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Desinfektionsmittel statt Whisky

Viele Spirituosenhersteller brennen derzeit medizinischen Alkohol statt Schnaps – für kleine Betriebe auch eine Überlebensstrategie, wie ein Beispiel aus Kirschau zeigt.

Von Franziska Springer
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Martin Wagner aus Kirschau hat seine Produktion umgestellt. Statt Whisky brennt er in diesen Tagen Neutralalkohol für medizinische Zwecke.
Martin Wagner aus Kirschau hat seine Produktion umgestellt. Statt Whisky brennt er in diesen Tagen Neutralalkohol für medizinische Zwecke. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen/Kirschau. In der kleinen Brennerei der Sächsischen Spirituosenmanufaktur in Kirschau läuft der Rohbrand gerade in einen großen Bottich. Ein Plätschern hört man kaum. In der Luft hängt der süßliche Duft von Malz. Auf der Oberfläche der Flüssigkeit bilden sich kleine Fettaugen. "Dieser Brand hat etwa 30 Prozent Alkohol. Er ist nicht trinkbar. Da ist alles noch drin – Fette, Öle", sagt Brennmeister Martin Wagner.

Erst beim zweiten Brand gewinnt er hochprozentigen Alkohol mit bis zu 90 Prozent Alkoholgehalt. Unter normalen Umständen würde Martin Wagner derzeit Whisky produzieren, das fertige Produkt in Holzfässern einlagern. In fünf Jahren wäre der edle Tropfen bereit für Genießer.

Aber normal ist in diesen Tagen auch bei Martin Wagner nur wenig. Das Endprodukt, das der 37-Jährige aus der Gersten-Maische brennt, wird nie die Kehle eines Kenners herunterrinnen. Wagner hat seine Produktion umgestellt, brennt jetzt nur noch Neutralalkohol für medizinische Zwecke. Den liefert er an Apotheken, welche daraus Desinfektionsmittel herstellen.

Eigentlich, sagt Martin Wagner, sei das nicht rentabel für eine kleine Brennerei, wie er sie betreibt. Zwei Gründe haben ihn dennoch dazu bewogen, seine Produktion umzustellen: "Die Verknappung auf dem Markt für Desinfektionsmittel hat zu einem Sondergesetz geführt. Die Apotheken dürfen Alkohol von Spirituosenherstellern aufkaufen und diesen für die Produktion verwenden. Der wird dafür steuerbefreit", erklärt er.

Umsatz um 90 Prozent zurückgegangen

Die Preise, die derzeit für medizinischen Alkohol erzielt werden können, lägen zwar noch weit unter denen hochwertiger Alkoholika, aber: "Mein Umsatz ist im Zuge der Corona-Krise um 90 Prozent zurückgegangen. Ich beliefere vor allem Gastronomien und Wiederverkäufer. Die nehmen mir zur Zeit ja nichts ab. So kann ich wenigstens meinen Teil zur Hilfe beitragen und mein Unternehmen wirtschaftlich am Leben erhalten. Bevor ich zu Hause sitze und rumjammere, kneife ich lieber die Arschbacken zusammen."

Für Wagner bedeutet das Doppelschichten. Von drei Uhr morgens bis 18 Uhr abends steht er an der Destille. Seine Freundin und den kleinen Sohn sieht er zur Zeit kaum, seinen Geburtstag ließ er ausfallen. "Ich hätte sowieso nicht feiern können. Das hole ich nach, hoffentlich im Sommer", sagt er mit dem ihm eigenen Pragmatismus.

Mit dem stellte er auch seine Produktion in Windeseile um. Ein Selbstläufer war das aber nicht: "Als das Sondergesetz bekannt wurde, kamen sofort die Anfragen. Ich habe mir dann aber schon noch mal eine Nacht Bedenkzeit genommen; habe kalkuliert, ob sich das überhaupt rechnet. Aber meine Existenz war bedroht. So eine Situation kann man nicht einfach aussitzen", erzählt er.

Viele Partner

Als Glück habe sich erwiesen, dass er in der Region gut vernetzt sei: Der Löbauer Bergquell-Brauerei kaufte Wagner 15 Tonnen Gerste ab – bereits verarbeitet, geschrotet und eingemaischt zu 45.000 Litern. Die werden ihm regelmäßig in großen 1.000-Liter-Fässern geliefert. Von der Lausitzer Früchteverarbeitung konnte er 10-Liter-Kanister zum Abfüllen beziehen – in diesen Tagen ebenfalls ein Mangelprodukt. Hobmaier Dental aus Wilthen hilft ihm bei der Belieferung der Apotheken. "Man denkt, das ist alles so einfach. Aber da hängen so viele Sachen dran, und die müssen alle von heute auf morgen organisiert werden", sagt Wagner.

350 Liter Alkohol liefert er täglich an Apotheken. Für die gleiche Menge Trinkalkohols müsste er etwa 4.000 Euro Alkoholsteuer zahlen. Um nachzuweisen, dass er seine Brände nicht am Zoll vorbeischleust, steht er in engem Kontakt mit der Behörde. Auch bei der Auswahl seiner Abnehmer muss Wagner akribisch vorgehen: "Ich darf den Alkohol nur an Bezugsberechtigte abgeben. Derzeit melden sich aber ständig dubiose Firmen bei mir, die ihr eigenes Desinfektionsmittel vertreiben wollen. Das ist wie eine Art Enkeltrick. Gebe ich an jemanden ohne Berechtigung Alkohol ab, stehen darauf empfindliche Strafen", sagt er.

Lieferengpass entspannt sich

Nicht nur Ein-Mann-Betriebe wie die Sächsische Spirituosenmanufaktur haben derzeit ihre Produktion umgestellt. Auch Großbrennereien wie Jägermeister in Kamenz oder die Wilthener Weinbrennerei stellen ihre Kapazitäten zur Verfügung. "Natürlich geht es uns einerseits darum zu helfen. Andererseits wollen wir aber natürlich auch unsere Mitarbeiter in Lohn und Brot halten", sagt Wilthener-Geschäftsführer Lutz Schürer. Etwa 30.000 Liter Neutralalkohol hat das Unternehmen bereits an Apotheken geliefert. Derzeit laufen Gespräche mit größeren Herstellern von Desinfektionsmitteln.

Einige kleine Brennereien reagieren zögerlich auf den neuen Absatzmarkt. Hubert Fröhlich vom Fränkischen Klein- und Obstbrennerverband hat seinen Mitgliedern von der Herstellung medizinischen Alkohols abgeraten. Er erklärt das so: "Für die Herstellung von medizinischem Alkohol verwendet man in aller Regel 96-prozentiges Ethanol – also Alkohol landwirtschaftlichen Ursprungs." Kleinanlagen könnten zwar Alkohol mit bis zu 86 Prozent Alkoholgehalt brennen, der auch durchaus desinfizierende Wirkung habe, aber: "Dass es keinen Alkohol von definierter Qualität mehr auf dem Markt gibt, kann ich mir gar nicht vorstellen. So groß kann die Not noch nicht sein."

70 Prozent Alkohol reichen

Zweifelnden Brennern gibt Solveig Wolf von der Sächsischen Landesapothekerkammer Entwarnung: "Der Alkohol, den die Apotheken derzeit den Brennereien abnehmen, muss keine Arzneibuch-Qualität haben. Technische Qualität und ein Alkoholgehalt von 70 Prozent reichen für die Herstellung von Handdesinfektionsmittel aus. Und nur hierbei hat sich ja der Engpass ergeben." Ohnehin müssten die Apotheken selbst die Qualität der gelieferten Ware in ihren Laboren überprüfen. Die Voraussetzungen dafür seien überall vorhanden. Wolf sagt aber auch: "Dadurch, dass viele Brennereien auf den Zug aufgesprungen sind, scheint sich die Lage derzeit zu entspannen."

Wenn er für seine medizinischen Brände keine Abnehmer mehr findet, will sich Martin Wagner aus Kirschau auf den Ausbau seines Online-Shops konzentrieren. Den habe er zu sehr vernachlässigt. "Ich habe halt lieber direkten Kontakt mit Menschen. Das fällt mir jetzt auf die Füße", sagt er. 

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