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Ex-Rosenstolzsängerin Anna R.: "Ich bin so verletzbar wie jede andere auch"

Anna R., die Stimme von Rosenstolz, ist wieder da! Ihr Solo-Album „König:in“ präsentiert sie am Sonntag samt Band im Dresdner Alten Schlachthof.

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Anna R. fiel einst bei der Aufnahmeprüfung an der Musikschule durch, als Sängerin des Duos Rosenstolz hatte sie dennoch zwischen 2000 und 2011 etliche Nummer-eins-Hits in Deutschland und Österreich.
Anna R. fiel einst bei der Aufnahmeprüfung an der Musikschule durch, als Sängerin des Duos Rosenstolz hatte sie dennoch zwischen 2000 und 2011 etliche Nummer-eins-Hits in Deutschland und Österreich. © Sony

Andrea Neuenhofen alias AnNa R. kam am 25. Dezember 1969 als Andrea Rosenbaum im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain zur Welt, wo sie heute wieder lebt. Die Sängerin verrät im Interview, was sie vom Gendern hält, wie es sich anfühlt, unter eigenem Namen wiederzukehren und was aus den hormongeladenen Texten vergangener Tage wurde.

Sie veröffentlichen nach drei Jahrzehnten Ihr erstes Soloalbum „König:in“. Ihre Herbst-Tournee ist ausverkauft, obwohl bislang niemand die komplette Platte hören konnte. Schnappt man mit 53 noch über, wenn die eigene Musik derartige Wertschätzung erfährt?
Das Überschnappen hielt sich bei mir bereits in jungen Jahren in argen Grenzen, denn wegen 500 verkaufter LPs schlägt das Ego keine Purzelbäume. Mit diesen Zahlen fingen wir bei Rosenstolz an. Von Jahr zu Jahr kamen mehr Leute in unsere Konzerte, beinahe jedes neue Album fand größeren Anklang als das vorherige. Das war eine gesunde Entwicklung, die Songs wurden besser, der Zuspruch nahm zu.

Und dann fiel Ihnen 2006 die anderthalb Millionen Mal verkaufte Langspielplatte „Das große Leben“ auf den Kopf, ein allzeit währender Deutschpop-Klassiker. War die Rosenstolz-Geschichte damit trotz zwei weiterer Folgealben bereits auserzählt?
Wir traten 1991 ohne Erfolgsanspruch, aber mit reichlich Elan an und legten unser Projekt 20 Jahre später in Würde auf Eis. Wir hatten das Gefühl, dem Ganzen kein weiteres Kapitel mehr zufügen zu können.

Nervt es gelegentlich, immer wieder auf Rosenstolz angesprochen zu werden?
Fragen Sie doch mal Paul McCartney, wie der das in Bezug auf die Beatles sieht! Was soll ich machen? Rosenstolz ist ein wichtiger Teil meines Künstlerlebens, aber eben nur einer. Solange man mich nicht auf diese Zeit reduziert, kann ich damit leben.

Soll „König:in“ diese Wahrnehmung korrigieren?
Daran ist mir nicht gelegen, ich fühlte mich als Teil einer Band immer am wohlsten. Seitdem allen Beteiligten das letzte Band-Projekt Gleis 8 jedoch aus den Händen glitt, trägt das Ding halt jetzt meinen Künstlernamen.

„Das Ding“ ist in Sachen Groove-Führung und Instrumentierung experimenteller als Rosenstolz und Gleis 8. Unterm Strich bleibt es aber Popmusik. Geht’s nicht anders bei Ihnen?
Ich werde aus Versehen immer Popmusik machen, obwohl ich privat lieber zu Chanson, Folk und Jazz greife. Ich bleibe wohl mein Leben lang vor allem eine Pop-Maus. Mich selbst von dieser Wolke zu vertreiben, ergibt keinen Sinn. Das würde im Krampfhaften enden.

Das sozialpolitische Gefüge auf dem Globus hat sich radikal verändert. Lässt sich Pop noch mit derselben Leichtigkeit gestalten wie vor zehn Jahren?
Natürlich fällt es auch mir schwerer, Vertrauen zu haben. Es kostet mich heute zudem regelrecht Mut, Quatsch zu machen. Alles geht scheinbar den Bach runter, darf man unter diesen Umständen überhaupt noch ausgelassen sein? Ich finde ja, man darf, aber wirklicher Quatsch findet sich auf meinem neuen Album nicht.

Stattdessen widerlegen Sie mit zwei hochpolitischen Songs die unter Pop-Fans rumorende These, nach der es angeblich keine Pop-Protestlieder mehr gibt. Zu tanzbarem Groove zerpflücken Sie im Song „Nicht meins“ die gruselig-rückwärtsgewandten Vorstellungen von nationalistisch orientierten Parolen-Dreschern Stück für Stück. Wurden Sie von den Machern der ewig erfolgsgierigen Hure Popmusikgeschäft nicht vor derart klaren Aussagen gewarnt?
Nein, solche Warnungen würden auch nichts bringen. Musikkunst darf meiner Auffassung nach nie darauf schielen, allen gefallen zu wollen. Ich verstehe nicht, was uns Parolen bringen sollen. Alle, die den polarisierenden Poltergeistern unserer Zeit widersprechen, sind angeblich Verräter. Aber was verraten wir denn? Identitäten, die längst überholt sind? Wir sind Bürger dieser Welt und jeder ist ein Mensch, egal woher er kommt. Das ist für mich alles, was zählt.

Anna R. beim Videodreh zu „"Hinter dem Mond“" vom neuen Album.
Anna R. beim Videodreh zu „"Hinter dem Mond“" vom neuen Album. © Mike Auerbach/PR

Die Plädoyers für Nächstenliebe und gesunde Selbstachtung sind auf „König:in“ unüberhörbar. Werden Ihre Texte von Ihrer sozialen Antenne oder eher von Ihren gewachsenen Lebenserfahrungen geprägt?
Vermutlich von beidem in gleichem Maße. Ich trete in meinen Texten in den Dialog mit meinen Zuhörern und letztlich auch mit mir selbst. Gerade in Anbetracht der gesellschaftspolitischen Großwetterlage hat es etwas Heilsames, Songs schreiben zu können. Auf der anderen Seite bereitet es mir bisweilen auch Angst, jetzt alleine unter eigenem Namen zurückzukehren in die öffentliche Wahrnehmung.

Wegen der Angriffsflächen, die Sie Social-Media-Nutzern mit Ihren Liedern bieten?
Nein, mir fehlt einfach die Rückendeckung, die Peter Plate oder meine Jungs von Gleis 8 und ich uns früher jeweils gegenseitig gaben.

Interessanter Aspekt. Sie werden als starke, selbstbestimmte Frau wahrgenommen, an deren Schultern selbst große Jungs Halt finden. Sieht Ihre Selbstwahrnehmung anders aus?
Ich bin so verletzbar wie jeder andere Mensch auch. Es gibt Tage, an denen ich mir am liebsten bereits nach dem Aufstehen wieder die Decke über den Kopf ziehen würde. Letztendlich gewinnt mein Optimismus allerdings beinahe immer Oberhand. Selbstkritisch bleibe ich dennoch, denn nichts ist ungesünder im Beisammensein von Menschen als Selbstgerechtigkeit. Der entspannte Ton im Dialog ist immer noch mehr Musik als schroffes Brüllen.

Ist der Gender-Titel „König:in“ eine Watsche gegen das Patriarchat?
Der Titel ist mit einem Augenzwinkern versehen. Bei jeder Gender-Schreibweise steht immer noch der Mann vor Sternchen und Doppelpunkt. Mir leuchtet nicht ein, was das mit Emanzipation zu tun hat. Schreiben Sie dieses Gespräch für Leserinnen oder für Leser?

Im besten Falle für beide.
Sehen Sie! Der gesellschaftliche Mief vergangener Zeiten lässt sich weder durchs Gendern noch durch sogenannte ‚feministische Außenpolitik‘ umkehren. Ich genieße meine Weiblichkeit, stehe aber oft rätselnd vor den Emanzipationszeichen unserer Zeit. Wir hangeln uns von einem symbolpolitisch geprägten Moment zum nächsten und vergessen dabei das wichtige Miteinander. Auch jeder Mann darf eine ‚König:in‘ sein.

Ist das Leben eins der schwersten?
Vermutlich. Mit sich selbst klarzukommen, dauert seine Zeit. Ich finde es gefährlich, eigene Probleme auf andere Menschen zu projizieren. Betrachten Sie Trump, Putin oder die sogenannte Querdenker-Szene: Schuld an der eigenen Misere sind immer die anderen. Man könnte deren Machenschaften wie folgt bezeichnen: Herzlich willkommen, Polarisierung! Jedes Leben darf nach eigenen Vorstellungen und im eigenen Tempo stattfinden. Das widerspricht dem Miteinander keineswegs.

„Auch wenn es nicht vollkommen ist, könnte es nicht schöner sein“, singen sie im Song „Die Astronautin“. Ist es befreiend, zu wissen, dass niemand das Absolute für sich pachten kann?
Auf jeden Fall. Jeder kann und darf sowohl Königin als auch Bettler sein. Niemand ist vollkommen und trotz aller Macken irgendwie perfekt, weil jeder von uns Macken hat.
Was ist aus dem Sex geworden, den Sie zu Rosenstolz-Zeiten regelmäßig thematisierten?
Das Alter, das Alter! Mit 20 sind sowohl Mädels wie Jungs überaus sexualisiert. Die straffen Brüste, die Muskeln, die Haut: Alles ist vermeintlich oder tatsächlich fantastisch. Ich habe meine Lust ausgelebt und komme gut damit zurecht, dass vieles nicht mehr da ist, wo es körperlich einst hingehörte. Es ist jetzt woanders.

Hätten Sie den sinnlichen Tiefgang, der Ihre Stimme heute prägt, mit 25 überhaupt zu Gehör bringen können?
Danke fürs Kompliment, meine Stimme ist sicher runder geworden. Aber mich selbst sinnlich finden? So eitel bin ich nicht.

Interview: Michael Loesl

Das Album: Anna R, König:in. (Ariola Local/Sony Music)
Das Konzert: Anna R. und Band, 1.10., 20 Uhr, Alter Schlachthof, Dresden (ausverkauft)