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Sachsens berühmtester Jazzer wird 80: "Ich bin zweifellos das älteste Baby der Welt"

Jazz-Legende Günter Baby Sommer wird am Freitag 80. Der Schlagzeuger spielt gleich drei Konzerte, hat zig Pläne und dem Gendern unfreiwillig Gutes abgewonnen.

Von Andy Dallmann
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Schlagzeuger und Jazz-Legende Günter Baby Sommer feiert er am Freitag seinen 80. Geburtstag.
Schlagzeuger und Jazz-Legende Günter Baby Sommer feiert er am Freitag seinen 80. Geburtstag. © Foto: SZ/Veit Hengst

Für den Trommelwirbel sorgt er gleich selbst: Günter Baby Sommer, schon zu tiefsten DDR-Zeiten international äußerst erfolgreicher Jazz-Schlagzeuger, lässt seinem 80. Geburtstag im September drei Konzerte folgen. Der in Dresden geborene, in Radebeul lebende Musiker spricht im Interview über Frauenquote, große Pläne und seine Erfahrungen als Schmuggler.

Im September gibt es gleich drei Konzerte aus Anlass Ihres Geburtstages. War das Ihre Idee?

Nein, Manfred Weiß, Künstlerischer Leiter von Semper Zwei, hatte mir das vorgeschlagen. Ich fühlte mich natürlich sehr geehrt, musste ihn aber doch gleich bremsen.

Inwiefern?

Na ja, ich kann doch nicht dreimal in Semper Zwei auftreten und die Tonne ignorieren. Dort bin ich Ehrenmitglied und goldenes Sonstwas. Also muss natürlich wenigstens ein Konzert dort stattfinden.

Das Motto der Konzerte am 22., 23. und 24. September ist „Unser Baby wird 80“. Für Uneingeweihte schon verwirrend.

Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich auch skeptisch. Doch dann fand ich es doch irgendwie süß. Ich bin zweifellos das älteste Baby auf dieser Welt.

Gibt es eigentlich Menschen, die Sie Günter nennen?

In der Familie schon. Doch wenn es um mich als Musiker geht, kennt keiner Günter Sommer. In diesem globalen Dorf des Jazz heißt es: Günter Sommer? Wer soll das sein? Ach klar, Baby Sommer, den kenne ich. Ausnahmen gibt es höchstens bei sehr jungen Kollegen. Etwa den Lucaciu-Brüdern, vor allem Simon mit gerade mal 25 Jahren, fällt es schwer, mich alten Mann Baby zu nennen. Dabei habe ich durchgesetzt, das Baby nicht mehr apostrophiert wird, sondern einfach regulärer Teil meines Namens ist.

Haben Sie ihn sich in den Pass eintragen lassen?

Nee, und das mache ich jetzt auch nicht mehr. Mir reicht es so, wie es ist.

Günter baby Sommer vor seinem idyllisch gelegenen Haus in Radebeul.
Günter baby Sommer vor seinem idyllisch gelegenen Haus in Radebeul. © Foto: SZ/Veit Hengst

Noch mal zurück zu den Konzerten: Haben Sie alles alleine organisiert?

Das hätte mich völlig überfordert. Die meiste Arbeit haben die Jungs von der Radebeuler Agentur Dynamite Konzerte erledigt. Das Schwierigste war natürlich, das Geld zusammenzubekommen. Denn ein solches Projekt mit 30 Musikern aus aller Welt lässt sich nicht kostendeckend stemmen. Ich schlug ihnen vor, bei der Stadt Dresden, bei der Kulturstiftung Sachsen, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Musikfonds anzufragen. Und sie haben dann erfolgreich Klinken geputzt.

Hört sich an, als wäre es ganz einfach gewesen?

Das täuscht gewaltig. Alle haben ihre Förderung davon abhängig gemacht, dass die jeweils anderen drei mitmachen. Bis vor zwei Wochen fehlte die finale Zusage der Bundeszentrale für politische Bildung. Damit wackelte alles. Obwohl längst Flüge gebucht, Hotelzimmer reserviert und Catering bestellt waren. Ein Seiltanz! Ich habe den Präsidenten dann auf dem Handy angerufen, als er gerade in Havanna war, und gesagt: Wenn ihr nicht mitzieht, bricht hier alles zusammen. Dann lief es glücklicherweise zügig.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Musiker ausgewählt, mit denen Sie zusammen spielen?

Ich wollte alte Weggefährten ebenso dabei haben, wie Künstler, die für meine langjährige Zusammenarbeit mit Literaten stehen, aber auch junge Leute und einen Schuss Internationalität. Der Klarinettist und Saxofonist Gianluigi Trovesi etwa, mit dem ich seit 40 Jahren arbeite. Manche von den Alten mussten allerdings doch absagen, weil sie aus gesundheitlichen Gründen keine Konzerte mehr spielen können, so auch mein alter Freund Friedhelm Schönfeld. Dafür steht am zweiten Abend Wolf Biermann mit auf der Bühne. Bei dem muss ich nur aufpassen, dass ich ihn da wieder runterbekomme. Sonst zieht er einfach bis zum Morgen durch. Im Finale spielt dann unter anderem Till Brönner mit. Und meine Lieblingsband darf nicht fehlen. Die musste ich allerdings auf Anordnung umbesetzen.

Das Schlagzeug immer in der Nähe: Günter Baby Sommer übt tägich eine Stunde lang.
Das Schlagzeug immer in der Nähe: Günter Baby Sommer übt tägich eine Stunde lang. © Foto: SZ/Veit Hengst

Wieso das?

Das liegt an den neuen Gender-Regeln. Eine Truppe alter, grauhaariger, weißer und bärtiger Männer – das geht eben nicht mehr.

Ist das ein Witz?

Auf keinen Fall. Als ich beim Musikfonds die Förderung speziell für meine Brotherhood of Breath beantragte, wurde sie mit der Begründung abgelehnt, dass ohne Frauen in der Band nichts gehe. Zwei Kolleginnen hatte ich schnell im Boot, aber das reichte nicht. Es mussten mindestens vier sein. Also habe weiter gesucht, zwei gute Musikerinnen gefunden und beschlossen: Wenn ich jemals wieder für ein ähnliches Projekt Mitstreiter suche, lasse ich alle hinter einem Vorhang vorspielen. Wenn am Ende nur bunte Röcke zum Vorschein kommen, ist das eben so. Bunte Röcke machen sich schließlich gut auf der Bühne. Und meine Band bekam so einen neuen Namen. Jetzt heißt sie Baby Sommer’s Brother & Sisterhood of Breath.

Hat Sie das sehr geärgert?

Ehrlich: Anfangs war ich stinksauer. Mit der Zeit, als wir eingespielt waren, habe ich mich mit dem Ganzen versöhnt. Frauen in der Band zu haben, verändert die Atmosphäre; sie sind meist etwas verspielter, agieren nicht so holzhammermäßig wie viele Männer, hinter der Bühne werden keine anzüglichen Witze mehr erzählt. Also habe ich quasi auf meine alten Tage noch was dazugelernt. Wenn auch zwangsweise. Das ist der einzige Punkt, der mir immer noch missfällt, dass so etwas förmlich per Gesetz verordnet wird. Weil ich etwas Ähnliches befürchtete, habe ich ja auch zunächst den Deutschen Jazzpreis abgelehnt.

2011 wurde Günter Baby Sommer von Oberbürgermeister Dirk Hilbert mit dem Dresdner Kunstpreise ausgezeichnet.
2011 wurde Günter Baby Sommer von Oberbürgermeister Dirk Hilbert mit dem Dresdner Kunstpreise ausgezeichnet. © SAE Sächsische Zeitung

Was ist denn da passiert?

Ich bekam eine Einladung zur Verleihung nach Bremen und erfuhr, dass ich in der Kategorie Schlagzeug nominiert bin. Neben zwei sehr jungen Frauen, von denen ich eine überhaupt nicht kannte. Das wirkte für mich wie nach dem Spruch: Rechts und links ein Rosenstöckchen, in der Mitte ein Mistböckchen. Ich sah mich da nur als Alibi- und Quotenmann, der bei der derzeitigen Gender-Diskussion eh chancenlos ist. Also schrieb ich, dass ich das Verfahren nicht mag, wo man die Nominierten, die nicht ausgezeichnet werden, letztlich vorführt. Die müssen dann brav klatschen, obwohl sie enttäuscht und daher auch sauer sind. Beim Dresdner Kunstpreis bin ich mit in der Jury. Wir ringen dort tagelang, legen uns aber schließlich fest und verkünden den einen Gewinner. Das ist fair. Nach Bremen fuhr ich also nicht.

Und wer bekam letztlich den Preis?

Ich. Till Brönner, der während der Show in der ersten Reihe saß, schickte mir eine amüsierte SMS. Weil ich nicht da war, wurde halt ein großes Foto von mir an die Wand projiziert. Was reichte, dass mich gleich danach jemand anrief und sagte: Baby, du warst mal wieder im Fernsehen. Die haben es doch tatsächlich fertiggebracht, meine Abwesenheit vollständig zu überspielen. Ich habe mich schließlich bei allen bedankt, die trotz der diskursiven Auseinandersetzung vorher und trotz meiner ablehnenden Haltung für mich die Hand gehoben haben. Und dass ich es mir leisten kann einzusehen, dass ich der Verlierer in diesem Diskurs gewesen bin. Das Gute ist: Ich musste mich einmal mehr nicht krumm machen und verbiegen, kam aufrechten Ganges aus dem Ding raus.

Gibt es vor den drei Konzerten, wo Sie ja auch dreimal unterschiedliche Auftritte hinlegen müssen, ein spezielles Übungsprogramm?

Das brauche ich nicht; ich bin ein Profi.

Aber Sie üben schon noch?

Klar, in meinem Alter muss das sein. Jeden Morgen mache ich eine Stunde Gymnastik, nachmittags übe ich eine Stunde am Schlagzeug. Ich bin ja kein Flötist, ich brauche den ganzen Körper und muss ihn daher fit halten.

Günter Grass (vorn) 2004 bei einem Auftritt in Dresden zusammen mit Günter Baby Sommer.
Günter Grass (vorn) 2004 bei einem Auftritt in Dresden zusammen mit Günter Baby Sommer. © SAE Sächsische Zeitung

Haben Sie festgelegt, wie lange Sie noch live spielen werden?

Solange ich es noch wirklich bringe, gehe ich auch auf die Bühne. Ich will aber auf keinen Fall, dass die Leute, wenn sie zu mir ins Konzert kommen, das Gefühl haben, sie gehen in ein Museum. Sie sollen einen zeitgemäßen, aktionsfähigen, einen tatkräftigen, auch forschenden Musiker erleben können. Hakt es dabei, höre ich auf.

Woran würden Sie merken, dass es hakt?

Wenn andere Musiker nicht mehr gemeinsamen Auftritten entgegenfiebern. Oder wenn ich einen diskreten Hinweis bekomme. Aber ich habe schon noch vor, bis zu meinem 92. Geburtstag Konzerte zu geben. Das habe ich meiner Mutter versprochen.

Wenn Sie jetzt auf Ihre Karriere zurückblicken: Was hat Sie besonders geprägt?

Eine wichtige Station waren für mich die Radebeuler Tanzrhythmiker, bei denen habe ich mit 13 angefangen. Dort ist mir bewusst geworden ist, dass ich Musiker werden will, dass ich aber eine andere Art von Musik machen will. Sehr viel gelernt habe ich, abgesehen vom Studium, in der Band von Klaus Lenz. Vor allem Genauigkeit. Das war der Beginn der Professionalität. Der nächste Schritt war die Befreiung von amerikanischen Vorbildern und dann kam die absolute Freiheit. Mit dem Trio Chicago-Wuppertal-Dresden mit dem Trompeter Wadada Leo Smith und dem Bassisten Peter Kowald öffnete sich die Tür und ich mochte nur noch freie Musik. Das Zentralquartett war später eine wesentliche Station, die Solo-Konzerte, die Auftritte mit Literaten, was 1986 mit Günter Grass begann.

Gab es auch etwas, das Sie lieber verdrängen?

Mit dem Großen Rundfunkorchester Berlin unter Robert Hanell habe ich in den 70ern eine Sinfonie für Orchester und Jazzschlagzeuger aufgenommen, die auch irgendwann gesendet wurde. Das war eine einzige Katastrophe, weil ich überhaupt nicht damit klarkam, wie klassische Musiker auf ein Dirigat reagieren, wie die ticken. Ich habe die Einsätze falsch gedeutet und war immer zu früh. Bis die mich dann haben solo spielen lassen, solo dirigiert und 60 Geiger-Köpfe sich alle nach mir umdrehten. Es war grauenhaft.

Günter Baby Sommer bei einem Konzert.
Günter Baby Sommer bei einem Konzert. © Matthias Creutziger

Gab es so etwas wie den einen großen Moment?

Das kann ich bei dieser langen Zeit nicht sagen. Da würde ich vielem Unrecht tun. Das Duo-Spiel mit Cecil Taylor vielleicht. Die Japan-Tournee mit dem Trio Chicago-Wuppertal-Dresden 1979. Oder die Entdeckung des geografischen Westens, als für mich 1979 die Welt größer wurde. Plötzlich durfte ich als Devisenbringer die Staatskasse auffüllen und dafür raus in die Welt. Das war wirklich ein großer Moment. Weil ich sehr neugierig bin, hat mir das extrem viel für meine eigene Bildung, für meine kulturelle Bildung und für meine Menschheitsbildung gebracht.

Wie schwer war es dann jeweils, in das enge DDR-System zurückzukehren?

Ja, das war nicht einfach. Auch nicht für Freunde, die nicht raus konnten. Die erste Zeit ging es gut, weil ich sie alle eingeladen habe, den mitgebrachten italienischen Wein und französischen Käse kredenzte. Aber mit der Zeit ist die Atmosphäre etwas komisch geworden und ich habe mich ein bisschen zurückgezogen.

Das hört sich nach Neid an.

Ja, schon, den gab es. Ich habe versucht, dem entgegenzuwirken, indem ich die ganzen Wunschlisten erfüllt habe, die ich dabei hatte – von Babynahrung über Mikrofone bis zu Büchern. Ich wurde damals ein sehr guter Schmuggler.

Was war das Verrückteste, das Sie geschmuggelt haben?

Das Verrückteste war, in meiner dicken Berta, der ganz großen Trommel, einen Farbfernseher zu verstecken. Ich habe überhaupt die Hohlräume meines Schlagzeugs mit gefährlichem Gut gefüllt, also mit Literatur und Zeitungen.

Sie sind immer mit dem eigenen Auto unterwegs gewesen?

Ja, mit meinem Skoda samt Anhänger nach Frankreich, nach Schweden, nach Griechenland. Das war ziemlich aufregend.

Sind Sie jemals beim Schmuggeln erwischt worden?

Einmal war es extrem knapp. Ich war am Grenzübergang Wartha/Herleshausen schon rausgewunken worden, sollte in die Halle fahren, wo sie die Autos förmlich zerlegt haben. Ich hatte wieder alles voll mit illegalen Sachen und dachte: Das war’s jetzt, noch mal lassen die dich nach dieser Nummer nicht raus. Gerettet hat mich, dass auf der Gegenfahrbahn Leute versuchten, jemanden im Kofferraum in den Westen zu bringen. Plötzlich waren dort ein Massenauflauf, Hunde, viel Hektik. Und mir rief einer von den Grenzwächtern nur zu: Hauen Sie ab!

Sind Sie meist zufrieden, mit dem, was Sie im Konzert abliefern oder sind Sie Ihr schärfster Kritiker?

Das bin ich zweifellos. Der Anteil kritischer Aspekte nach einer Konzertanalyse ist größer als der Anteil der Konzerte, wo ich mit hundertprozentiger Zufriedenheit von der Bühne gegangen bin.

Hat sich das mit dem Alter entwickelt?

Nein, das war bei mir schon immer so. Mir selbst nicht zu genügen und es immer besser machen zu wollen, das ist tief in mir verankert. Bis heute habe ich auch heftiges Lampenfieber. Aber das ist gut, besser als Routine und Selbstzufriedenheit. Ich fühle mich immer getrieben, Neues zu probieren.

Was zum Beispiel?

Ein großes Werk für Sinfonieorchester und Solo-Schlagzeug möchte ich etwa schreiben. Deshalb habe ich mich auch schon bei Rainer Lischka angemeldet, um bei ihm Nachhilfestunden in Komposition zu nehmen. Meine Ausbildung liegt ja schon eine Weile zurück... Und ein paar Platten will ich auch noch aufnehmen.

Haben Sie nicht schon ein sehr üppiges Werk veröffentlich?

Das stimmt, 140 Alben sind es bisher. Aber es ist nie genug. Unbedingt will ich auch mit Baby Sommer’s Brother & Sisterhood of Breath ein Album machen. Das sind ja schließlich alles Zeugnisse, die, wenn man Glück hat und es gut gemacht hat, in Gottes Koffer legen kann. Deshalb ist es eben wirklich nie genug.