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Corona drängt andere Krankheiten in Dresden zurück

Grippe, Scharlach, Brechdurchfall: Viele Infektionskrankheiten treten in der Pandemie plötzlich seltener auf. Warum das für Syphilis und Tripper nicht gilt.

Von Sandro Rahrisch
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Kinderärzte hätten um diese Zeit eigentlich alle Hände voll zu tun mit Schnupfnasen und kleinen, fiebrigen Patienten. Doch in diesem Winter ist in Dresden alles etwas anders.
Kinderärzte hätten um diese Zeit eigentlich alle Hände voll zu tun mit Schnupfnasen und kleinen, fiebrigen Patienten. Doch in diesem Winter ist in Dresden alles etwas anders. © dpa/Sebastian Gollnow (Symbolbild)

Dresden. Maske, Abstand, Kontaktbeschränkungen: Die Corona-Regeln haben geholfen, auch andere Infektionskrankheiten in Dresden zurückzudrängen. Das zeigen neueste Zahlen des Robert-Koch-Instituts, die der SZ vorliegen. Ein Erfolg auf ganzer Breite? Nein, manche Krankheiten halten sich hartnäckiger als andere. Nicht zuletzt, weil viele Dresdner nach dem ersten Lockdown etwas nachzuholen hatten.

Deutlich weniger Kinderkrankheiten

Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und Fieber sind die ersten Anzeichen. Nach wenigen Tagen kommen Hautausschlag und eine himbeerfarbene Zunge dazu. Scharlach gilt als klassische Kinderkrankheit, die in Kitas schnell die Runde macht. Sie ist hochansteckend und verbreitet sich über feinste Speichel-Tröpfchen in der Luft. Lediglich 139 Scharlach-Fälle sind 2020 gemeldet worden. Üblicherweise waren es in den vergangenen Jahren meistens um die 300 Fälle, 2018 sogar über 400.

"Es erkranken derzeit extrem viel weniger Kinder daran", sagt die Gorbitzer Kinderärztin Dr. Carola Hoffmann. Sie führt dies auf die mehrwöchigen Schließungen von Kitas und Grundschulen zurück, aber auch die strengen Regeln für den Besuch der Einrichtungen über den Sommer und in der Notbetreuung. So gilt ein Betretungsverbot für Kinder, die auch nur die geringsten Anzeichen einer Corona-Infektion haben. Da sich die Symptome mit denen von Scharlach ziemlich ähneln, könnte das die Ausbreitung zusätzlich gebremst haben.

Starke Einbrüche gab es im vergangenen Jahr auch bei Keuchhusten und Windpocken. Gegen beide Erkrankungen gibt es Impfstoffe, die der Empfehlung der sächsischen Impfkommission zufolge noch verabreicht werden sollten, bevor Kinder den zweiten Geburtstag feiern. Nicht alle Eltern halten sich an diesen Rat. So gab es 2019 in Dresden 167 Keuchhusten-Fälle. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 45. Bei den Windpocken sank die Zahl der Infektionen unter die Marke von 100.

Magen-Darm-Erkrankungen und Grippe stark zurückgedrängt

"Die Grippewelle fällt dieses Jahr aus", sagt Carola Hoffmann. Bisher hatte sie in ihrer Praxis nicht einen einzigen Influenza-Patienten vor sich sitzen. Kein Wunder, seit Saisonbeginn im Oktober sind in ganz Dresden nur acht Fälle gemeldet worden. Mehr als 2.000 Infizierte waren es bei den vorherigen Grippewellen. "Man sieht jetzt erst einmal so richtig, was mit Hygiene und Kontaktbeschränkungen alles verhindert werden kann."

Was Erkältung und Grippe angehe, so seien Kinder normalerweise Infektionstreiber, sagt Hoffmann, die wohl noch nie so wenige Menschen im Wartezimmer sitzen hatte wie jetzt. Richtig nach unten gegangen sei die Zahl der Patienten zum Jahresende hin. Um 30 bis 40 Prozent, schätzt die Kinderärztin. Glück für andere Familien: Ihre Vorsorgeuntersuchungen können dadurch vorgezogen werden.

Auch Magen-Darm-Erkrankungen konnten in den vergangenen Monaten stark zurückgedrängt werden. Norovirus-Infektionen: minus 55 Prozent. "Auch hier zeigt sich ein deutlicher Einfluss der Corona-Schutzmaßnahmen auf das aktuelle Infektionsgeschehen", schätzt die Landesuntersuchungsanstalt ein. Noroviren werden meist über Schmierinfektionen weitergegeben. Die gebetsmühlenartige Aufforderung zum häufigeren Händewaschen scheint also tatsächlich etwas gebracht zu haben. Dasselbe gilt für Brechdurchfall, der durch Salmonellen ausgelöst wird: minus 29 Prozent, verglichen mit dem Jahr davor.

Geschlechtskrankheiten: Rekordwert bei Chlamydien

Und hier kommt die große Ausnahme: Sexuell übertragbare Krankheiten konnten 2020 so gut wie gar nicht zurückgedrängt werden. Was Chlamydien-Infektionen angeht, so ist in Dresden ein Rekord-Wert erreicht worden. Fast 1.000 Menschen fingen sich die Bakterien im vergangenen Jahr nachweislich ein - plus 79.

Der Erreger führt zum Beispiel zu Entzündungen der Harnröhre, des Genitaltrakts und des Enddarms. Unbehandelt können Schäden an Prostata und Hoden auftreten. Bei Frauen sind Frühgeburten möglich. Kondome senken das Übertragungsrisiko.

Kaum Veränderungen meldet das Robert-Koch-Institut auch bei Gonorrhoe und Syphilis. Lediglich bei HIV gibt es einen Rückgang, wobei die Jahresstatistik hier noch nicht alle Fälle umfasst.

"Auch ich habe nicht den Eindruck, dass die Zahl der Syphilis-Infektionen wahnsinnig stark abgenommen hätte", sagt Dr. Petra Spornraft-Ragaller vom Dresdner Universitätsklinikum. Schwerpunkt der Dermatologin sind sexuell übertragbare Krankheiten. Nach dem ersten Lockdown im späten Frühjahr habe es offenbar einen gewissen Nachholbedarf an Geschlechtsverkehr gegeben, so die Medizinerin. Dabei kam es offenbar zu Risikokontakten, also ungeschütztem Sex.

Aus ihrem Alltag kann Petra Spornraft-Ragaller aber auch berichten, dass sich manche Patienten in der Pandemie zurückgehalten haben. Einer habe berichtet, dass er für drei Monate bewusst auf Risikokontakte verzichtet hätte. In dieser Zeit habe er auch keine HIV-Prophylaxe erhalten. Er blieb negativ.

Kinderärztin: "Erreger werden wiederkommen"

Was die typischen Kinder-Infektionskrankheiten sowie Influenza und Magen-Darm-Erkrankungen angeht, setzen sich die positiven Trends fort. Bis zum heutigen Tag meldet das Gesundheitsamt für Dresden genau null Grippe-Nachweise. Wie lange das anhält? Bereits die Öffnung von Kitas und Grundschulen könnte wieder zu mehr Fällen führen, sagt Carola Hoffmann.

Dass die Erreger nachhaltig zurückgedrängt wurden, glaubt die Kinderärztin nicht. "Sie werden wiederkommen." Zwar könnte mit dem Tragen von Masken, insbesondere bei Erwachsenen, auf Dauer vieles beim Infektionsschutz erreicht werden. Die Frage sei, wie viele das machen werden, sollten sie ihre Corona-Schutzimpfung erhalten haben.

Auf Sächsische.de möchten wir ganz unterschiedliche Erfahrungsberichte von Corona-Infizierten aus Dresden teilen. Wenn Sie die Erkrankung bereits überstanden haben und uns davon erzählen möchten, schreiben Sie uns an [email protected]ächsische.de.

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