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Corona bringt Oma ins Netz

Volkshochschule und Seniorenakademie finden seit gut einem Jahr nur noch online statt. Einige grenzt das aus – für andere öffnet sich im Alter eine neue Welt.

Von Stephanie Wesely
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79 Jahre und inzwischen sicher und häufig online: Christine Bauer aus Chemnitz.
79 Jahre und inzwischen sicher und häufig online: Christine Bauer aus Chemnitz. © Uwe Mann

Routiniert gibt die 79-jährige Christine Bauer aus Chemnitz ihre Zugangsdaten in die Abfragemaske an ihrem Laptop ein. Sie will einen Vortrag von Psychologieprofessor Stefan Mühlig über Behandlungsmöglichkeiten von Altersdepressionen verfolgen. Der Vortrag gehört zum Programm des Seniorenkollegs – einem Bildungsangebot der TU Chemnitz. Bauer ist seit elf Jahren im Seniorenkolleg. Als Mitglied des Organisationsteams sucht sie selbst nach Referenten für interessante Themen. Eine Aufgabe, die sie ausfüllt. Ihr Ziel ist es, auch im Alter immer zu lernen.

„Als ich in den Ruhestand ging, wusste ich, dass es das noch nicht gewesen sein kann“, sagt sie. „Ich hatte immer schon das Bedürfnis, mir Neues zu erschließen.“ Obwohl die frühere Konstrukteurin im Wohnungsbau beruflich nie mit Computern zu tun hatte, habe sie das Medium gereizt. Computerlehrgänge und ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten in den Kunstsammlungen und dem Staatsarchiv Chemnitz ließen sie mit der Zeit die nötige Sicherheit gewinnen.

850 Mitglieder vor Corona - jetzt nur 150

Wenn es heute gilt, Konferenzen per Skype, Teams und Zoom abzuhalten oder Powerpoint-Präsentationen zu erstellen, ist das für viele Senioren nichts Besonderes mehr. „Es ist durchaus ein Trend, dass Senioren heute länger offen für Neues sind“, sagt Professor Georg Jahn, der den Fachbereich für angewandte Gerontopsychologie an der TU Chemnitz leitet. Sein Team erforscht zum Beispiel die geistige Aktivität im Alter.

„Die Menschen sind heute nicht nur körperlich länger gesund als ihre Vorgänger-Generationen, sie sind auch geistig leistungsfähiger.“ Das regt viele Ältere an, sich mit elektronischen Medien vertraut zu machen, vor allem, wenn es coronabedingt die einzige Möglichkeit für Weiterbildung und Kontakte ist.

„Doch es sind vor allem Menschen mit einem höheren Bildungsgrad und besseren finanziellen Möglichkeiten, die sich auch im fortgeschrittenen Alter noch die digitale Technik erschließen“, so Jahn. Andere, die vor Corona ausschließlich als Gast in die Hörsäle gingen oder an Bildungsexkursionen teilnahmen, würden jetzt ausgegrenzt. „Deshalb können Online-Angebote niemals eine Seniorenakademie mit Präsenzveranstaltungen und persönlichen Kontakten ersetzen“, sagt er. Geistige Aktivität wachse am besten in der Gemeinschaft.

Christine Bauer bestätigt das: „Vor Corona zählte das Seniorenkolleg rund 850 angemeldete Hörer. Jetzt sind es noch knapp 150.“ Denn die meisten älteren Menschen gingen nicht allein wegen der Bildung ins Kolleg, sie suchten vor allem Kontakte, die Abwechslung zum Alltag und den wissenschaftlichen Austausch mit Gleichgesinnten. „Wir sind aber sehr daran interessiert, dass sich noch mehr Ältere mit der digitalen Technik anfreunden. Ich erkläre viel am Telefon, und es gibt gute Schritt-für-Schritt-Anleitungen“, so Bauer. Doch bei manchen seien die Ängste groß, oft fehle es auch an der Ausstattung und einer stabilen Internetverbindung.

"Die Gemeinschaft lässt sich nicht ersetzen"

„Unsere Online-Vorträge hören heute vielleicht noch 17 von früher 100 Teilnehmern“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Seniorenakademie Dresden, Dr. Stefan Ritter. Das Online-Angebot ist für die meisten nicht das gleiche wie Präsenzveranstaltungen. „Allein zu Hause vor dem PC zu hocken, ist eben nicht unser Konzept. Die Gemeinschaft lässt sich nicht ersetzen.“

Trotzdem hat Corona mehr Senioren an den Computer gebracht. Das belegt zum Beispiel der Deutsche Alterssurvey in einer repräsentativen Befragung von Personen in der zweiten Lebenshälfte aus dem Sommer vergangenen Jahres. Danach nutzte etwa ein Fünftel der Befragten seit Beginn der Corona-Pandemie das Internet häufiger als zuvor. In der Altersgruppe der 76- bis 90-Jährigen sagte das immer noch jeder achte Befragte. Am häufigsten dient das Internet der Suche nach Informationen, der Pflege sozialer Kontakte sowie der Bildung und Unterhaltung. Zum Einkauf und für Bankgeschäfte werden digitale Medien von Senioren aber eher noch selten genutzt.

Auch eine Umfrage des Marktforschungsinstitutes Bitkom Research vom Sommer 2020 zeigt, dass sich im Zuge der Corona-Pandemie für viele ältere Menschen das Bild von der Digitalisierung gewandelt hat. Zwei von fünf über-65-Jährigen stehen dem Medium seitdem positiver gegenüber. Mehr als jeder achte Senior hat sich aufgrund der Corona-Krise neue digitale Geräte angeschafft – am häufigsten den traditionellen Tisch-PC, gefolgt von Tablet und Smartphone.

Psychologie ist besonders beliebt

„Um an unseren Seniorenstudiengängen oder am Seniorenkolleg teilzunehmen, ist kein spezieller Bildungsabschluss nötig“, sagt Brita Jacob vom Organisationsteam. Für die Teilnehmerwürden Vorlesungen aus dem Bachelor-Studium ausgewählt, die öffentlich interessierende Themen hätten. „Da es keine Prüfungen oder Benotungen gibt, ist das ein sehr entspanntes Lernen.“ Vorlesungen im Maschinenbau seien in der Chemnitzer Region besonders stark nachgefragt – vorwiegend von ehemals in diesem Bereich tätigen Männern.

Frauen interessierten sich oft für Sprachen und Geschichte. „Die meisten Einschreibungen gibt es aber im Fach Psychologie. Künftig könnten auch noch mehr medizinische Themen eingebunden werden, doch leider haben wir keine eigene Fakultät für Medizin und müssen daher auf Partner setzen“, so Jacob. Im Seniorenkolleg gibt es auch großes Interesse an städtischen und regionalen touristischen Fragen sowie an der politischen Bildung, zum Beispiel am Wählerverhalten.

Die Volkshochschulen Chemnitz und Dresden arbeiten ebenfalls seit gut einem Jahr nur noch online. Während es in Chemnitz aber keinen Mitgliederrückgang gibt, hat sich die Teilnehmerzahl unter den Senioren in Dresden halbiert, wie Regina Molke, Sprecherin der Volkshochschule Dresden, informiert. „Der Wechsel ins virtuelle Klassenzimmer ist bei uns aber vor allem in den Sprachkursen gelungen. Selbst Bewegungsangebote wie Pilates und Rückentraining werden gut angenommen.“

Zuwächse gebe es zudem bei Vorträgen zu aktuellen Fragen wie Fake News, aufgeklärter Konsumentenhaltung oder der Nutzung von Streamingdiensten. Solche Themen seien es auch, die der Volkshochschule Chemnitz sogar Neuanmeldungen brachten. „Ein Prozent beträgt der Zuwachs zwar nur, aber immerhin“, so die pädagogische Mitarbeiterin Sophie Gutjahr. „In Telefonaten bekommen wir zwar gespiegelt, dass unsere Senioren die wöchentlichen Treffen vor Ort sehr vermissen. Doch wir hatten schon immer Kurse für Tablet und Smartphone im Programm, die gut gebucht waren – das zahlt sich jetzt vielleicht aus“, sagt Gutjahr. Damit hätten viele Ältere den Schritt ins Digitale gewagt.

Vorträge mehrmals anhören

Die Erfahrungen aus der Pandemie haben bei den Bildungsträgern zu einem Umdenken geführt. So will die Volkshochschule Dresden zwar so bald wie möglich wieder mit dem Präsenzunterricht starten, einfach um wieder Kontakte und persönlichen Austausch zu ermöglichen. „Doch Online-Angebote sollen weiterhin ein fester Bestandteil unseres Angebotes bleiben“, sagt Regina Molke. „Wir planen neben reinen Online- und reinen Präsenzveranstaltungen auch sogenannte Hybrid-Vorträge, die man entweder live vor Ort oder als Streaming zu Hause verfolgen kann.“ Damit erreiche man auch jene, die körperlich nicht so mobil seien.

Für Christine Bauer hat Online den großen Vorteil, „dass man sich die Vorträge mehrfach anhören und einen geeigneteren Zeitpunkt dafür auswählen kann.“ „Ich ziehe mich, wenn das Wetter nicht so toll ist, gerne mit Strickzeug und Laptop in mein Zimmer zurück und höre mir Vorträge an. Das ist mir lieber, als irgendwelche Serien im Fernsehen anzuschauen.“

Anmeldungen für Vorträge in den Seniorenkollegs und den Volkshochschulen sind auch im laufenden Semester noch möglich. Informationen zu Online-Angeboten gibt es auf den Webseiten der Bildungsträger: