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Die Eichhörnchen-Mama

Wenn ein Junges verlassen wurde, ist Jaqueline Gräfe zur Stelle. Eine Herzensangelegenheit für die Dresdnerin.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Goethe und Schiller haben ihre Freiheit wieder. Die beiden Eichhörchenmännchen mit den großen Dichternamen haben die vergangenen Wochen überlebt – ohne ihre Mütter, aber mit liebevoller Hilfe von Jaqueline Gräfe. Geduldig hat sie die beiden jungen Eichhörnchen aufgepäppelt, hat sie gefüttert, gewärmt und ihnen nach dem Füttern die Bäuchlein gerieben. Wie das eine Eichhörnchen-Mama eben so macht. „Es ist schon sehr viel Arbeit“, räumt Jaqueline Gräfe ein. Und hat schon wieder die kleine Spritze in der Hand, mit der sie einem handgroßen Eichhörnchenmädchen die Spezialmilch verabreicht. Auch in der Nacht muss sie zum füttern aufstehen. Danach gibt’s noch eine angenehme Bauchmassage, bis dem Tier die Augen zufallen.

Kuhmilch ist tabu. Die Jungen werden mit einer Spezialmilch gefüttert.
Kuhmilch ist tabu. Die Jungen werden mit einer Spezialmilch gefüttert. © Sven Ellger
Für den echten Eichhörnchenfan: Auch in Plüsch sind die Tierchen zu haben.
Für den echten Eichhörnchenfan: Auch in Plüsch sind die Tierchen zu haben. © Sven Ellger

Vor drei Jahren hat Jaqueline Gräfe ihr Herz an die roten und braunen Fellknäuel verloren. Wobei – viel Fell haben die meisten ihrer Schützlinge noch gar nicht, wenn die Dresdnerin sie in Obhut nimmt. Die 50-Jährige engagiert sich, neben ihrem Beruf, beim Eichhörnchen-Notruf. Mehr als 100 Stationen gibt es deutschlandweit, seit 2015 auch eine in Dresden. Im Herzen von Leuben teilen sich Jaqueline Gräfe und ihr Mann eine Dreiraumwohnung mit den putzigen Tierchen. Schon am Eingang erwartet den Besucher ein Türkranz mit kleinen Eichhörnchenfiguren darauf. In der Wohnung selbst – kleine Eichhörnchen in Plüsch, in Holz, auf Postkarten und großformatigen Fotos.

Zurzeit leben fünf Eichhörnchenbabys im „Arbeitszimmer“ ihres Mannes. „Er hat noch eine kleine Ecke für seinen Schreibtisch“, sagt Jaqueline Gräfe und lacht. Aber das sei schon in Ordnung so, schließlich habe er sie ja dazu ermutigt, sich den verlassenen Tierbabys in Dresden und der Umgebung anzunehmen. Das war im Juli 2015: „In unserem Garten in Zschachwitz saß plötzlich ein junges Eichhörnchen auf der Wiese“, erinnert sich Jaqueline Gräfe. Doch obwohl ihr Mann davon abriet, zog sich das Ehepaar zunächst zurück und rief bei der Greifvogelhilfe in Weinböhla an. „Dort gab man uns den Tipp, das Junge zu versorgen. Offenbar war es bereits zu groß, sodass seine Mutter es nicht mehr ins Nest zurückholen konnte.“ Am nächsten Tag fand Jaqueline Gräfe das Junge, totgehackt, vermutlich von Krähen. Ein Schlüsselerlebnis, das ihr Leben verändern sollte. Und zwar schneller als gedacht. Einen Tag später rief ein Mitarbeiter der Greifvogelhilfe bei ihr an. „Ein verlassenes Eichhörnchenjunges war dort abgegeben worden. Er fragte, ob ich mich darum kümmern kann.“ Natürlich konnte sie. Gründe, warum Eichhörnchenmütter ein Junges nicht mehr versorgen, gibt es viele. „Meistens fällt eines aus dem Kobel.“ So heißt das kugelförmige Nest der Nagetiere, das oft zur Zielscheibe von Krähen, Elstern oder Katzen wird. Auch Unwetter mit Sturm, Regen oder Hagel werden dem Nachwuchs im Kobel gefährlich.

Einige Jungtiere bekommt Jaqueline Gräfe aus dem Tierheim Freital, die meisten aber über den Notruf. Wer ein Eichhörnchen findet, das nicht wegläuft, sollte zunächst dafür sorgen, dass es gewärmt wird. Am besten in einem Karton mit einer Decke. Jaqueline Gräfe rät dazu, danach den Eichhörnchen-Notruf zu wählen. „Außerhalb der Notruf-Zeiten kann auch die Dresdner Polizei verständigt werden. Dort kennt man meine Nummer inzwischen“, sagt sie. Wenig ratsam sei, das Tier selbst zu versorgen, schon aufgrund des speziellen Futters. „Da kann man wirklich viel falsch machen, und dann leiden die Tiere.“ Sobald sie informiert ist, fährt Jaqueline Gräfe los und holt das Eichhörnchen mit einer Transportbox ab. Nicht selten auch außerhalb von Dresden; bis in die Oberlausitz ist sie unterwegs. „Dann freue ich mich natürlich, wenn mir die Finder ein Stück der Strecke entgegenkommen.“

Ihr erstes Eichhörnchen, damals im Juli 2015, hieß Fridolin, mehr als hundert folgten bis heute. Allein in diesem Jahr päppelte Jaqueline Gräfe 18 Junge auf. Auch ältere Tiere, die verletzt sind, nimmt sie in Pflege. Einen Namen bekommen sie übrigens alle. „Den dürfen die Finder aussuchen.“ Anatol, ein munteres Kerlchen, das durch ihr Zimmer tobt, wird demnächst in eine große Voliere in ihren Garten umziehen. In den ersten Tagen bleibt das Türchen dort offen, denn die Eichhörnchen kommen zum Fressen und Schlafen zurück. „Irgendwann tauchen sie dann einfach nicht mehr auf.“

Eichhörnchen-Notruf: 0700 20020012, immer erreichbar von März bis September täglich von 10 bis 12 Uhr sowie von 17 Uhr bis 19 Uhr, von Oktober bis März täglichvon 10 Uhr bis 12 Uhr.