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Wie ein vergessener DDR-Stuhl in Rabenau zum Star wird

Viele Menschen haben auf ihm gesessen - dem millionenfach produzierten DDR-Küchenstuhl EW 1192. Ein Professor lässt das Design von einst aufleben.

Von Gabriele Fleischer
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Dagmar Klein zeigt in der Sonderausstellung des Stuhlbaumuseums Rabenau einige Exemplare des Klassikers  EW 1192.
Dagmar Klein zeigt in der Sonderausstellung des Stuhlbaumuseums Rabenau einige Exemplare des Klassikers EW 1192. © Egbert Kamprath

Es ist ein ganz besonderes DDR-Erbe, mit dem sich das Deutsche Stuhlbaumuseum in Rabenau in einer aktuellen Sonderausstellung beschäftigt. Der einstige Küchenstuhl EW 1192, wobei EW für Entwicklungsbüro Waldheim steht, ist in der Schau "Der ungesehene Designklassiker" wieder in den Blickpunkt gerückt.

Oft vergessen, verschenkt, auf dem Müll gelandet, unterschätzt, ist der millionenfach an sechs Produktionsstandorten der DDR hergestellte und wohl am häufigsten gekaufte Stuhl doch noch bei einigen Nutzern im Bewusstsein.

Für Partys und Kippeln bestens geeignet

So wie bei Maritta und Andreas Raack aus Dresden. Zwei Jahre nach ihrer Eheschließung richteten sie sich 1976 die erste Wohnung ein. Dazu gehörten auch vier dieser legendären Küchenstühle. „Die haben wir in einem Möbelgeschäft auf der Schweriner Straße gekauft. Das gibt es längst nicht mehr“, sagt Andreas Raack.

Ob die Stühle noch existieren, das ist ihm nicht bekannt. Die blieben in der alten Wohnung auf der heutigen Könneritzstraße, als sie in den Süden der Stadt Dresden umgezogen sind und kein Platz mehr für die Stühle war.


Jacob Strobel, Professor für Holzgestaltung in Schneeberg, (M.) im Gespräch mit Vermittlern des Projektes im Deutschen Stuhlbaumuseum Rabenau.
Jacob Strobel, Professor für Holzgestaltung in Schneeberg, (M.) im Gespräch mit Vermittlern des Projektes im Deutschen Stuhlbaumuseum Rabenau. © Dominik Wolf

Etwas Wehmut ist schon dabei, wenn der heute 70-Jährige von manchen Partys am Küchentisch berichtet. Er erinnert sich auch daran, dass die Stühle selbst nach siebenjähriger täglicher Nutzung noch wie neu aussahen. Und sie hätten jegliches Kippeln der Kinder bestens überstanden. „Kein späterer Stuhl kam an diese Qualität heran“, sagt Raack.

Aufgemöbelt statt neu angeschafft

Das bestätigen Angelika und Wolfgang Walter aus Chemnitz. Sie nutzen ihre drei EW 1192-Stühle, die einst im VEB Stuhlfabrik Benneckenstein hergestellt wurden, seit 1978. 2000 wollten sie sich eigentlich neue anschaffen, aber alles was sie fanden, sagte dem Ehepaar nicht zu. „Zu unbequem, zu hässlich, zu unpraktisch, zu instabil", sagt Angelika Walter. „Deshalb haben wir die alten Stühle aufgearbeitet. Mein Mann hat die Holzteile gestrichen, und die Polster haben wir neu machen lassen“, sagt Angelika Walter. Nur die Farbe hat sich von Grün zu Blau verändert. Der Clou: Unter den Stühlen ist noch das Etikett des Herstellers zu finden – und der Preis. 36,80 DDR-Mark kostete das gute Stück damals.

Tobias Steinert, Ingenieur für Geotechnik und Tiefbau aus Schneeberg, erzählt, dass er als Kind auf einem solchen Stuhl sitzend Hausaufgaben gemacht hat. Heute würden genau diese Stühle noch im einstigen Partyraum der mittlerweile über 80-jährigen Eltern genutzt. Er erzählt, dass die Stühle mehrfach geklebt worden sind. Bis heute aber würden die Reparaturen halten.

Erlebnisse für neue Forschungsansätze

Die 75-jährige Brigitte Schliebner aus Eisenberg in Thüringen hat auf einem Frageborgen im Museum hinterlassen, dass sie sich an die Stühle bei den Eltern erinnert. Hergestellt worden seien diese in Eisenberg im Möbelkombinat unweit ihres Elternhauses. „Der Stuhl ist heute noch in Gebrauch und äußerst pflegeleicht. Der PVC-Überzug klebte nicht und war angenehm wärmend“, so Schliebner.

Dirk Unger aus dem Kurort Hartha im Tharandter Wald erinnert sich vor allem an öffentliche Einrichtungen, wo er als Kind genau auf diesem Stuhl gesehen hat: In der Schule oder in der Poliklinik, wie das heutige Ärztehaus damals hieß.

Mit dem DDR-Küchenstuhl EW 1192 auf dem Markt in Dippoldiswalde: Lea Zepf, Tony Hoyer, Lion Hoffmann (v. l.) vom Outreach-Team der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. 25 Menschen befragten sie dort an einem Vormittag zu ihren Erfahrungen mit dem DDR-Klas
Mit dem DDR-Küchenstuhl EW 1192 auf dem Markt in Dippoldiswalde: Lea Zepf, Tony Hoyer, Lion Hoffmann (v. l.) vom Outreach-Team der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. 25 Menschen befragten sie dort an einem Vormittag zu ihren Erfahrungen mit dem DDR-Klas © Gabriele Fleischer

Solche Erfahrungen sind es, die die Initiatoren und Kuratoren der Schau, Jacob Strobel und seine Frau Martha, weiter forschen lassen. So erfahren sie mehr über die Entstehung, die Macher, Hersteller und Nutzer dieser Küchenstühle.

Re-Design in Erinnerung an den Erfinder

Erstmals in Berührung mit dem Stuhl kam der gebürtige Würzburger im Jahr 2000 auf dem Elbe-Flohmarkt in Dresden. Inzwischen besitzen Strobels selbst einige Exemplare davon, die auch in der Ausstellung zu sehen sind.

Und da den Professor für Holzgestaltung die Robustheit der Stühle so fasziniert, hat er ein Re-Design, wie es der gelernte Tischler und studierte Designer formuliert, entworfen. Keine Kopie, dafür angepasst, optimiert, aber in seiner Effizienz so, wie das Original. Das Re-Design beruhe dabei auf einer Analyse, welche Details im Laufe der Zeit verändert wurden, so Strobel. Haltbarkeit, Stabilität, Ergonomie und traditionelle Konstruktion hätte er übernommen.

Was sich verändert hat, sind die Silhouette des Gestells und die Rückenlehne, die zeitgenössisch aus geometrischen Grundformen breiter gestaltet wurde. Und nur die Außenkanten der Stuhlbeine sind im Gegensatz zum Original gerundet.

Neues Design mit Wiedererkennungswert: Unter der Bezeichnung EW 1192/Horst erlebt der DDR-Küchenstuhl eine Renaissance.
Neues Design mit Wiedererkennungswert: Unter der Bezeichnung EW 1192/Horst erlebt der DDR-Küchenstuhl eine Renaissance. © privat

Entstanden sind zwei Prototypen aus Buche und Eiche. Sein größter Wunsch wäre es, dass der Stuhl wieder produziert wird und zwar im Erzgebirge, dem Ort seiner Entstehung, sagt Strobel. Dazu steht er in Kontakt mit der Göhler Sitzmöbel GmbH in Mulda. Noch müssen dafür einige Hürden genommen werden.

Überregionales Interesse für Museum

Mit der Bezeichnung EW 1192/Horst für sein Re-Design möchte Strobel an Horst Heyder (1924 bis 2000), den Erfinder des Stuhls, der Gestalter im Entwurfsbüro Waldheim der Möbelindustrie der DDR war, erinnern – und an ein Stück DDR-Geschichte. Die lassen auch die Nutzer mit ihren Erfahrungen in Botschaften im Museum, per Mail oder bei den Befragungen in verschiedenen Städten aufleben.

Erinnerungen von einstigen und heutigen Nutzern des DDR-Küchenstuhls - gepinnt an eine Wand im Rabenauer Stuhlbaumuseum.
Erinnerungen von einstigen und heutigen Nutzern des DDR-Küchenstuhls - gepinnt an eine Wand im Rabenauer Stuhlbaumuseum. © Egbert Kamprath

Immer mehr kleine, große Zettel und ausgefüllte Fragebögen füllen eine Wand im Rabenauer Museum. Dessen Chefin Daniela Simon freut sich über die große Resonanz. „Es fällt auf, dass die Ausstellung zum wohl beliebtesten DDR-Küchenstuhl auch beliebte Erinnerungen weckt und genauso für junge Leute ein Magnet ist“, sagt Simon.

Für sie hatte und hat die Sonderschau noch einen angenehmen Nebeneffekt: „Viele kulturell Interessierte kommen wegen des Designklassikers extra aus anderen Regionen und lernen so unser Museum kennen.“

Unterwegs in Dippoldiswalde und anderswo

Die Geschichten der Besucher und aller Befragten möchte Jacob Strobel mit der Geschichte des Möbelstückes verbinden. Eine Idee, die Grundlage für die Konzeption der Ausstellung war. Möglich geworden sei das aber nur durch Mitarbeit von Museumsleiterin Daniela Simon und des Museumsvereins sowie der Unterstützung der Staatlichen Kunstsammlungen.

Von dort waren und sind Mitstreiter des sogenannten Outreach-Teams, einer Gruppe, die für Kunst- und Kulturvermittlung zu den Menschen geht, in verschiedenen Städten mit einem Exemplar des Stuhles unterwegs. Im November standen sie auf dem Markt in Dippoldiswalde, wo sie mit 25 Menschen gesprochen hätten, wie Tony Hoyer, Chefin des Befragungsteams, sagt.

Sie waren auch in Waldheim, Oederan und Schneeberg unterwegs. Noch einmal sind sie am 29. Februar in Waldheim. Ziel sei es, Menschen zu finden, die von ihrem Stuhl erzählen: Woher kennen sie ihn, wo haben sie ihn erworben, was bedeutet er für sie.

Nach dem 3. März, wenn die Ausstellung in Rabenau abgebaut ist, soll all das ausgewertet werden. Wenn es gelingt, könnte die Ausstellung Ende dieses Jahres in Dresden zu sehen sein und nächstes Jahr in Chemnitz, der Kulturhauptstadt Europas 2025. Dann ganz sicher auch mit den vielen Erfahrungen derjenigen, von denen manche bis heute auf dem Stuhl sitzen.

Mit dem Klassiker in Waldheim

Die Sonderausstellung „Der ungesehene Designklassiker“ ist bis 3. März im Deutschen Stuhlbaumuseum Rabenau geöffnet. Dienstag bis Donnerstag von 9 bis 16 Uhr, Freitag von 9 bis 14 Uhr sowie sonn- und feiertags von 13 bis 17 Uhr.