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"1.000 Mitarbeiter und kein Betriebsrat - ein Unding"

Uwe Garbe ist in Ostsachsen der neue Mann an der Spitze der IG Metall. Er sagt, was die Gewerkschaft in der nächsten Zeit vorhat und was hier anders ist als in Berlin.

Von Tilo Berger
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Uwe Garbe ist seit wenigen Tagen Erster Bevollmächtigter der IG Metall für Ostsachen. Mit Sächsische.de hat er darüber gesprochen, wie die Gewerkschaft in der Region in den nächsten Jahren agieren will.
Uwe Garbe ist seit wenigen Tagen Erster Bevollmächtigter der IG Metall für Ostsachen. Mit Sächsische.de hat er darüber gesprochen, wie die Gewerkschaft in der Region in den nächsten Jahren agieren will. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Der 52-jährige Uwe Garbe ist seit wenigen Tagen der neue Erste Bevollmächtigte der Industriegewerkschaft Metall für die Landkreise Bautzen und Görlitz sowie den Raum Sebnitz. Er trat die Nachfolge von Jan Otto an, der in gleicher Funktion in seine Geburtsstadt Berlin zurückkehrte. Im Gespräch mit Sächsische.de erklärt Garbe, welche Aufgaben die IG Metall in Ostsachsen als nächste angehen will.

Herr Garbe, was haben Sie gemacht, bevor Sie erster Mann der IG Metall für Ostsachsen wurden?

Ich stamme wie mein Vorgänger Jan Otto aus Berlin, bin gelernter Werkzeugmacher und seit meiner Jugend Mitglied der IG Metall. Vor rund zehn Jahren kam ich in die Oberlausitz und arbeitete in der hiesigen Geschäftsstelle der Gewerkschaft bei der Erschließung von Betrieben.

Erschließung von Betrieben - was heißt das?

Das heißt, wir gehen in Firmen, die noch keinen Betriebsrat oder Tarifvertrag haben. Und versuchen, den Mitarbeitern genau dabei zu helfen, wenn sie es wollen. Da hat in den vergangenen Jahren in Ostsachsen ein Mentalitätswechsel eingesetzt. Früher waren die Menschen hier froh, überhaupt Arbeit zu haben, egal zu welchen Bedingungen. Und wer hier keine Arbeit fand, hat in der Regel die Region verlassen. Jetzt steht für die meisten Beschäftigten im Vordergrund, hier bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen, statt wegzuziehen. Und immer mehr Arbeitgeber erkennen, dass das auch ein Standortfaktor ist: Wer wählen kann, wo er arbeitet, entscheidet sich für das bessere Angebot. Und das kann durchaus in Ostsachsen sein.

Wie drückt sich diese neue Mentalität aus?

Wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr mit der Geschäftsführung des Textilunternehmens Ontex in Großpostwitz einen zukunftsweisenden Tarifvertrag abgeschlossen, der außer einer besseren Bezahlung auch die Sicherung des Standortes und Investitionen festschreibt. Bei Maja-Möbel in Wittichenau haben wir einen Tarifvertrag zur schrittweisen Angleichung ans Westniveau erreicht. Der Wohnmobil-Hersteller Capron in Neustadt bei Sebnitz hat jetzt einen Betriebsrat - vorher eigentlich ein Unding, dass ein Betrieb mit fast 1.000 Mitarbeitern keinen Betriebsrat hatte. Und dann haben wir natürlich in Kamenz einen Leuchtturm ...

"Manche Dinge kannte ich aus Berlin gar nicht"

Sie meinen die Deutsche Accumotive?

Genau, die Daimler-Tochter Accumotive. Dort haben die Mitarbeiter gesagt, wir sehen nicht länger ein, warum wir deutlich weniger Geld verdienen als etwa unsere Kollegen in Stuttgart. Daraufhin haben wir mit der Geschäftsführung einen Tarifvertrag aushandeln können. Aber das ist eben die neue Mentalität: Immer mehr Belegschaften wollen die Zukunft ihrer Unternehmen mitgestalten und mitbestimmen, und sie lassen sich nicht mehr mit Billiglöhnen abspeisen. Das war vor zehn Jahren noch anders, und manche Dinge kannte ich aus Berlin auch gar nicht, wie sie hier Alltag waren.

Welche zum Beispiel?

In Berlin sind Betriebsräte etwas ganz Normales. Hier mussten und müssen wir manchen Unternehmer erst davon überzeugen, dass betriebliche Mitbestimmung auch ihm hilft, dass motivierte Mitarbeiter mehr leisten - und diese Motivation nicht aus Angst vorm Jobverlust bestehen darf. Nun gibt es in Ostsachsen sehr viel mehr kleine und mittelständische Betriebe als etwa in Berlin. Hier ist nicht jeder Inhaber gleich begeistert, einen Betriebsrat zu bekommen - aber dafür sprechen wir ja mit den Chefs, wenn die Mitarbeiter das wünschen. Die Oberlausitz hatte mal die rote Laterne nicht nur bei den Löhnen, sondern auch bei der Mitbestimmung. Aber da ist einiges in Gang gekommen.

"Wir wollen weiter Strukturpolitik betreiben"

Welche Schwerpunkte setzen Sie für die nächsten Monate und Jahre?

Zunächst wollen wir weiter mehr betriebliche Mitbestimmung und gute Tarifverträge erreichen. Die Chancen dafür stehen gut, denn die Erfolge auf diesem Gebiet sprechen sich natürlich herum, und mit jedem Erfolg werden mehr Menschen selbstbewusster. Das zeigt sich an der Mitgliederzahl der IG Metall. Und wir wollen weiter Strukturpolitik betreiben, bei der Entwicklung der Region nicht Zuschauer sein.

Wie meinen Sie das?

Die Industrie befindet sich ja im Umbruch. Nehmen wir die Fahrzeugbranche, da gewinnen Elektroautos mehr Marktanteile. Das heißt aber auch, dass Batterien sich abnutzen und irgendwann nicht mehr für Fahrzeuge taugen - aber vielleicht noch als stationäre Stromspeicher. Hier ergäbe sich für Kamenz mit der Accumotive vielleicht ein neues Geschäftsfeld, und das zu erkennen und aufzubauen, wollen wir als IG Metall unterstützen. Wir haben ja auch den Übergang des Waggonbaus von Bombardier zu Alstom konstruktiv begleitet und haben jetzt ein Auge darauf, wie die neuen Inhaber aus Frankreich die Werke in Bautzen und Görlitz entwickeln wollen.

"Unser nächstes Ziel sind 12.000 Mitglieder"

Wie hat sich die Mitgliederzahl der IG Metall entwickelt?

Noch vor fünf Jahren zählten wir in den Landkreisen Bautzen und Görlitz sowie im Raum Sebnitz etwa 8.000 Mitglieder, von denen viele schon im Ruhestand waren. Jetzt sind es mehr als 10.000, und die Mehrzahl von ihnen arbeitet in den Betrieben. Unser nächstes Ziel sind 12.000 Mitglieder, und ich denke, bei einer Beschäftigtenzahl von rund 42.000 in den von uns vertretenen Branchen ist das realistisch.

Die Oberlausitz und der Raum Sebnitz liegen in einer Grenzregion. Wie wirkt sich das auf die Arbeit der IG Metall aus?

Sehr spürbar. Bei Schuhhersteller Birkenstock in Görlitz sind etwa drei Viertel der Beschäftigten Polen. Das widerspiegelt sich auch im Betriebsrat, den wir dort gründen konnten: Rund 75 Prozent der Mitglieder sind Polen. Unsere Informationsmaterialien dort legen wir zweisprachig aus. Die Geschäftsführung macht das auch so. Bei Maja-Möbel ist es ähnlich, auch dort arbeiten viele Polen. Bei Capron in Neustadt ist übrigens alles in deutsch und tschechisch abgefasst. Damit die vielen polnischen Kollegen in unserem Gebiet auch Wertschätzung spüren, wollen wir uns bemühen, mit ihnen in ihrer Muttersprache zu kommunizieren.

Sie lernen Polnisch?

Wir bemühen uns, die Sprache zu lernen, arbeiten aber auch mit Dolmetschern zusammen. Sie beherrschen auch Worte, die für die Mitbestimmung im Betrieb wichtig sind, die aber im Alltagspolnisch nicht vorkommen. Mittelfristig möchte ich gern auch einen polnisch sprechenden Kollegen in unserer Geschäftsstelle der IG Metall ansiedeln.