Fenster erscheint, erzählt Frau Brieger, und dann kann man sich unterhalten, lediglich getrennt durch das Fliegengitter.

Das "Fensterln" wird auch von anderen Bewohnern praktiziert, sagt Torsten Göbel. Wer draußen stehen muss, hat es zwar weniger bequem, spart sich aber das Organisieren des Termins. Außerdem, sagt Göbel, scheuen die Leute den Schnelltest, "weil er nicht ganz angenehm ist". Er hat damit kein Problem. "Das kann jeder machen, wie er möchte."
Dem Heimleiter ist klar, dass die Einschränkung des Besucherverkehrs für seine Bewohner eine große Bürde bedeutet. Er ist froh, dass die Komplettschließung erst nach Weihnachten kam.
Bewohner des damals bereits abgeschotteten Seniorenzentrums Sächsische Schweiz auf der anderen Elbseite forderten kurz vor Heiligabend in einem Brief an das Gesundheitsamt ihr gewohntes Leben zurück. "Wir sind keine Tiere, die weggesperrt werden möchten", schrieben sie. Und: "Unsere Generation hat schwerere Zeiten erlebt und gemeistert - vergessen Sie das nie!"
Erinnerungen an schwere Zeiten
Zu dieser Generation, den Kriegskindern, gehört auch Margitta Brieger. Durch den Krieg hat sie ihre Heimat in Ostpreußen verloren, ein Dörfchen, das heute zu Russland gehört. Und sie hat ihren Vater verloren, den sie nur vom Foto kennt. Mit der großen Schwester musste sie übers Land ziehen, bei den Bauern um Lebensmittel betteln, und sehr viel Brennnesselsuppe essen. Daran erinnert sie sich besonders gut. "Die schmeckte manchmal scheußlich."
Margittas Mann Baldur, ein ehemaliger Bauarbeiter, hat Demenz. So wie viele andere im Haus. In der Pandemie ist das noch tragischer als ohnehin, sagt Heimleiter Göbel. Wie bringt man ihnen bei, wieso der Besuch nicht mehr kommt, oder spärlicher als sonst? Warum die Geburtstagsfeier ausfallen muss? Dass abholen und essen gehen nicht mehr funktioniert, weil die Gaststätten zu sind? "Da muss man ganz viel erklären", sagt er. Aber ob es hilft?

Manchen hilft die neue Technik. Sie nutzen Videotelefonie, um ihre Angehörigen virtuell zu besuchen. Die Eintrittspforte ist der Laptop von Heimleiter Göbel, den er dann in die Zimmer der Bewohner trägt. Allzu häufig ist das aber nicht, vielleicht zwei-, dreimal die Woche. Schließlich seien die Kinder der Hochbetagten auch schon im reiferen Alter und nicht unbedingt computeraffin, sagt er. Doch werde wieder mehr auf Papier geschrieben. "Wir kriegen jetzt sehr viel Post."
Mittagszeit. Margitta und Baldur erheben sich langsam vom Sofa und verlassen, gestützt auf ihre Rollatoren, den Wintergarten. Jägerschnitzel hat Margitta für sie beide bestellt. Danach ein Schläfchen. Sie hofft, dass es jetzt mal aufhört mit diesem Corona, sagt sie zum Abschied. Ansonsten stört sie hier nichts. "Es kann so weitergehen."
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