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RKI-Chef: "Wir steuern auf Höhepunkt der Pandemie zu"

In der Corona-Pandemie stecken sich in Deutschland jetzt Tag für Tag Zigtausende an. Ist die Situation noch im Griff?

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RKI-Chef Lothar Wieler und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geben Auskunft über das Pandemiegeschehen.
RKI-Chef Lothar Wieler und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geben Auskunft über das Pandemiegeschehen. © dpa/Wolfgang Kumm

Berlin. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht die Corona-Lage trotz drastisch gestiegener Infektionszahlen nicht aus dem Ruder laufen, pocht aber weiter auf Alltagsbeschränkungen. "Wir haben derzeit die Omikron-Welle in Deutschland gut in der Kontrolle", sagte der SPD-Politiker am Freitag. Der Zenit sei aber noch nicht überschritten. Ziel bleibe es, die Folgen zu minimieren und Millionen ungeimpfte ältere Menschen zu schützen. Eine "Lockerungsperspektive" könnte es dann für die zweite Februarhälfte oder Anfang März geben. Die Infektionswelle kommt zusehends auch in den Krankenhäusern an.

"Mit den hohen Fallzahlen hatten wir gerechnet", sagte Lauterbach. Er bekräftigte, dass sie nach Modellrechnungen noch weiter bis auf 400.000 pro Tag steigen könnten. Das Ziel sei aber bisher erreicht worden, mit so wenig schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen durchzukommen. Die Sieben-Tage-Inzidenzen lägen jetzt im Schnitt bei 1.000, bei Jüngeren teils bei 2.000, in der Risikogruppe der Älteren, auf die es besonders ankomme, aber zwischen 200 und 300. "Das ist unser Erfolg." Dies gelinge durch die bestehenden Alltagsauflagen und Zugangsregeln wie 3G, 2G und 2G plus. "Das werden wir weiter machen."

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sagte: "Die Fallzahlen steigen weiter massiv an, aber tatsächlich steigen sie bei weitem nicht so heftig, wie es unter Omikron möglich wäre." Das liege auch daran, dass sich die meisten verantwortungsvoll an Pandemie-Regeln hielten. "Wir gewinnen tatsächlich mit jedem Tag Zeit, an dem sich viele weitere Menschen impfen lassen können." Man dürfe aber nicht vergessen, dass Deutschland auf einen Höhepunkt der Pandemie zusteuere. In den vergangenen sieben Tagen hätten sich rund 890.000 Menschen infiziert - das sei ein Prozent der Bevölkerung.

Die Sieben-Tage-Inzidenz der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner stieg laut RKI auf den Höchstwert von 1.073,0 nach 1.017,4 am Vortag und 706,3 vor einer Woche. Die regionale Spanne reicht von 402,2 in Thüringen bis 1829,4 in Berlin. Die Gesundheitsämter meldeten 190 148 neue Fälle innerhalb eines Tages. Dabei dominiert die ansteckender Omikron-Variante klar: In Meldedaten der Länder betrug der Anteil laut RKI in der vergangenen Woche 96 Prozent.

Deutlicher "Omikron-Effekt" auf Intensivstationen

Der Mediziner Christian Karagiannidis beobachtet mittlerweile auf den Intensivstationen einen deutlichen "Omikron-Effekt". Zwar sei die Hospitalisierungsrate noch "akzeptabel", die hohen Inzidenzen zeigten sich aber vermehrt auch in den Kliniken, sagte der wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters. Seit sieben bis zehn Tagen gebe es eine "Seitwärtsbewegung bei den Neuaufnahmen, hin zu einem Trend, dass es jetzt wieder leicht hochgeht". Er warnte zudem: "Wir sollten nicht vergessen, dass Covid keine reine Lungenerkrankung ist, sondern eine Systemerkrankung, die insbesondere auch die Gefäße betrifft."

Lauterbach verwies auf das "Sonderproblem" Deutschlands mit einer im Schnitt sehr alten Bevölkerung und einem hohen Anteil Ungeimpfter in der gefährdeten Gruppe der Menschen ab 60 Jahre. Er rief dazu auf, Auffrischimpfungen wahrzunehmen und nicht auf Mittel zu warten, die an Omikron angepasst seien. Das Sterberisiko sinke mit den jetzigen Impfstoffen um 99 Prozent im Vergleich dazu, wenn man ungeimpft ist. Das "Booster"-Tempo sei etwas zurückgegangen. Dies sei aber keine Überraschung, da besonders Überzeugte zuerst gekommen seien. Manchen seien auch fälschlicherweise der Meinung, dass Booster wegen der als etwas harmloser geltenden Omikron-Variante nicht nötig seien.

Lauterbach wandte sich gegen Lockerungen von Corona-Auflagen in der aktuellen Lage und sagte, er bleibe bei dem "konservativen Kurs". Wenn ein Gericht eine Regel kassiere oder ein Land sich mit Öffnungen profiliere, müsse er damit leben. "Ich begrüße die Lockerungen nicht." Auch wenn Nachbarländer wie Dänemark gerade anders vorgehen, sei das dort so. "Aber das sind nicht wir." Auch mit Blick auf die Schulen sagte er: "Je besser wir die Welle in der Gänze begrenzen, desto schneller und besser kommen wir auch für die Kinder durch."

FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte eine rasche Diskussion über Lockerungen. "Wir müssen auf jeden Fall jetzt schon anfangen, über Öffnungsperspektiven zu sprechen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). Bund und Länder hatten am Montag beschlossen, dass die bestehenden Beschränkungen generell bleiben sollen. Die nächste Beratung mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist am 16. Februar. Einige Länder haben aber bereits Öffnungen ins Auge gefasst.

RKI-Chef Wieler erläuterte, in dieser Phase sei die reine Fallzahl nicht mehr entscheidend. "Wir müssen jetzt in erster Linie auf die Krankheitslast und die Krankheitsschwere schauen." Konkret weist das RKI seit kurzem Schätzungen zu Infizierten mit Covid-19-Symptomen verschiedener Schwere aus. So liegen Schätzwerte zu Fällen auch unter der Schwelle von Krankenhausaufnahmen vor, etwa die Häufigkeit von Arztbesuchen: In der Woche bis 23. Januar waren es 280 pro 100.000 Einwohner nach 178 in der Vorwoche. Für die dritte Woche des Jahres wurde geschätzt, dass 1,3 bis 2,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 14 Jahre und 0,6 bis 1,3 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren an Covid-19 mit Symptomen einer akuten Atemwegserkrankung erkrankte. (dpa)