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Gibt es jetzt weniger Wildfleisch?

Die Treibjagdsaison hat begonnen. Wegen Corona fehlen aber etliche Schützen. Das hat Folgen für die Feinschmecker.

Von Jörg Stock
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"Wild kann man nicht von der Weide holen." Kristian Saupe, Wildhändler am Tharandter Wald, hofft trotz der Corona-Beschränkungen beim Jagen auf genügend Nachschub.
"Wild kann man nicht von der Weide holen." Kristian Saupe, Wildhändler am Tharandter Wald, hofft trotz der Corona-Beschränkungen beim Jagen auf genügend Nachschub. © Karl-Ludwig Oberthür

Was die Leute Wildes wollen? Alles, sagt Kristian Saupe. Reh, Hirsch, Wildschwein - "quer durch die Bank". Wenn er einen Favoriten sagen soll, dann ist das der Rehrücken. Das edelste Teil vom Tier. Und pro Tier nur einmal vorhanden. Wer jetzt noch einen Rücken für Weihnachten sucht, wird es schwer haben, sagt Herr Saupe, der schon seit Sommer Bestellungen aufschreibt. "Oder er hat viel Glück."

Virus fördert den Verbrauch von Wildfleisch

Kristian Saupe ist Wildhändler. Seit acht Jahren verkauft er im Örtchen Spechtshausen bei Tharandt Würste, Schinken und Bratenteile, deren Rohstoff genau vor seiner Ladentüre, im Tharandter Wald, gewachsen ist. Wild ist im Kommen, das ist sein Eindruck. Jedes Jahr hat er ein bisschen mehr verkauft, speziell in der Saison, zwischen Herbstanfang und Weihnachten. "Der Zuspruch ist größer geworden."

Dieses Jahr hatte Kristian Saupe auch im Frühling ein Absatz-Hoch. Eigentlich untypisch. Corona hat das gemacht, denkt er. Die Gaststätten waren geschlossen, bummeln gehen fiel aus. "Die Leute haben wieder mehr zu Hause gekocht." Und jetzt, im zweiten Lockdown? Gut möglich, dass die Nachfrage noch einmal deutlich ansteigt, denkt er. "Ich bin gespannt."

Große Jagdgesellschaften sind derzeit tabu bei Sachsenforst: Kerstin Rödiger vom Forstbezirk Neustadt zeigt die Beute der kleinen Jagd im Liebethaler Wald.
Große Jagdgesellschaften sind derzeit tabu bei Sachsenforst: Kerstin Rödiger vom Forstbezirk Neustadt zeigt die Beute der kleinen Jagd im Liebethaler Wald. © Steffen Unger

Seine Tiere bezieht der Händler zu etwa neunzig Prozent vom Sachsenforst. Anfang November ist der Staatsbetrieb in die Phase der Gesellschaftsjagden gestartet. Nur: Große Gesellschaften wird es dieses Mal nicht geben. Auch das eine Folge des Virus, mit unklarer Auswirkung auf Wildhändler Saupes Kühlzelle. Wenn die Jagden nicht im großen Stil laufen, so befürchtet er, könnte es vielleicht Probleme geben mit dem Nachschub.

Der Sachsenforst vermarktet jährlich im Schnitt etwa vierhundert Tonnen Wildbret. Um Wild zu erlegen, gilt die Drückjagd als effektivstes Mittel. Im zunehmend dichteren Unterholz der im Umbau begriffenen Wälder kann der einzelne Schütze seine Beute kaum mehr sehen. Stapft aber eine Treiberkette durchs Gelände, werden die Tiere zur Aufgabe ihrer Deckung gezwungen und laufen vor die Gewehre der Jäger, die in Reihe auf ihren Kanzeln warten.

Belgier und Holländer bleiben daheim

Deutlich über zweihundert größere Drückjagden veranstaltet der Staatsbetrieb in den Herbst- und Wintermonaten sachsenweit. Für gewöhnlich sind zahlreiche Jagdgäste dabei. Sogar aus dem Ausland. Im Forstbezirk Neustadt etwa gehen auch Belgier und Holländer zu Jagd, weil es bei ihnen daheim wenig Wald und Wild gibt und die Jagdregeln strenger sind. Unter den Treibern wiederum sind oft einheimische Freiwillige, die das Naturerlebnis und den anschließenden Schlag Gulasch schätzen.

Geselliges Besprechen der Jagderfolge fällt aus: Auch dieses Reh aus dem Liebethaler Wald wird ohne Umschweife in die Kühlzelle transportiert.
Geselliges Besprechen der Jagderfolge fällt aus: Auch dieses Reh aus dem Liebethaler Wald wird ohne Umschweife in die Kühlzelle transportiert. © Steffen Unger

Doch bis auf Weiteres gibt es keine Gäste mehr bei den Jagden. Infektionsschutz und Kontaktvermeidung sind dieses Jahr "eine neue, übergeordnete Zielstellung", sagt Sachsenforst-Sprecher Renke Coordes am Betriebssitz in Pirna-Graupa. Nur noch Forstbedienstete sowie ganzjährig im Staatswald jagende örtliche Privatleute dürfen bei den Drückjagden schießen. Auch der Treiber-Einsatz ist limitiert. Im Regelfall kommen nur Betriebsangehörige in Betracht.

Weniger Beute als sonst erwartet

Weniger Jäger, weniger Treiber, kleinere Jagdgebiete: Wird auch die Menge des erlegten Wildes schrumpfen? Sachsenforst-Sprecher Coordes erwartet das jedenfalls. "Der Jagderfolg wird derzeit bewusst der Zielstellung einer Eindämmung der Corona-Pandemie untergeordnet." Man arbeite aber intensiv daran, den Rückgang möglichst gering zu halten, etwa, indem noch mehr kleinere Jagden abgehalten würden. So wird der Forstbezirk Neustadt statt gut zwanzig am Ende wohl um die fünfzig Drückjagden durchführen. Endlos ausdehnen ließe sich das aber nicht, sagt Coordes. Schließlich seien auch "die Aufgabenstellungen außerhalb des Jagdgeschäfts" zu erledigen.

Der Liebethaler Wald nördlich von Pirna. Hier hat Revierförster Michael Blaß soeben eine der ersten Drückjagden unter Corona-Bedingungen im Landkreis abgehalten. Sein Fazit? "Die Hygienemaßnahmen haben wir erfolgreich umgesetzt", sagt er. "Jagdlich waren wir weniger erfolgreich." Drei Rehe sind die magere Ausbeute des Vormittags. Zwanzig Schützen waren dafür auf den Beinen. Mehr, so hat es der Forstbezirk Neustadt für sich entschieden, sollen es während der Pandemie nicht sein.

So ging Jagd noch vor einem Jahr: "Verblasen" des aufgereihten Wildes mittels Hornsignalen nahe Hirschsprung.
So ging Jagd noch vor einem Jahr: "Verblasen" des aufgereihten Wildes mittels Hornsignalen nahe Hirschsprung. © Egbert Kamprath

Eigentlich hätte Förster Blaß heute die große Jagd am Borsberg angeführt, mit fünfzig Schützen, davon etwa zwanzig Gäste. Fast 300 Hektar Fläche wären durchkämmt worden. Mit den aktuellen Beschränkungen unmöglich. Da hat er Liebethal vorgezogen. Eine kleine Jagd. Dennoch. Acht Rehe und vielleicht ein Wildschwein hätte er sich schon erhofft nach den bisherigen Erfahrungen. Aber das ist Jagd, sagt er. Keine ist wie die andere.

Vorfreude auf den Inhalt der Kühltruhe

Was Förster Blaß momentan fehlt, ist nicht nur die Strecke eines groß angelegten Treibens. Es ist auch die Geselligkeit, der soziale Austausch. Die Schützen treffen sich, voneinander abgeschieden, in Kleingruppen, und gehen, sobald die Jagd vorbei ist, wieder heim. Die Zusammenkunft der ganzen Gesellschaft gibt es nicht, auch kein Zusammenstehen am Schwedenfeuer, keine Schüssel mit Gulaschsuppe.

"Hörnerklang im Wald, das hat Charme", sagt Förster Blaß. Aber Hörner gibt es auch nicht. Da muss man eben durch, sagt er. "Entweder wir jagen jetzt so, oder wir jagen gar nicht." Die Jagd einstellen ist keine Option. Nicht für den Wald, und auch nicht für Wildliebhaber wie Michael Blaß. Er kauft, was er selbst schießt, hat eine Beziehung dazu, beim Aufbrechen, Zerlegen, Einfrosten. "Da tropft dir der Zahn und du freust dich schon drauf, wenn du die Tiefkühltruhe wieder aufmachst."

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