SZ + Feuilleton
Merken

Jörg Schüttauf: „Ich fühle mich wohl unter dem Radar“

Jörg Schüttauf ist aus TV und Kino nicht wegzudenken. Im Film „Lieber Thomas“ über den Dichter Thomas Brasch spielt er dessen Vater, einen SED-Funktionär.

 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Schauspieler Jörg Schüttauf ist in „Lieber Thomas“ derzeit in den Kinos zu sehen.
Schauspieler Jörg Schüttauf ist in „Lieber Thomas“ derzeit in den Kinos zu sehen. © ©christian hartmann.com

Die Karriere von Jörg Schütt auf (59) begann im Pioniertheater, kam bei der Defa richtig in Fahrt und blüht seit der Wende bruchlos weiter. Im Theater stieg der gebürtige Chemnitzer als „Der Hundertjährige“ aus dem Fenster und verschwand, im Fernsehen war er „Der Fahnder“, „Tatort“-Hauptkommissar Dellwo und Vater Matt in „Der Laden“. Wir sprachen mit ihm über sein bewegtes Leben in Ost und West, das Sinnliche an der DDR und Menschen, die von ihr einfach nicht loskommen.

Herr Schüttauf, es scheint, als würden Sie stets ein wenig unterm Radar fliegen. Viele kennen Ihr Gesicht, das war’s dann aber schon. Etwa so wie bei Henry Hübchen oder einst Michael Gwisdek. Trügt der Eindruck?
Na, Hübchen und Gwisdek haben sich ihren Ruhm ja längst abgeholt. Mich soll man mal schön in der zweiten Reihe behalten. Ich mag diese Art und Weise, mit sich selbst umzugehen in einer Branche, die offensichtlich gut davon lebt, dass man viel mehr Welle als nötig um sich macht. Ich fühle mich sehr wohl unterm Radar, von wo aus ich ab und zu ein Blinkzeichen gebe. Es darf dann gern ein längeres sein.

Unterscheiden Sie in Haupt- und Nebenrollen?
Die Nebenrolle ist schwieriger. Man ist auch aufgeregter. Es macht schon einen wesentlichen Unterschied, ob du nur kurz zum Team stößt und dann oft eine längere Pause zwischen den Drehtagen hast oder ob du von Anfang bis Ende dabei bist. Es ist also sehr wohl etwas anderes, wenn „deine“ Geschichte in „deinem“ Film erzählt wird oder ob du nur mitspielen darfst.

Fühlen Sie sich als öffentlicher Mensch, als der Schauspielerinnen und Schauspieler gern bezeichnet werden?
Nee, eigentlich nicht. Aber das mit der Öffentlichkeit ist besser geworden, und wenn es unvermeidliche Situationen auf Straßen oder in Bahnen gibt, komme ich damit sehr gut klar. Ich erinnere mich an die Premiere von „Ete und Ali“. Ich düste da 1985 mit meiner 150er MZ hin, meine Schwester saß auf dem Sozius. 200 Meter vor dem Kino bin ich umgedreht, in die nächste Telefonzelle rein und habe abgesagt. Hab‘ eine Panne vorgetäuscht, weil ich Angst hatte, richtig Angst vor Menschen.

Jörg Schüttauf als Vater Brasch in "Lieber Thomas".
Jörg Schüttauf als Vater Brasch in "Lieber Thomas". © Wild Bunch

Der Schriftsteller, Regisseur und Übersetzer Thomas Brasch hat auf intensive Weise beide deutsche Staaten und dann das vereinigte Land erlebt. Wann ist er Ihnen das erste Mal begegnet?
Es war eher so ein Herüberschwappen aus einem Nebel heraus. Ich war noch jung, da hörte ich von ihm als einen Mann, der da irgendwo im Land richtig geiles Theater macht. Ich lebte noch in Karl-Marx-Stadt, studierte dann in Leipzig. Das war zu weit weg für Brasch.

Sie spielen eindrucksvoll Horst Brasch, hoher Kulturfunktionär, Vater vierer Kinder, Ehemann einer in Österreich geborenen Frau, 1989 verstorben. Hat sich die Annäherung an diese reale Person grundsätzlich von jener an eine erfundene unterschieden?
Das muss ich klar verneinen. Ich habe am Set Sätze zu sprechen und Situationen zu spielen, die im Drehbuch vorgegeben sind. Biografisches nachzulesen oder in Dokumentationen nachzuschauen, hilft natürlich. Mehr aber auch nicht.

Wie sehen Sie Vater Brasch?
Als strenges Oberhaupt eines hoch interessanten und komplexen Familienbiotops, als zuverlässigen Kämpfer für die Sache des Sozialismus so, wie ihn die regierenden Genossen in der DDR interpretiert hatten. Ich sehe ihn als oft zornigen und auch traurigen Vater vor allem gegenüber seinen Söhnen, als Mann, der trotz Karriere auf viele Privilegien verzichtet hat und dann bitter von seiner eigenen Partei abgestraft wurde.

Kannten oder kennen Sie Menschen dieser Kategorie persönlich?
Man sieht in seinem eigenen Kramladen der Erinnerung nach und ja, ich kenne solche Menschen. Dozenten und Uniprofessoren, die sich damals nur mit Sport einen ganzen Tag lang vergnügen konnten und nicht viel mehr brauchten als die Zigarette danach. Menschen, die heute verbohrt und ständig am Meckern sind, das Neue Deutschland nicht abbestellen wollen und den alten Idealen nachtrauern. Glücklich wirken sie damit allerdings nicht.

Vater (links) und Sohn Brasch in seltener Verbundenheit.
Vater (links) und Sohn Brasch in seltener Verbundenheit. © Wild Bunch

„Lieber Thomas“ ist sehr sinnlich, zeigt im Gegensatz zu vielen anderen Filmen eben auch eine sinnliche DDR.
Das stimmt! Es ist nur schade, dass es nach über 30 Jahren noch überraschen muss. Ich freue mich heute doppelt darüber, wenn Filme über diese Zeit auch das Freie im Kleinen des Alltags, das Aberwitzige und Laute, das Wilde und durchaus auch Unbekümmerte zeigen, die Fete um der Fete willen.

Horst Brasch wurde von seiner Partei nach Karl-Marx-Stadt versetzt, dorthin, wo Sie geboren wurden. Wie kehren Sie heute nach Chemnitz zurück?
Immer wieder gern, weil ich meine Mutter besuche. In Frankenberg wohnt eine meiner beiden Töchter mit drei Enkeln, da bin ich genauso gern. Mein gutes Gefühl liegt aber nach wie vor auch an der Landschaft, wo ich als kleiner Mann aufs viel zu große Diamant-Rennrad gestiegen bin. Bekannte und Freunde von einst leben dort, einige schauen heute noch wie damals aus dem Fenster.

Ihre Kollegin Ursula Werner dankt heute mit 78 noch immer den Eltern. Weil die ebenfalls einfache Menschen waren und den Träumen der Tochter nicht im Wege standen. Empfinden Sie ähnlich?
Vielleicht nicht so direkt. Meine Mutter hatte nie etwas gegen meinen Weg, aber geschafft habe ich ihn aus eigenem Willen und eigener Kraft. Sie selbst wollte Opernsängerin werden, heimlich hat sie mit ihrer Freundin Cancan getanzt, was ihre Eltern gänzlich abgelehnt haben. Sie waren aus Schlesien geflüchtet, mein Großvater kam 1949 nach vier Jahren sowjetischer Kriegsgefangenschaft noch zorniger und stiller zurück, als er eh schon war.

Jörg, der Junge, musste nicht nur an die frische Luft, sondern auch ans Theater?
Unbedingt! Es lag eines Tages eine Ausgabe der Freien Presse auf dem Tisch mit einer Anzeige der Leipziger Theaterschule „Hans Otto“. Motto: Kinder, wenn ihr wissen wollt, ob Schauspieler zu werden etwas für euch ist, dann sagen wir es euch. Das klang echt. Also habe ich mich zum Kurs beworben. Es waren dreimal drei Tage in den großen Ferien.

War die Ausbildung zum Bühnentechniker bewusst nur eine Überbrückung?
Ja, es war ein Muss, denn ich hatte ja nur den Abschluss der 10. Klasse, da durfte man nicht studieren. Ich wusste vom ersten Tag an, dass ich danach an die Schauspielschule gehen werde, und im Operntheater in Karl-Marx-Stadt, wo ich als Lehrling ein Jahr in die Tischlerei und ein Jahr zum Kulissenschieben kam, wusste man es auch. Dort habe ich Ulrich Mühe bei den Proben belauscht, mein erstes großes Vorbild.

Nach Arbeiten für TV, Kino und Bühne bekamen Sie 1992 das Angebot für die Hauptrolle in der ARD-Serie „Der Fahnder“. Sie blieben vier Jahre und 46 Folgen lang dabei. War es das, was man gesamtdeutscher Durchbruch nennt?
Kann man so sagen. Vor allem hat es mir eine Richtung vorgegeben, denn es war damit klar, dass ich in dieser Zeit am Theater in Potsdam, Berlin oder sonst wo nicht recht würde Fuß fassen können. Mir ging es also recht zeitig ziemlich gut, kein Vergleich zu vielen Älteren mit großen Namen, die in der DDR angesehen und erfolgreich waren und dann in den Keller gehen mussten, bis sie wieder zeigen durften, was sie immer schon konnten. Ihre Verbitterung und Ängste habe ich gespürt. Vieles davon wird mir jetzt erst richtig klar.

Das Gespräch führte Andreas Körner.

„Lieber Thomas“ läuft in Dresden im Programmkino Ost, Thalia und in der Schauburg sowie in Görlitz.