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Merkel: Fackel-Protest ist "Angriff auf Demokratie"

Vor dem Haus von Gesundheitsministerin Köpping sind Menschen mit Fackeln aufgezogen. Auch die Bundesregierung hat sich zu dem Vorfall geäußert.

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Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping will sich nach dem Aufzug mit Fackeln vor ihrem Haus nicht einschüchtern lassen.
Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping will sich nach dem Aufzug mit Fackeln vor ihrem Haus nicht einschüchtern lassen. © dpa/Matthias Rietschel

Grimma. Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Fackelaufmarsch von Gegnern der Corona-Politik vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping auf das Schärfste verurteilt. "Dazu muss man sehr klar sein: Was da geschehen ist vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin, dieser Aufmarsch, ist zutiefst empörend", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. "Das ist nicht nur ein Angriff auf die Privatsphäre von Frau Köpping, der Ministerin, es ist auch ein Angriff auf die Demokratie."

Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping hatte sich zuvor bereits für die Solidarität bedankt. "Das tut mir und meiner Familie sehr gut", schrieb die 63-Jährige bereits am Sonntag in einem Instagram-Beitrag.

Sie erinnerte auch daran, dass viele Ärzte und auch das Personal in Impfzentren ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt sind. Sie, wie auch politische Verantwortungsträger, müssten besser geschützt werden.

Vor allem am zweiten Advent sage sie bewusst, so Köpping: "Lasst uns ruig und besonnen, aber eben auch wachsam und solidarisch bleiben. Dazu gehört jetzt eben auch: Abstand halten und impfen gehen.

"Fackel-Proteste sind widerwärtig und unanständig"

Nach Polizei-Angaben versammelten sich am Freitag etwa 30 Menschen laut rufend mit Fackeln und Plakaten vor dem Haus in Grimma. Als die Polizei eintraf, seien die Menschen in mehreren Fahrzeugen geflüchtet. 15 Autos wurden demnach von der Polizei angehalten, die Identitäten von 25 Menschen wurden festgestellt.

Die Polizei erstattete Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und prüft Verstöße gegen die Corona-Verordnung. Wegen der dramatischen Pandemie-Lage sind gemäß der sächsischen Corona-Notfallverordnung in dem Bundesland derzeit nur Versammlungen mit höchstens zehn Menschen erlaubt - und nur an einem festen Ort.

Köpping hatte die Fackel-Demonstration vor ihrem Privathaus scharf verurteilt. Sachliche Kritik an den Corona-Maßnahmen sei völlig legitim, sagte sie am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. "Ich bin immer gesprächsbereit. Fackel-Proteste vor meinem Haus aber sind widerwärtig und unanständig." Sachsens Regierungssprecher Ralph Schreiber teilte zu der Fackel-Demonstration mit: "Die Staatsregierung sieht darin eine Grenzüberschreitung mit dem Ziel, Verantwortungsträger einzuschüchtern. Als Konsequenz werden die Schutzmaßnahmen für Amtsträger und ihre Familien weiter erhöht."

Petra Köpping spricht von organisierten Einschüchterungsversuchen

Köpping sagte, sie wisse, dass das keine Proteste seien, sondern organisierte Einschüchterungsversuche von Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubigen, die leider viel zu oft vorkämen - vor Arztpraxen, an Impfzentren und Krankenhäusern, gegenüber Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und anderen engagierten Menschen. Nicht selten endeten solche Einschüchterungsversuche gewalttätig. Das sei gefährlich für jeden Einzelnen und für den Zusammenhalt. "Ich danke für die vielen unterstützenden Schreiben und Anrufe und werde mich von den permanenten Pöbeleien und Attacken auch weiterhin nicht einschüchtern lassen", sagte Köpping. Es gehe bei der derzeit notwendigen Bekämpfung der Corona-Pandemie um Menschenleben.

Am Nachmittag verurteilte auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) den Fackel-Protest. "Wir treten allen Kräften entgegen, die einschüchtern wollen. Petra Köpping hat meine volle Unterstützung und Solidarität" schrieb er. Was ihr passierte, gehe alle Sachsen etwas an. Kretschmer verwies darauf, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Grundlage der Freiheit und des Wohlstands aller Menschen nicht nur im Freistaat seien.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte zu den Fackel-Protesten beim Grünen-Landesparteitag in Heidenheim in Erinnerung an die Kampforganisation der NSDAP: "Das sind Methoden, die hat die SA erfunden."

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verurteilte die Proteste vor Köppings Wohnhaus scharf. "Was wir da in der Nähe von Grimma gesehen haben, ist kein legitimer Protest", sagte Seehofer der "Bild am Sonntag". "Dieser Fackelumzug ist organisierte Einschüchterung einer staatlichen Repräsentantin. Das erinnert mich an die dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte." Er sei sich sicher, dass die sächsischen Behörden das Geschehen nach diesem Maßstab bewerteten und angemessen Konsequenzen zögen.

Innenminister Wöller: Schnelle Ahndung des Protestes

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hat nach dem Fackel-Protest vor dem Haus seiner Kabinettskollegin Petra Köpping (SPD) ein "klares und schnelles Signal des Rechtsstaats" gefordert. "Es kommt jetzt auch darauf an, dass wir mit der Staatsanwaltschaft eine Verfahrensweise finden, um begangene Verstöße schnell zu ahnden", sagte er am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Ihm fehle jedes Verständnis, wenn Amts- und Verantwortungsträger und deren Familien in ihrem privaten Raum bedroht würden. "Es ist unfassbar, wie hemmungslos Hass und Hetze verbreitet werden." Diese Grenzüberschreitung sei auch der Versuch, die freiheitliche Demokratie zu delegitimieren. Es brauche in der Gesellschaft mehr Zivilcourage. "Gerade in einer solchen Krise brauchen wir gemeinsame Werte und Zusammenhalt."

Wöller war selber in die Kritik geraten, weil die Polizei bei Protesten von Corona-Gegnern nach Meinung etwa von Linken und SPD nicht hart genug durchgegriffen hatte. Die sächsische Corona-Verordnung erlaubt wegen der Infektionslage nur ortsfeste Versammlungen mit bis zu zehn Teilnehmern.

"Die Aktion der Querdenker am Freitagabend vor dem Privathaus von Petra Köpping ist unwürdig, abscheulich und absolut nicht tolerierbar. Es ist ein ekelhafter Einschüchterungsversuch. Der Schritt zur Gewalt ist da nur noch ein sehr kleiner. Das ist niemals zu akzeptieren", sagt Henning Homann, Co-Vorsitzender der SPD Sachsen. "Seit Monaten fordert die SPD in der Regierung stärkere Kontrollen, ein konsequenteres Vorgehen gegen Querdenker. Seit Wochen fordern wir mehr Sicherheit für die Mitarbeiter von Impfzentren und Gesundheitsministerin Petra Köpping. Das muss der Rechtsstaat durchsetzen", so Homann.

Die SPD Sachsen sowie die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verurteilten den Protest vor Köppings Haus. Esken schrieb auf Twitter: "Auch wenn die paar Hansel da versuchen, Angst und Schrecken zu verbreiten: die Vernunftbegabten und Verantwortungsbereiten sind die große Mehrheit, und die steht an Deiner Seite!"

Sachsens Regierungssprecher Ralph Schreiber teilte mit, dass die Staatsregierung darin eine Grenzüberschreitung mit dem Ziel sehe, Verantwortungsträger einzuschüchtern. "Als Konsequenz werden die Schutzmaßnahmen für Amtsträger und ihre Familien weiter erhöht."

Walter-Borjans twitterte am Samstagmorgen: "Was sich gestern vor dem Haus von Petra @Koepping zugetragen hat, hat mit mit Sorge und Freiheitsdrang nichts zu tun. Das ist in Art und Auftritt faschistoid." Weiter schrieb er: "Spätestens jetzt müssen auch alle, in deren Namen dieser Mob zu handeln behauptet, sich klar gegen die abgrenzen, die an den Grundfesten unserer Demokratie rütteln. Es sind schon lange nicht mehr die Anfänge, derer wir uns erwehren müssen."

Sachsens Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (Bündnis 90/Grüne) reagierte empört auf den Protest. „Das ist ein weiterer Tabubruch, ermuntert auch dadurch, dass Schwurbler zu oft ungehindert durch sächsische Städte ziehen konnten." Coronaleugner und die Rechtsextremisten an deren Seite würden immer dreister und würden sich radikalisieren, sagte Günther in einer Mitteilung am Samstag. Ich erwarte hier eine deutliche und ganz klare Priorisierung durch das Innenministerium. Ich erwarte den Schutz von Menschen, die hart für die Überwindung der Pandemie arbeiten, und die konsequente Durchsetzung von Coronaschutzmaßnahmen."

Der Kreisverband der Dresdner CDU reagierte schockiert über die Ausschreitungen und Anfeindungen gegen die sächsische Gesundheitsministern. Das vor Ort gezeigte Verhalten stelle eine Grenzüberschreitung dar und sei in der offensichtlichen Aggressivität nicht zu akzeptieren. CDU Kreisvorsitzender Markus Reichel sagte: „ Die sogenannten Fackelproteste sind verabscheuungswürdig und nicht zu tolerieren. Wir erklären unsere volle Solidarität mit Frau Köpping“.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil verurteilte die Fackel-Demonstration ebenfalls scharf. Die Grenzen der Meinungsfreiheit seien hier überschritten worden, sagte er am Samstag auf einem Parteitag in Berlin. Es könne nicht sein, dass Politiker bedroht würden und sich "rechte Verschwörer und Schwurbler" mit Fackeln vor dem Haus einer Ministerin versammelten. "Das braucht eine Antwort in der vollen Härte des Rechtsstaats, es braucht einen Widerspruch der Anständigen in diesem Land", betonte Klingbeil. Köpping versicherte er: "Wir stehen alle an deiner Seite."

Auch die Jusos Sachsen solidarisierten sich mit Petra Köpping. Tony Marggraf, Vize-Landesvorsitzender der Jusos Sachsen sagte: “Wieder zeigt sich die Gefahr durch die Querdenker*innen! Über Corona-Maßnahmen zu diskutieren ist das Eine. Jedoch demokratisch gewählte Menschen zu bedrohen, welche durch ihre Entscheidungen versuchen, uns alle aus der Corona-Krise zu bringen, ist widerlich." Mit dieser Aktion zeige sich das wahre Gesicht der Querdenken-Bewegung. "In ihrem Kern ist sie durch und durch antidemokratisch und rechtsradikal."

Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla hat die Proteste kritisiert. "Friedlicher Protest gegen einen Impfzwang ist ein Grundrecht. Der Schutz der Privatsphäre auch!", schrieb der Görlitzer Bundestagsabgeordnete am Samstag auf Twitter. "Der Fackelmarsch vor dem Haus von Petra Koepping ist unbedingt zu verurteilen."

Auch vor dem Haus von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatten sich schon Corona-Gegner versammelt. Sein Zweitwohnsitz war am 10. Januar 2021 in die Schlagzeilen geraten, als Kritiker der Corona-Maßnahmen das Umgebindehaus des MP aufsuchten. (dpa)