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So war das Dresdner Konzert von Ex-Rosenstolz-Sängerin Anna R.

Anna R. ist jetzt solo unterwegs, feiert in Dresden die Menschlichkeit und kritisiert das Gendern – nicht ohne Musik von Rosenstolz, Gleis 8 und Silly.

Von Tom Vörös
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Anna R. sang in Dresden auch Hits von Rosenstolz und Nummern von Silly sowie Gleis 8.
Anna R. sang in Dresden auch Hits von Rosenstolz und Nummern von Silly sowie Gleis 8. © Sony

Ein Bügelbrett war schuld. Daran, dass Andrea Neuenhofen alias Anna R. am Sonntag im Alten Schlachthof Dresden noch einmal über ihre Karriere-Wellen surfte. Das Brett sei aber nicht zu finden gewesen, was Knitterwellen auf dem Kleid verursachte. „Bei der Suche fand ich aber ein kleines rotes Kästchen, nicht mit Schmuck, aber mit alten Liedern drin“, sagt sie, mit einem gewissen „Rosenstolz“ im Blick.

Die komplette Neuerfindung als Solokünstlerin ohne altes Liedgut war bei einem ausverkauften Konzert und vielen treuen Fans wohl auch nicht angebracht. Und so war man gespannt, mit welchen Weisen Anna R. den Zustand ihres glamourösen hellbraunen Kleides ausbügeln würde.

Mit der ersten Klangwelle und Liedern wie „Hinterm Mond“ wagte sie sich erst mal an neue Ufer und neue Gleise, mit „Trotzdem“ erklang ein Lied von Gleis 8 – der Band, die nach Rosenstolz kam. Deren Musiker sind aber nicht auf dem Abstellgleis gelandet, sondern auch in der aktuell sechsköpfigen Band dabei. Die Wehmut hält sich also zunächst Grenzen.

Doch dann wird das Publikum mitgerissen von einem Rosenstolz-Lied aus dem roten Kästchen. „Sanfter Verführer“ klingt wie eine vertraute Musikströmung. Und auch das Silly-Cover „Über ihr taute das Eis“ erzeugt eine mittlere Nostalgiewelle. Mit letzterem Lied nahm Anna R. auch diejenigen mit, die die Sängerin in den letzten Jahren vor allem als Silly-Sängerin wahrgenommen haben.

Aktuellere Gefühle kommen später mit dem Lied „Nicht meins“ auf, kein Wunder bei dem Text, der vielleicht gerade im Osten politische Reflexe auslösen könnte: „Das ist nicht mein Land, das ist nicht meine Welt, das sind nicht meine Grenzen, die ihr schützen wollt, das ist nicht meins.“ Gemeint ist das aber Anna R.-typisch eher humanitär-universell, was mit Marlene Dietrichs „Sag mir wo die Blumen sind“ und Anna R.s „Meer voller Seelen“ doppelt unterstrichen wird. Hier entfaltete die 53-Jährige ihre ganze Sangeskraft.

Allerdings durfte man froh sein, dass ihre kraftvolle Stimme gegenüber dem Klang-Geflecht aus Gitarre, Bass, zwei Keyboards und einem hinter Plexiglas versteckten, gezähmten Schlagzeug dominierte. Denn der Schlachthof-Instrumentalsound hatte schon bessere Abende.

Ein perfektes Gegenmittel gegen den fast lähmenden Weichklang stand aber schon lange parat: die Harfe des paraguayischen Musikers Alberto Sánchez. Nach über weite Strecken eher einfacher Tamburin-Arbeit spielte er solo auf seinem bunt verzierten Instrument das „Glockenspiel“, die inoffizielle Hymne seines Heimatlandes. Nach dieser virtuosen Fingerakrobatik erwachte der ganze Saal aus einer leichten Starre und es konnte endlich richtig losgehen mit dem Konzert.

Zum Beispiel mit „Augen zu“ und gesanglicher Unterstützung der Vorband Zweikanalton. Auf dem neuen Album „König:in“ macht das der Ex-H-Blockx-Sänger Henning Wehland. Dann erklingt das Selbstfindungs-Titellied „Die Astronautin“. Anna R. scheint damit endgültig bei sich angekommen zu sein und kann jetzt keck ins Publikum fragen: „Wer von Euch ist König:in?“ – verhaltene Reaktionen. „Jeder kann eine König:in sein“, sagt sie mutmachend und kritisiert damit zugleich das Gendern als ungeeignetes Mittel der Geschlechterverständigung. Im Titellied „Königin“, ist das „:in“ nicht vorgesehen.

Bei aller Musikpolitik, gegen Ende wurde es wieder Zeit, sich mit „Nur einmal noch“ nicht gleich das Land, aber zumindest den harmonischen Rosenstolz zurückzuholen.
Das zufriedene Sitzpublikum wird zum seligen Steh-Publikum und bekommt von Anna R. noch eine seltsam vertraute „Gute Nacht“ gewünscht. Und man fragt sich, ob man am nächsten Morgen nicht an der Elbe, sondern an der Bedrich Smetanas „Moldau“ aufwachen wird.