Viel mehr Corona-Fälle in Dresden als gemeldet

Dresden. Das Corona-Chaos in Dresden hat ein neues Level erreicht. Die Zahl der Infizierten mit dem Virus liegt deutlich höher, als die Stadt es meldet. Das Gesundheitsamt ist nicht mehr in der Lage, die korrekte Infizierten-Anzahl anzugeben, das bestätigte jetzt Gesundheitsamtsleiter Frank Bauer auf SZ-Anfrage.
Dresden hat viel höhere Fallzahlen als auf der offiziellen Internetseite der Stadt angegeben und dem Robert-Koch-Institut und der Landesuntersuchungsanstalt gemeldet werden. Das Gesundheitsamt kommt also nun weder mit der Kontaktnachverfolgung hinterher, noch kann es die korrekte Anzahl der bekannten Infizierten tagesaktuell erfassen und weitergeben.
"Die Kontaktnachverfolgung kann nur bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 betrieben werden", erläutert Gesundheitsamtschef Bauer. "Darauf haben wir bereits mehrfach hingewiesen. Bei dem aktuell gegebenen Infektionsgeschehen mit einer deutlich höheren Inzidenz ist die Kontaktnachverfolgung, die der Aufdeckung von Infektionsquellen dient, nicht mehr leistbar. Infektionsketten können bei dieser Zirkulation in der Bevölkerung nicht mehr nachvollzogen werden."
Zusätzliche Probleme
Das ist soweit seit einer Weile bekannt. Aber es kommt noch drastischer. Denn auch die Anzahl der bekannten Corona-Infektionen kann nicht mehr korrekt abgebildet werden. "Auch die Erfassung der eingehenden Fallmeldungen war und ist durch technische und personelle Probleme leider erschwert", so Bauer weiter. "Daher kommt es zu einem Verzug bei der Erfassung und letztlich auch Weitermeldung der PCR-bestätigten Infektionen."
Dadurch kommt es offiziell zu Schwankungen bei den Fallzahlen und dem Absinken der offiziellen Inzidenz, tatsächlich sind die Zahlen aber viel höher und steigen stetig. "Gegenwärtig beträgt der Meldeverzug bis zu fünf Tage", erläutert Bauer.
Dabei bekomme das Gesundheitsamt permanent weitere Mitarbeiter. "Personal wird unterdessen beinahe täglich zugesteuert, jedoch braucht es Einarbeitung und fachliche Begleitung", sagt Bauer. "Mit dieser Personalzusteuerung soll unter anderem der Meldeverzug aufgeholt werden. Gleichsam bleibt der Engpass bestehen, positiv getestete Personen zeitnah zu kontaktieren."
Das Amt versuche, durch die Internetpräsenz die wichtigsten Informationen an die Hand zu geben. "Die Allgemeinverfügung Absonderung beschreibt den Rahmen", sagt Bauer.
Heftige Kritik an OB Hilbert
Für Linke-Fraktionschef André Schollbach sei viel zu spät auf die Personalprobleme reagiert worden. Die neueste Entwicklung sei ein weiterer Skandal: "Die Bekämpfung der Pandemie und die Rettung von Menschenleben muss höchste Priorität haben. Im vergangenen Jahr wurden umfangreiche Erfahrungen zu der dafür nötigen Personalausstattung des Gesundheitsamtes gesammelt."
Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) müsse nun unverzüglich handeln. "Wenn nun nicht nur zu wenig Personal zur Verfügung steht, um Kontakte nachzuverfolgen, sondern sogar, um die gemeldeten Infektionen korrekt erfassen zu können, stellt dies ein schwerwiegendes Versagen des Oberbürgermeisters dar", so Schollbach. "Als Chef der Verwaltung ist er für deren ordnungsgemäße Organisation verantwortlich. Wir haben es hier mit Organisationsversagen zu tun." SPD-Stadtrat Richard Kaniewski hatte schon gefordert: "Die Stadtverwaltung muss dringend umsteuern. Alle verfügbaren Kräfte müssen jetzt im Gesundheitsamt eingesetzt werden." Die Grünen sagten letzte Woche: "Wir haben Inzidenzen erreicht, bei denen eine konsequente Kontaktnachverfolgung durch das Gesundheitsamt offensichtlich nicht mehr leistbar ist", sagen die Fraktionsvorsitzenden der Grünen Agnes Scharnetzky und Christiane Filius-Jehne. "Wir appellieren darum an die Verwaltung, die hohen Ressourcen, die bislang in die Kontaktnachverfolgung geflossen sind, in konsequente Kontrollen der Coronaschutzmaßnahmen zu investieren." Auch CDU-Fraktionschef Peter Krüger war entsetzt: "Ich erwarte, dass der Oberbürgermeister endlich seinen Job macht."
"Der Freistaat muss eine Impfkampagne ermöglichen"
Rathaussprecher Kai Schulz betont, dass Bauer bereits gesagt habe, dass nahezu täglich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der gesamten Stadtverwaltung dem Gesundheitsamt zugeführt werden. "Fakt ist aber auch, dass es schlichtweg nicht möglich ist bei exponentiell wachsenden Fallzahlen gleichzeitig Personal exponentiell bereitzustellen. Das Problem, dass nicht mehr alle eingehenden Fälle taggleich ins System eingearbeitet werden können, betrifft nicht nur die Stadt Dresden sondern viele Städte und Landkreise", so Schulz.
Innerhalb der Stadtverwaltung seien in den vergangenen Monaten fast 350 Personen und noch einmal 105 externe Käfte wie von der Bundeswehr in der entsprechenden Software geschult worden. "Der Oberbürgermeister hat festgelegt, dass diese Kolleginnen und Kollegen jederzeit und ohne Zustimmung des abzugebenden Bereiches ins Gesundheitsamt abgeordnet werden können", erklärt Schulz. "Fakt ist aber auch, dass die Stadtverwaltung nicht von der aktuellen Corona-Welle verschont bleibt und somit auch bei uns Personal durch Krankheit, Quarantäne oder Kinderbetreuung wegen geschlossener Kitas und Schulen fehlt."
Deshalb wäre es "ein richtiger Schritt", wenn die Kommunen wieder auf die Landesbediensteten setzen könnten, die bereits in den kommunalen Gesundheitsämtern gearbeitet haben. "Dies wurde leider bisher vom Freistaat abschlägig beschieden", erläutert Schulz. "Es ist bedauerlich, dass aus dem Stadtrat heraus so getan wird, dass mit ein bisschen Organisation und viel Personal die Lage bei der Kontaktnachverfolgung und Fallerfassung in den Griff zu bekommen wäre. Die Situation ist wesentlich komplexer und kann mittelfristig und letztendlich nur darüber gelöst werden, dass der Freistaat endlich eine Impfkampagne ermöglicht und die langen Schlangen vor den Impfteams ein Ende haben."