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Dresdner Musik-Star Sven Helbig: „Ich komponiere lieber selbst als mit KI“

Sven Helbig steht gleich vor zwei Premieren in Dresden. Doch ob der Musiker und Komponist noch einmal mit Rammstein arbeiten wird, ist derzeit offen.

Von Andy Dallmann
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Eine Szene aus „Alice im Wunderland“ mit Melania Mazzaferro als Alice und Eliton Da Silva de Barros als Weißes Kaninchen. Das Tanzstück mit Musik von Sven Helbig hat am Sonnabend an der Staatsoperette Premiere.
Eine Szene aus „Alice im Wunderland“ mit Melania Mazzaferro als Alice und Eliton Da Silva de Barros als Weißes Kaninchen. Das Tanzstück mit Musik von Sven Helbig hat am Sonnabend an der Staatsoperette Premiere. © Pawel Sosnowski

Zu seiner Musik bringen ab dem Wochenende das Ballett der Staatsoperette Dresden, die Breakdancer von The Saxonz und weitere Akteure die Geschichte von „Alice im Wunderland“ auf die Bühne. Der Dresdner Komponist Sven Helbig, 2022 mit dem Kunstpreis der Stadt geehrt, wurde 1968 in Eisenhüttenstadt geboren, kam mit 20 nach Dresden, um Musik zu studieren. Mit Markus Rindt gründete er 1996 die Dresdner Sinfoniker, spielte Jazz, schrieb eigene Stücke zwischen Elektronik und Neo Klassik. Zudem arbeitete er als Komponist und Produzent für Bands wie die Pet Shop Boys oder Rammstein. In Dresden spielt Helbig bald auch Musik, die er mithilfe von KI verfasste. Vorab spricht er über die Tanzbarkeit seiner Stücke, über Erfahrungen mit Künstlicher Intelligenz und über die Vorteile von Papier und Bleistift.

Wie ergab sich die Zusammenarbeit mit der Staatsoperette?
Die Operette kam auf mich zu mit der Idee, ein Weihnachts-Ballett auf die Bühne zu bringen. Ursprünglich war es sogar der Wunsch, dass ich ein vollständiges neues Ballett komponiere, doch das wäre rein zeitlich nicht möglich gewesen. Choreograf und Regisseur Radek Stopka hat sich dann durch meine fünf Alben gehört und war überzeugt, er könne fast die gesamte Geschichte erzählen anhand der Stücke, die es schon gibt. Es war geradezu verrückt, wie perfekt die Musik auf diese Szenen passte.

Also alles nur Recycling?
Nein, auf keinen Fall. Da gab es schon noch ein paar Leerstellen. Die Musik für das Froschballett etwa oder die Szenen mit der Grinsekatze musste ich komponieren. Alles, was so etwas bizarr, humorig ist. So etwas gibt es nun mal auf meinen Alben nicht.

Sven Helbig wurde 2022 mit dem Kunstpreis der Stadt Dresden geehrt.
Sven Helbig wurde 2022 mit dem Kunstpreis der Stadt Dresden geehrt. © Claudia Weingart

War das Ihr erster Versuch in Sachen Ballett?
Das ist jetzt schon das fünfte Ballett. Zudem gab es sehr viele Tanzstücke, die mit meiner Musik unterlegt worden. Ein großes Projekt in Nizza, eins in Vilnius, eins in London. Häufig erfuhr ich davon sogar erst etwas durch die Verlagsabrechnung. Nicht jeder Choreograf ruft bei mir an, wenn er meine Musik in sein Stück einbaut.

Woher kommt Ihre Affinität zu Ballett und Tanztheater?
Meist sehe ich beim Komponieren etwas tänzerisch Bewegtes vor mir. Weil ich Instrumentalmusik schreibe, keinen Text als Anhaltspunkt habe, sind die Geschichten in imaginäre Bewegungsvorgänge eingraviert. Choreografen scheinen das zu erkennen und können darauf mühelos ihre Bilder aufbauen.

Wann ist Ihnen das zum ersten Mal klargeworden?
Das allererste Mal bin ich tatsächlich von den Pet Shop Boys angefragt worden. Die beiden arbeiteten fürs Sadler’s Wells in London an einem Ballett nach einem Märchen von Hans Christian Andersen, zu Deutsch: Das Unglaublichste. Dafür habe ich gezielt Tanzmusik komponiert. Und von da an ging es immer weiter, weil es ja nun auch in meiner Vita stand und andere neugierig machte.

Tanzen Sie selbst gern?
Nee, ich bin nicht so der Tänzer. Ich ertappe mich zwar oft dabei, dass ich beim Komponieren in meiner Fantasie tänzerische Szenen sehe. Doch ich sitze dabei schon eher still auf einem Stuhl, arbeite konzentriert und drehe keine Pirouetten.

Ist Ballettmusik dennoch der wichtigste Aspekt Ihrer Arbeit?
Nein, gar nicht. Das Wichtigste für mich sind die Alben und die damit zusammenhängenden Touren. Das ist das Rückgrat meiner Arbeit, künstlerische Formen zu entwickeln, zu veröffentlichen und live zu spielen.

Im vergangenen Jahr haben Sie an der Staatsoperette Ihr aktuelles Album „Skills“ im Konzert präsentiert, jetzt kommt „Alice“ – geht die Zusammenarbeit weiter?
Ja, was mich sehr freut, weil ich das Haus und das Ensemble sehr schätze. Im nächsten Jahr mache ich dort meine Radiosendung „Schöne Töne“. Für den RBB-Sender Radioeins bringe ich die einmal im Jahr live auf eine Bühne. Im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele diesmal mit dem Orchester der Staatsoperette. Das Spektrum reicht dabei von einem Sibelius-Violinkonzert, über Stücke von mir bis zu Kompositionen eines Akkordeonisten. Eine Mischung aus allen Sachen, die mich interessieren.

Sie interessieren sich offensichtlich auch für KI und das Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz. In diesem Zusammenhang steht jedenfalls Ihr nächster Auftritt in Dresden. Haben Sie schon einmal mithilfe von KI komponiert?
Nein, ich selbst habe das noch nie gemacht. Aber es ist eine sehr spannende Entwicklung. Und für diese KI-Konferenz plus Konzert am 11. Dezember in der Gläsernen Manufaktur habe ich Stücke meines Albums „Skills“ von drei Gruppen von Programmierern, von denen eine in Italien, eine in Portugal und eine in Berlin sitzt, bearbeiten lassen. Bei „Skills“ geht es ja um die Fähigkeit des Menschen, sich immer wieder neu zu erfinden, vom geschmiedeten Kupferkessel bis hin zu modernen Computersystemen stets neue wahnwitzige Sachen zu kreieren, an die man zehn Jahre vorher nicht zu denken gewagt hat. Insofern passt das gut zur KI.

Was genau machen diese drei Teams konkret?
Die liefern neue Musik, die auf meiner basiert. Und das mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Manches ist wirklich sehr interessant, aber unspielbar, weil die KI einfach nicht weiß, wie hoch das Horn wirklich kommt oder die Geige oder das Cello. Und sie kreiert so Klänge und Melodien, die man anders orchestrieren müsste. Und dann gibt es auch KI, die mit den Möglichkeiten eines Orchesters umgehen kann, bei der aber das Ergebnis unbefriedigend, redundant und langweilig ist. Ganz klar kommen dabei Sachen raus, die jetzt so meiner Fantasie nicht entsprungen wären, die ich faszinierend finde und tatsächlich gerne aufgreife.

Könnten Sie sich vorstellen, künftig selbst mithilfe von KI zu komponieren?
Ich halte es für möglich, dass das passieren wird und dass man so irgendwann gute Ergebnisse bekommt. Ich persönlich brauche jedoch das zutiefst menschliche Ringen um ein Ergebnis. Habe ich eine 100-Meter-Strecke vor mir, kann ich die mit dem Moped fahren und bin sehr schnell am Ziel. Aber ich will ja wissen, was mein eigener Körper zu leisten vermag. Deshalb würde ich immer laufen. Und so komponiere ich lieber selbst. Ich schreibe ja Musik auch immer noch mit Stift und Papier auf.

Ernsthaft?
Aber klar, solange es Notenpapier und Bleistifte gibt, werde ich das nicht ändern. Damit kann ich schneller als mit einem Computer Ideen festhalten.

Sehen Sie die KI als Fluch oder Segen für die Kunst?
Ich glaube, dass wir das noch gar nicht wissen können. Ich bin einfach noch mit dem Ethos groß geworden, dass es in der Kunst um die Kommunikation zwischen Menschen geht. Es ist eben ein Unterschied, ob die KI einen Geburtstag vermerkt und jedes Jahr automatisch einen Blumenstrauß rausschickt, oder ob ich daran denke und jedes Mal den Strauß neu variiere. Es wird sich erst noch zeigen, ob das, was Maschinen machen, egal, ob Unterhaltungsmodule, Sinfonien oder Popmusik, ob uns das wirklich begeistern kann. Es ist faszinierend zu ahnen, was alles möglich ist. Wie weit das geht und wie viel kreatives Potenzial zur Verfügung steht, ist ebenso offen wie das, was es am Ende mit uns als Menschen macht, wohin es uns führt.

Fürchten Sie, dass Pop-Kollegen, für die Sie arbeiten, Sie durch KI ersetzen könnten? Etwa Rammstein, für die Sie bislang die Orchesterpassagen schrieben.
Bislang gibt es da keinen konkreten Fall. Doch natürlich halte ich es für möglich, dass man das mal ausprobiert. Weil der Mensch ja an sich neugierig ist. Wir wollen immer gucken, was sich hinter der nächsten verschlossenen Tür verbirgt. Wer sich jedoch gern mit mir trifft, sich mit mir unterhält, an meinen Ideen interessiert ist, wird mich auch weiterhin der KI vorziehen.

Läuft derzeit etwas mit Rammstein?
Nein, zwischen den Alben herrscht meist weitgehend Funkstille. Ich kümmere mich derzeit ausschließlich um meine eigenen Projekte, war gerade unterwegs in Indonesien, im Dezember folgt Portugal. Dazu die beiden Premieren in Dresden, noch eine spannende Sache, bei der wir Musiker im Festspielhaus von Baden-Baden spielen, die Tänzer des spanischen Nationalballetts in der Prager Oper dazu tanzen, wechselseitig als Hologramme auf die jeweilige andere Bühne projiziert. Und dann habe ich das Sanctus für ein Requiem geschrieben, das am 16. Dezember in Timișoara, der amtierenden Kulturhauptstadt, uraufgeführt wird. Sieben Komponisten aus ehemaligen Ostblock-Ländern ehren damit die Opfer der kommunistischen Herrschaft.

Brauchen Sie nie eine Pause?
Doch, unbedingt. Die nehme ich mir zu Weihnachten. Ich freue mich jetzt schon auf das Klöße-Essen bei meinen Eltern am 25. Dezember, auf Ruhe und Familie.

„Alice im Wunderland“, Premiere am 2.12., 19.30 Uhr, Staatsoperette, Dresden; Karten unter 0351 32042222 oder hier.

„Art x Tech“-Konferenz, 11.12., 16 Uhr, Gläserne Manufaktur, Dresden; ab 20 Uhr folgt das Konzert „Skills“ mit Sven Helbig und Ensemble Reflektor; Tickets gibt es hier.