Warum Homeoffice bei Staffbase anders läuft als bei der IHK?

Herr Hamann, wie sind Sie der „Homeoffice-Pflicht“ des Bundes gefolgt, arbeiten mehr IHK-Mitarbeitende von daheim?
Hamann: Wir führen seit über zwei Wochen einen stringenten Kurs der Vereinzelung. 70 Prozent der Mitarbeiter sind inzwischen in Einzelbüros untergebracht. Es gibt auch Gespräche zu mehr Homeoffice. Doch die Resonanz ist sehr unterschiedlich, da auch die technischen Möglichkeiten beschränkt sind. Schließlich halten wir nicht jeden Arbeitsplatz doppelt vorrätig.
Die Duplizierung der Arbeitsplätze ist doch nicht die Realität, oder?
Hamann: Das ist leider nicht so einfach von der Hand zu wischen. Wenn ein Mitarbeiter bei uns Homeoffice machen will, braucht er Zugang auf unsere Datensysteme. Das setzt voraus, dass er mit einem Computer ausgestattet ist und zusätzlich eine VPN-Leitung gelegt wird. Auch arbeiten wir mit einer großen Anzahl personenbezogener Daten, die ich dann aus dem Haus in das private Umfeld abfließen lassen würde.
Wolf: Für das Problem, dass man zu Hause auf unternehmenskritische und sensible Daten zugreifen kann, ist die Technik schon lange vorhanden. Meine Frau arbeitet in einem großen Lebensmittelkonzern in der Region hier und hat von zu Hause Zugriff auf das SAP-System. Das Thema Datenschutz und Sicherheit persönlicher Daten kann man anführen. Aber es ist an vielen Punkten gelöst.
Was hat die IHK Dresden seit März 2020 unternommen, um das Datenschutzproblem zu lösen?
Hamann: Natürlich haben wir Laptops und VPN-Leitungen seit dem ersten Lockdown – aber nicht für 150 Leute. Das ist technisch nicht umsetzbar. Im Unterschied zu Herrn Wolf, der das für sein Unternehmen entscheiden kann, habe ich diese Möglichkeit nicht. Die Entscheidungshoheit liegt bei uns beim Ehrenamt.

Für wie viele Mitarbeiter hat Staffbase die Technik angeschafft?
Wolf: Staffbase hat jetzt 300 Mitarbeiter, und alle sind so ausgestattet, dass sie problemlos von zu Hause arbeiten können. Bei einer internen Umfrage haben 75 Prozent gesagt, sie sehen mehr Vorteile als Nachteile. Mehr als 60 Prozent sagen, sie wünschen sich auch künftig eine flexible Gestaltung der Arbeit mit bis zu 50 Prozent Homeoffice-Möglichkeit. Staffbase hat sehr viel Geld in seine Büros investiert wie hier im ehemaligen Café Prag, wo ich jetzt sitze. Wir wollen, dass sich unsere Mitarbeiter künftig auch dort wieder treffen können, denn da entstehen einfach mehr Ideen. Dennoch peilen wir für die Zeit nach der Pandemie eine Regelung an mit 50 Prozent Homeoffice, 50 Prozent Büro als Rahmenbedingung. Weil das die klare Erwartungshaltung unserer Mitarbeiter ist.
Welche Erfahrungen haben Sie als Arbeitgeber gemacht?
Wolf: Positive. Wir ermöglichen schon immer Heimarbeit, aber jetzt ist der Umfang natürlich sehr gestiegen. Natürlich steht die Frage, was mehr Heimarbeit für die Unternehmenskultur, Teammoral und Erreichbarkeit bedeutet, wie die tägliche Zusammenarbeit klappt. Wir sehen unter anderem auch, dass Mitarbeiter länger arbeiten, als sie müssten, weil sie kein Ende finden. Da erinnern wir sie an ihre Work-Life-Balance.
Herr Hamann, Sie bezweifeln, von der Vollversammlung grünes Licht für mehr Investitionen in Homeoffice zu bekommen?
Hamann: Ich habe es bislang nicht versucht. Die Finanzierung einer IHK besteht aus Pflichtbeiträgen und Gebühren. In der Vollversammlung sitzen viele Einzelhändler, Hoteliers und Gastwirte. Wenn ich jetzt mit dem Vorschlag von Investitionen käme, damit ich IHK-Mitarbeiter nach Hause schicken kann, könnte ich mir einiges an Widerstand vorstellen. Auch sind wir eine Einrichtung, die sehr stark vom persönlich Kontakt und Erreichbarkeit geprägt ist.
Ist es der richtige Weg, den analogen Gewohnheiten treu zu bleiben?
Hamann: Auch wir haben digitale Lösungen entwickelt, aber ich kann kein Mitglied und keinen Kunden zwingen, digitale Angebote anzunehmen. Es gibt Beispiele, wo die Mitarbeiter sagen, Homeoffice kommt für uns aktuell nicht in Frage. Es stehen allein im Januar/Februar die Abschlussprüfungen für 1.600 Azubis an. Für jeden Prüfling brauchen wir eine dreiköpfige Prüfkommission aus Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Berufsschullehrer. Die kommen zu uns ins Haus und gehen mit dem Prüfling ins Unternehmen. Das alles wird von Mitarbeitern in unserem Haus organisiert und gemanagt. Das können sie nicht im Homeoffice leisten.
Wolf: Sicher, die Hälfte der Menschen können nicht ins Homeoffice, weil sie zum Beispiel in der Pflege arbeiten oder wie bei Ihnen Prüfungen abnehmen. Aber was ist mit der anderen Hälfte. Da ist manchmal die Diskussion zu hören, ob man denen das gönnen darf, wenn die anderen das nicht dürfen. Wir reden doch über das Risiko, sich im betrieblichen Umfeld mit Corona zu infizieren. Alle Unternehmen, die jetzt Einwände bringen, wie die Investitionen in die Homeoffice-Ausstattung sind zu teuer, zeigen damit doch klar die Haltung: Ich will, dass die Leute hier im Büro sind, trotz Ansteckungsrisikos. Aber auch da entstehen Kosten, wenn es zu Infektionen kommt. Und längerfristig darf sich die Kostenfrage gar nicht stellen, wenn Firmen neue Talente gewinnen wollen. Ich habe zwei Teenager-Töchter zu Hause. Für die werden das Arbeitsplatzumfeld und die persönliche Flexibilität grundlegende Faktoren, um über die Attraktivität eines Arbeitsplatzes zu entscheiden.
Wer darf ins Homeoffice, wer nicht – Herr Hamann, Sie nennen das eine Privilegierungsentscheidung, die auf Arbeitgeber abgewälzt wird. Warum?
Hamann: Es ist wirklich eine schwierige Entscheidung, weil jeder glaubt, über die Arbeitsaufgabe seiner Kollegen so gut Bescheid zu wissen, dass er das beurteilen kann. Ich könnte sofort eine Liste aufsetzen mit Mitarbeitern, wo das überhaupt nicht geht. Und schon sind sie beim Thema der Gleichbehandlung. Ob sie sich dieses Themas intensiv annehmen wollen in einer Zeit, wo es um die Vermeidung von Infektionskontakten geht, das will schon reiflich überlegt sein. Ich will keine Diskussion unter den Mitarbeitern nach dem Motto: „Ich stehe unter Kontrolle und der nicht.“

Herr Wolf, welche Methoden zur Ergebniskontrolle nutzen Sie?
Wolf: Eine große Kompetenz, die Unternehmen aufbauen müssen, ist Führung. Wir haben einen Zielprozess, für den wir uns sehr viel Zeit nehmen. Je besser sie persönliche Ziele und Unternehmensziele verknüpfen können, desto besser können sie die Zielerreichung beurteilen. Dann kann man auch von der Präsenzkultur ablassen und mehr Vertrauen haben, weil es eine Definition gibt, was gute Arbeit ist. Das ist anstrengend, aber man kann es lernen. Das Thema Homeoffice wird künftig immer stärker kommen. Wenn sie in Bewerbungsgesprächen nach der Homeoffice-Regel gefragt werden und sie sagen, haben wir nicht, dann ist das ein Signal in drei Richtungen. Erstens: Wir haben keine IT- und Prozessausstattung, die das ermöglicht. Zweitens: Unsere Führungskräfte sind nicht in der Rolle, dies umsetzen zu können. Und drittens: Unsere Unternehmenskultur ist so nicht. Will man diese Signale aussenden? Ich sehe aber noch einen anderen großen Trend.
Welchen?
Wolf: Unter meinen Mitarbeitern sind viele Rückkehrer, die nach Dresden zurückkommen, eine Familie gründen wollen, Immobilien suchen und vom Stuhl fallen, wenn sie die Preise für Vier- und Fünf-Raum-Wohnungen hören. Wir haben Mitarbeiterinnen, die ziehen raus bis nach Stolpen oder weiter, weil sie sich dort ein Haus leisten können. Homeoffice ermöglicht, dass Menschen wieder aufs Land ziehen. Das ist eine Gegenbewegung, die es auch schaffen könnte, Dörfer wieder zu beleben.
Herr Hamann, was sagen Sie dazu. Ist das nicht eine Chance für die Lausitz?
Hamann: Sicher, aber wenn Sie in Richtung Schleife kommen, da können Sie momentan nicht einmal Whats app benutzen. Also da ist noch einiges zu tun. Wir müssen aufpassen, dass wir von den Situationen in urbanen Zentren wie Dresden nicht immer auf das ganze Land schließen. Wir haben immer noch einen großen Anteil von Beschäftigten, die mit diesem Vorzug nicht viel anfangen können, weil sie ihre Arbeit nicht digitalisieren können. Für die greift das alles nicht. Deswegen wehre ich mich innerlich dagegen, Homeoffice als Allzweckwaffe ins Feld zu führen, jetzt sogar noch gegen die Besiedlungsprobleme der Lausitz.
Wolf: Das ist langfristig kein stichhaltiges Argument zu sagen, die einen dürfen nicht, weil die anderen nicht können. Sondern wo es geht, hat das Homeoffice Vorteile – auch für den Arbeitgeber als Attraktivitätsfaktor. Das ist unstrittig.
Braucht es dann noch einen rechtlichen Anspruch auf Homeoffice?
Hamann: Einen politisch verankerten Rechtsanspruch auf Homeoffice halte ich nicht für wirklich zielführend, weil diese Lösungen auf Unternehmensebene gefunden werden müssen. Viele Unternehmer wissen schon, was auf sie zukünftig zukommt, wenn sie gute Leute haben wollen. Und darauf reagieren sie auch. Mich stört das medial verbreitete Bild vom Unternehmer, der böse und unwillig ist und vom Arbeitnehmer als Opfer. Es ist Zeit, auch den Arbeitgebern und Unternehmern einmal Vertrauen entgegenzubringen.
Wolf: Ich würde mich dem komplett anschließen.
Über Staffbase
Frank Wolf ist Mitgründer und Geschäftsführer von Staffbase, dem nach eigenen Angaben weltweit führende Anbieter für Mitarbeiter-Apps und Employee-Experience-Intranets zur Verbesserung der Mitarbeiterkommunikation in Unternehmen. Durch die mobile Version können Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden überall sicher erreichen. Die Plattform ermöglicht der Belegschaft einen besseren Zugang zu Unternehmensinformationen. Bislang nutzen mehr als 400 Kunden weltweit die Plattform – darunter DHL, T-Systems, Viessmann, Adidas, Paulaner sowie Audi. Die 2014 gegründete Firma wächst, hat derzeit 300 Beschäftigte am Hauptsitz in Chemnitz und an weiteren Standorten in Dresden, New York, Berlin, London, Amsterdam, München und Köln.
Über die IHK Dresden
Dr. Detlef Hamann ist seit 2003 Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Dresden mit 155 Beschäftigten. Die Wirtschaftskammer ist mit rund 90.000 Mitgliedsunternehmen aus den Branchen Industrie, Handel, Dienstleistungen, Verkehr, Bau, Hotellerie und Gastronomie der größte Interessenvertreter der regionalen Wirtschaft im Direktionsbezirk Dresden gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit. Bei einer jährlichen Wirtschaftsleistung von mehr als 25 Milliarden Euro verantworten die IHK-Unternehmen rund 360.000 Arbeits- und über 12.000 Ausbildungsplätze. Nach einer Umfrage unter IHK-Mitgliedern bieten 68 Prozent der Befragten mobiles Arbeiten und Homeoffice an, aber nur 33,3 Prozent befürworten eine Homeoffice-Pflicht.