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Corona-Proteste: Kommt die Polizei zu spät?

Demonstranten ziehen durch Dresden - die Polizei ist zunächst ahnungslos. Polizei-Chef Jörg Kubiessa erklärt, was die Corona-Proteste für ihn so schwierig macht.

Von Christoph Springer
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Dresdens Polizeipräsident Jörg Kubiessa: Die vielen Corona-Demos sind eine neue Herausforderung für die Polizei.
Dresdens Polizeipräsident Jörg Kubiessa: Die vielen Corona-Demos sind eine neue Herausforderung für die Polizei. © Archiv/Sven Ellger

Dresden. Am Wochenende ist es wieder passiert: An mehreren Orten in Dresden war die Polizei im Einsatz, weil sich Gegner der Corona-Maßnahmen zu nicht angezeigten Versammlungen getroffen haben, etwa in Laubegast. Jeden Tag kann das derzeit passieren, dazu kommen wenigstens jeden Montag weitere Demos.*

Eine neue Arbeitsbelastung für die Polizei. Dabei haben die Beamten der Polizeidirektion Dresden selbst damit zu tun, dass Kollegen infiziert oder wenigstens in Quarantäne sind. Aktuell sind das knapp 100 der insgesamt 2.200, die für Dresden und die Landkreise Sächsische Schweiz/Osterzgebirge sowie Meißen zuständig sind, sagt Polizeipräsident Jörg Kubiessa.

Herr Kubiessa, Ihre Kollegen können keine 1,50 Meter Corona-Abstand einhalten, wenn es um Protest gegen die Schutzregeln und den Gegenprotest dazu geht. Wie ist das für Sie?

Das ist ein Thema, seitdem wir die Pandemie haben. Das ist übrigens auch in der tagtäglichen polizeilichen Arbeit ein Thema, wenn wir zum Beispiel einen Tatverdächtigen festnehmen. Da kann es immer zu einem persönlichen Kontakt kommen, der dann auch zu einer Corona-Infektion führen kann. Aber das kann nicht die Betrachtung sein, wenn es darum geht, Recht und Gesetz durchzusetzen.

Ist die Arbeitsbelastung insgesamt gestiegen durch Protest gegen die Corona-Regeln und den Gegenprotest dazu?

Erstens: Jetzt in dieser vierten Corona-Welle hält das Leben nicht so stark an, wie wir das vorher gehabt haben. Wir hatten zum Beispiel in den ersten Wellen deutlich weniger Einbrüche in Häuser und Wohnung als ohne Corona. Das ist jetzt nicht der Fall. Der zweite Punkt: Dass der Protest so breit und von der Anzahl her so häufig ist, ist auch neu. Das fordert uns im doppelten Sinne extra heraus.

Teilen Sie die Ansicht, dass mit strengeren Corona-Regeln die Menge von Demonstrationen zunimmt und die Proteste aggressiver werden?

Ich bin der Auffassung, dass es in der Demokratie zu einem Diskurs führt, wenn neue Regeln eingeführt werden, zu welchem Thema auch immer. Und der findet auch in der Öffentlichkeit statt. Es ist völlig logisch, dass man auch über die Corona-Regeln streitet, diskutiert und das auch in der Öffentlichkeit. Und immer dann, wenn das wieder neu austariert wird, wird es wieder neue Diskussionen geben. Das ist für mich nichts Außergewöhnliches, das gehört zusammen.

Man sieht mittlerweile in Dresden auch Polizei aus anderen Bundesländern, wenn ein Autokorso stattfindet. Geht es nicht mehr ohne Hilfe?

Bei unseren Polizeieinsätzen, die auch immer in Bezug auf die Landeshauptstadt Dresden eine besondere Bedeutung haben, ist es nicht selten, dass auch Kräfte aus anderen Bundesländern dabei sind, weil unsere eigenen sächsische Kräfte zum Beispiel in Chemnitz, in Zwickau oder in Leipzig tätig sind. Wir zeigen dann den Bedarf an und im Rahmen der Länderkooperation entscheidet sich, ob wir Kräfte bekommen und die werden dann auch eingesetzt.

Trotzdem noch einmal die Nachfrage: Ist es so, dass zum Beispiel im Vergleich zu 2020 die Belastung durch Demo-Einsätze in Dresden zugenommen hat?

Wir haben auf alle Fälle eine große Menge von Versammlungen im kleinsten Bereich, also mit wenigen Teilnehmern, auch einen ganzen Montag lang. Das ist tatsächlich eine neue Lage.

...der Sie wie etwa am 10. Dezember, als plötzlich sogenannte Spaziergänger im Stadtzentrum auftauchten, mitunter hinterherlaufen? Da war keine Polizei da.

Dazu muss man Folgendes sagen: Das Versammlungsrecht ist trotz Einschränkungen noch existent, man darf sich versammeln und seine Meinung sagen. Momentan ist es so, dass man das anzeigt und sich dann mit zehn Personen treffen kann. Wenn man das aber nicht anzeigt, dann bekommen wir aus der Öffentlichkeit Informationen oder wir werden zum Beispiel über einen Social-Media-Kanal darauf aufmerksam. Dann müssen wir Kräfte informieren, zusammensammeln und dann fahren wir dorthin. Das kann dann von außen so aussehen, als ob wir zu spät kommen, weil sich das schon wieder aufgelöst hat.

Zunehmend wird dazu aufgerufen, Demonstrationen nicht mehr vorher anzuzeigen, so wie das eigentlich üblich ist, sondern sich einfach so zu treffen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Der Sinn einer Anmeldung im Rahmen des Versammlungsrechts besteht nicht darin, anzuzeigen, was man für eine Meinung hat und was man da kundtun will. Es geht darum, das Versammlungsrecht mit den Rechten anderer, etwa im Handel und im Verkehr, auszugleichen und dafür zu sorgen, dass die Versammlung sicher ist. Eine Spontanversammlung ist ohnehin erlaubt, wenn es auch um ein spontanes Thema geht.

Auch die Nicht-Anmeldung führt nicht zu einer Auflösung, aber sie bereitet uns Sorgen, weil wir dann in der Situation sind, erst einmal feststellen zu müssen, wer das überhaupt ist und um was es geht. Die Kooperationsgespräche, die wichtig sind, um einen gemeinsamen Ablauf hinzubekommen, hat es dann nicht gegeben. Das bedeutet, dass auf der Straße etwas stattfindet, was wir schlecht sichern können - übrigens für alle, die davon betroffen sind. Und das ist nicht gut.

Nimmt dabei die Aggressivität gegenüber der Polizei zu?

Was wir auf alle Fälle beobachten ist, dass auch die Polizei in sozialen Netzwerken wie Telegram mit Gewaltbegriffen wie Söldner und Prügelknaben betitelt wird. Das führt dann in der einen oder anderen Situation dazu, dass einzelne Teilnehmer meinen, es wäre okay, wenn man mal gegen Polizisten vorgeht. Das gab es in Pirna in der zweiten Welle, das gab es im Raum Zwickau, wo eine Person versucht hat, einer Beamtin die Waffe zu entreißen.

Was macht das mit den Polizeibeamten?

Da geht es um unsere Professionalität. Das heißt, erstens klar zu sagen, wo die Grenzen sind, wo auch bei uns die rote Linie erreicht ist. Das heißt auch, frühzeitig zu handeln, konsequent zu sein und allen klar zu machen, was mit uns nicht verhandelbar ist.

Auch von Corona-Kontrollen in Bussen, Bahnen, Geschäften oder Gaststätten wird gemeldet, dass immer wieder Menschen aggressiv reagieren.

Wenn wir bei solchen Kontrollen Regelverstöße feststellen, gibt es eigentlich nur zwei Varianten. Manche wissen nicht richtig Bescheid, welche Regel gilt und warum das so ist, oder sie nehmen die Regeln nicht ganz so ernst, richten sich dann aber danach.

Es gibt aber auch Menschen, die meinen, sie müssten sich nicht daran halten. Da kann es dann auch zu so einem Angriff kommen. Wir haben dann die Möglichkeit, das Recht mit unmittelbarem Zwang durchzusetzen. Ich will das nicht kleinreden, aber auch das gehört schon immer zu unserem Arbeitsgeschehen dazu. Und weil es früher die ganzen Corona-Regeln nicht gab, fällt das jetzt besonders auf.

Welche weitere Entwicklung erwarten Sie?

Das Thema Impfpflicht ist momentan im politischen Raum eine der entscheidenden Fragen. Ich habe gesagt, dass es in einer Demokratie bei einem Thema, zu dem es unterschiedliche Meinungen gibt, auch zu einem öffentlichen Diskurs kommt. Wenn das stimmt, dann wird auch der über die Impfpflicht wieder auf der Straße stattfinden.

*Hinweis: Dieses Gespräch wurde vor der Versammlung in Dresden-Laubegast am Abend des 19. Dezember geführt.